Montag, 24. August 2015

Frank Auerbach

Unfehlbar ausgelöscht

Gleich beim Eingang zum ersten Saal der Bonner Ausstellung trifft man auf ein ganz in Grautönen gehaltenes Selbstbildnis des Künstlers. Das Gesicht ist unter der schweren Malarbeit erheblich zerstört und dann mit kruden, die Zerstörung, aber nicht ihre Spuren behebenden Mitteln geflickt worden. Das Bild wirkt wie ein Wahrheitsbeleg zur Darstellung des Max Aurach in den Ausgewanderten. Es wundere ihn, so läßt Sebald Aurach sagen, wie er am Ende eines Arbeitstages aus den wenigen der Vernichtung entgangenen Linien und Schatten ein Bildnis von großer Unmittelbarkeit zusammenbringe, und weitaus mehr noch verwundere es ihn, daß er diese Bildnis am darauffolgenden Morgen, sobald er nur einen ersten Blick auf es geworfen habe, unfehlbar wieder auslösche. Da Aurach die Farben in großen Mengen aufträgt und sie im Fortgang der Arbeit immer wieder von der Leinwand herunterkratzt, ist der Bodenbelag des Malstudios bedeckt von einer im Zentrum mehrere Zoll dicken mit Kohlestaub untermischten, weitgehend bereits verhärteten und verkrusteten Masse, von der er behauptet, daß sie das wahre Ergebnis seiner fortwährenden Bemühung darstelle und den offenkundigen Beweis für sein Scheitern. - Weitaus mehr Vernichtung als Schöpfung.

Sebald hat Eckdaten der Biographie Auerbachs aufgegriffen und ist offenbar fasziniert von seinem Bild als Eremit und Asket der Kunst. Aurach ist gestaltet als ein von seinen Lebensumständen, der frühen Flucht aus Deutschland, dem Tod er Eltern im KZ, dem Leben als Ausgewanderter im Exil mehr oder weniger zerstörter Mensch. Zehn Stunden Arbeit im Atelier an sieben Tagen der Woche, das galt für ihn und das gelte für Auerbach, so hört man, selbst jetzt, im hohen Alter, noch immer, auch die Aurach kennzeichnende, inzwischen völlig ortsfeste Lebensweise. Einmal in der Woche besuche Auerbach abends in Gesellschaft ein italienisches Eßlokal, dessen Niveau leicht über dem von Aurach in Manchester täglich frequentierten, von einem Massaihäuptling geleiteten und grauenvolle halb englische, halb afrikanische Gerichte ausliefernden Wadi Halfa liege, wahren Gourmetansprüche aber keineswegs genüge. Mit Hinweis auf den frühen Arbeitsbeginn mahne der Maler schon bald wieder zum Aufbruch.

Wie sehr Sebald Auerbach als Maler geschätzt und verstanden hat, ist schwer zu sagen, die eigenen dichterischen Arbeiten geben einen vergleichbar wüsten Entstehungshintergrund nicht zu erkennen, die Oberfläche der Prosa ist extrem geglättet.  Bei den alten und älteren Meistern scheint der Dichter sich alles in allem wohler zu fühlen, so wenn Aurach und der Erzähler gemeinsam Courbets Eiche der Vercingetorix betrachten oder wenn Aurach dem Erzähler den zermarterten Grünewald einerseits und den schwebenden Tiepolo andererseits nahebringt. Sebald hatte von den beiden in seinem Werk bereits zuvor gehandelt, so daß letztlich nicht klar ist, wer wen unterweist.

Sonntag, 23. August 2015

Zikaden

Hört den Reim!


In den Schwindel.Gefühlen, mehr noch als in den anderen Prosabänden, ist der Boden unter den Füßen weich. Da sind einmal die untergründigen Miniaturgeschichten, Geschichten über den Jäger Gracchus, den heiligen Georg, den Dichter Dante, die die Schritte des an der Oberfläche wandernden Lesers einsinken lassen, und es sind die vielen Entleihungen, nicht ausgewiesene Zitate, die ihn zum Stolpern bringen. Ossip Mandelstam aber beruhigt den Wanderer: Das Zitat ist kein Exzerpt, keine Abschrift, das Zitat ist eine Zikade, mithin ein willkommener Gefährte des Wanderers und keine Stolperfalle. Diese auf den ersten Blick überraschende Einsicht gründet offenbar auf dem Gleichklang, der Alliteration und dem Endreim, citata jest cikada. Immer wird vom Reim eine Ergänzung oder Vertiefung der Alltagsbedeutung erwartet, hier aber scheint er sie komplett zu verdrängten, um mit seiner verborgenen Bedeutung an ihre Stelle zu treten. Was im einzelnen mag der Dichter meinen? Ohne daß wir ihn recht verstehen, hat er uns schon dank der Kraft seines Wortes schon überzeugt.

Das Wesen der Zikade, so hören wir weiter, ist ihre Unfähigkeit zu schweigen, neumolkajemost, und, so wäre zu ergänzen, ihre Unsichtbarkeit. Bei einer Rast auf der Fahrt nach Spanien, Höhe Narbonne, hört man die Stille über der Buschlandschaft und stellt fest, es ist die lärmende Stille der Zikaden. Heerscharen der verborgenen Kreaturen singen unermüdlich das Lob des Herrn. In der Prosa haben die Zikaden Namen. Hat man in der Prosalandschaft erst die Zikade Kafka, die Zikade Büchner, die Zikade Thomas Browne entdeckt, vermutet man unsichtbare Artgenossen unter jedem Zweig, jedem Blatt und hört ihren anschwellenden Ruf nach Beachtung.

Montag, 17. August 2015

Freude

Letizia che trascende ogne dol(z)ore

Wenn man Tolstoi liest, scheint sie russische Sprache wie keine andere durchdrungen von der Freude des Lebens. Liegt es an der russischen Sprache oder an Tolstoi oder liegt es an beiden? In den beiden großen Romanen dringt das Glück des Daseins aus allen Poren der Prosa, obwohl doch auch von soviel Not und Verzweiflung, von Leiden und Tod erzählt wird. Es kann das Glück einer Schlittenfahrt sein, eines Pferderennens, bevorzugt ist es naturgemäß das Glück der jungen Liebe. Die Freude übertönt den Schmerz, das ist in einer Reihe von Erzählungen und auch in dem dritten Roman, Auferstehung, anders. Gleich im ersten Absatz des Romans wird die Freude in das Reich der Fauna und Flora verwiesen. Wessnja byla wessnoju, der Frühling war der Frühling geblieben, sogar in der Stadt. Fröhlich waren die Pflanzen, die Vögel und die Käfer und auch die Kinder und, möchte man ergänzen: die Sprache. Die Menschen aber hörten nicht auf einander zu betrügen und zu quälen.

Der russische Dichter Mandelstam hat, im Gespräch über Dante, die besonderen emotionalen Vorzüge wiederum einer anderen Sprache herausgestellt: Als ich anfing, Italienisch zu lernen, und einen kleinen Einblick in die Phonetik und Prosodie gewonnen hatte, begriff ich auf einmal, daß der Schwerpunkt der Sprechtätigkeit sich verlagert hatte: näher hin zu den Lippen, zum äußeren Mund. Die Zungenspitze kam plötzlich zu Ehren. Der Laut stürzte zum Verschluß der Zähne. Was mich außerdem faszinierte, war die Infantilität der italienischen Phonetik, ihre herrliche Kindhaftigkeit, die Nähe zum Kinderlallen, blisost k mladentscheskomu lepetu, hätte er darüber nachgedacht, müßte diese Eigenart des Italienischen auch den späten Tolstoi, der einzig die Kinder in ihrer Freude den Vögeln gleichstellt, begeistert haben.

Weiter spricht Mandelstam vom durch den Vokalreichtum ausgelösten Vershunger, stichotwornyj golod, des Italienischen. Im Vers, so Kurt Flasch, ebenfalls mit Blick auf Dante und eine Belehrung Fausts aufgreifend, seien die Wörter einander so freundlich. Er selbst hat die Commedia in deutsche Prosa übersetzt, da das Deutsche keinen dem Italienischen vergleichbaren Vershunger aufweist. Selysses liest Italienisch weder in Prosa noch in gebundener Sprache. Er bevorzugt die ent-bundene Sprache und greift zum Beredten Italiener, einem praktischen, überwiegend aus Vokabellisten bestehenden Hülfsbuch des Italienischen. Alles scheint hier aufs beste geordnet, so als setze sich die Welt bloß aus Wörtern zusammen, als wäre dadurch auch das Entsetzliche in Sicherheit gebracht, als gäbe es zu jedem Teil ein Gegenteil, zu jedem Bösen ein Gutes, zu jedem Verdruß eine Freude und zu jedem Unglück ein Glück: eine Weltordnung erstellt ohne viel Aufwand, um Längen weniger grandios als die Commedia, aber genauso unglaublich. Sebald hat wiederholt betont, die Prosa müsse sich nicht weniger um das Wohlbefinden der Wörter kümmern als die Lyrik. Das Deutsche hat nicht die fröhliche Kompaktheit der russischen Sätze und nicht die heitere Vokalfülle des Italienischen, aber wer wollte sagen, in den schönen weiten Sätzen des Dichters seien die deutschen Wörter in ihrer blassen Eleganz nicht liebevoll beieinander und würden sich nicht wohl fühlen.

Nel mezzo del cammin di nostra vita mi ritrovai per una selva oscura, ché la diritta via era smarrita. Im nahezu gleichen Lebensalter, als Dante in die Hölle einstieg, hofft Selysses durch eine Ortsveränderung über eine besonders ungute Zeit hinwegzukommen. Die Unrast trägt ihn erst nach Wien, dann weiter nach Italien, nicht nach Florenz, und auch in Verona, wo der größere Teil der Commedia verfaßt wurde, trifft er Dante nicht an. Vergil ging rechts vorn voraus, heißt es im Canto XIII der Purgatoriums, Dante, der, wie Mandelstam hervorhebt, auf der langen Wanderung seiner Schwindelgefühle nie Herr wird, also links hinter ihm. Noch in Wien, in der Gonzagagasse, hatte Selysses den bei Feuertod aus seiner Heimatstadt verbannten Florentiner Dichter Dante vorüberhuschen sehen. Gonzaga verweist auf Vergils Geburtsstadt Mantua. Nicht auszuschließen, daß die beiden, Dante und Vergil, insgeheim Selysses Italienreise veranlaßt haben, oft stellt das nur Angedeutete das breit Ausgeführte in den Schatten. Da aber weder der eine noch der andere Anstalten macht, ihn zu begleiten, werden Stendhal und Kafka sozusagen als Vorkommando losgeschickt.

Freude, die über allen Genuß hinausgeht. Die für Dante weit über alle anderen Freuden hinausgehende Freude ist der Anblick Beatrices im Paradies, nicht wenige haben die gesamte Commedia als ein einziges großes Liebesgedicht gelesen. In den Schwindel.Gefühlen sind die Frauengestalten nicht ganz so entrückt aber nicht weniger schön. Auch Stendhal ist nach einer längeren Reihe realer Geliebter jetzt ganz der von ihm selbst erdachten Mme Gherardi verfallen, Kafka ist bestrebt, die Schweizerin in eine literarische Gestalt zu verwandeln. Selysses ist für den Hauch eines Augenblicks mit Luciana vermählt. Auf der Heimfahrt trifft er im Zug die zugleich reale und irreale Winterkönigin, als sie in Bonn aussteigt ist sie für ihn verloren wie Beatrice für Dante bei ihrem Tod.
Die Schwindel.Gefühle enden mit dem Blick auf ein Höllenfeuer. Drastische Abschilderungen der uns alle erwartenden Pein hatte Selysses zuvor aus Gebetbüchern des 17. Jahrhunderts erfahren, die in der Bibliothek der Mathild versammelt waren, und die lautlose Klage, die seit nahezu siebenhundert Jahren von den über dem unendlichen Unglück schwebenden Engeln Giottos und Dantes erhoben wird, erklingt wie eh und je. Die Freude, die über allen Genuß (dolzore) hinausgeht, kann sie auch über allen Schmerz (dolore) hinausgehen? Dante, einmal im Paradies angelangt, hat mit dem in der Hölle zurückgelassenen Schmerz nichts mehr zu schaffen, aber seine Position als Paradiesläufer ist wahrhaft einzig. Tolstoi hat sich dem Dilemma von Freud und Leid mit aller irdischen Wucht gestellt, der Dichter stellt sich ihm mit verhalteneren Worten.

Dienstag, 11. August 2015

Sterbezimmer

Hej Boginie! Wszystko zginie

Wenn die Erinnerung nicht trügt, eröffnet Bondartschuks Verfilmung von Krieg und Frieden unmittelbar mit der Sterbeszene des Kirill Wladimirowitsch Besuchow, so daß sie noch mehr Gewicht erhält, als sie bereits im Buch hat. Llorenç Villalonga läßt einen kompletten, wenn auch eher kurzen Roman, Mort de dama, im Sterbezimmer sowie im Vorzimmer des Sterbezimmers der Obdúlia Montcada spielen. Zugang zum Sterbezimmer erhalten nur einige wenige, der Rest der vorgeblich Trauernden, vor allem aber die Aussichten auf ein Anteil am Erbe Berechnenden sind, wie auch bei Tolstoi, auf das Vorzimmer verwiesen. Ähnlich zahlreich wie die Stunden oder Tage vor dem Tod sind in der Literatur die Stunden oder Tage nach dem Tod, die Totenwache, erfaßt. Joyce hat der Totenwache, vertraut man dem Titel, mit Finnegans Wake ein umfängliches Buch gewidmet.

Nichts war ihm in der Kindheit sinnvoller erschienen als diese beiden Tage der Erinnerung, Allerheiligen und Allerseelen, Tage der Erinnerung an die Leiden der heiligen Märtyrer und der armen Seelen, an denen die dunklen Gestalten der Dorfbewohner seltsam gebeugt im Nebel herumgingen, als seien ihnen die Wohnungen aufgekündigt worden. Die bekundete frühe Hingezogenheit zu den Toten setzt sich fort und hinterläßt allenthalben Spuren im Werk. Selysses folgt den Spuren von Thomas Browne und den Fragen der Urnenbestattung. Auf Korsika fesselt ihn vor allem der Totenkult. Austerlitz wird in Wales vom Schuster Evans mit dem Reich der Toten vertraut gemacht. Später dann, bei der Erkundung Londons, wird offenbar, daß die großen Städte auf Leichenbergen erbaut sind, Gräber sind durch Gräber gegraben, bis auf dem ganzen Acker die Gebeine kreuz und quer durcheinander liegen. Es ist berechnet worden, daß in jedem aus der Grube entfernten Kubikmeter Abraum die Gerippe von durchschnittlich acht Menschen gefunden worden sind. Wen kann es da verwundern, wenn der Venezianer Malachi, der viel nachgedacht über die Auferstehung und zumal über den Satz, demzufolge unsere Gebeine und Leiber von den Engeln dereinst übertragen werden in das Gesichtsfeld Ezechiels, auf seine Fragen Antworten nicht gefunden hat.

Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh: wie dies stirbt, so stirbt er auch. Ein Stück außerhalb des besiedelten Areals im Becken des Kongoflusses stößt man auf einen Platz, an dem die von Krankheit zerstörten und von Hunger und Arbeit Ausgehöhlten zum Sterben sich niederlegen. Wie nach einem Massaker liegen sie da in dem gräulichen Dämmer auf dem Grunde der Schlucht, Schattenwesen, die jetzt frei sind, frei wie die Luft, die sie umgibt und in die sie sich nach und nach auflösen werden. Auch die Protagonisten der Vier langen Erzählungen legen sich nieder, Selwyn und Bereyter auf eine dramatische Weise, bei Aurach wissen wir nicht, welche Art des Sterbens er wählen wird. So ausführlich der Umgang mit den längst Toten ist, so kurz angebunden und einsam das Sterben. Keine Rede von einem Sterbezimmer oder einer Totenwache, auch an der Bestattung nehmen wir nicht teil. Vermerkt wird der Tod und das Doppelbegräbnis von Evelyn und Alphonso Fitzpatrick. Als sich der Trauerzug auf den Friedhof von Cutiau zubewegt wird der Blick des Lesers sogleich zu Turners Aquarellskizze Funeral at Lausanne umgelenkt, auf der mit einigen Pinselstrichen die sogleich wieder zerfließenden Visionen des Malers festgehalten sind. Mit dem Sterben im Kreise der Lebenden und, wie man dachte, unter den Augen Gottes ist es vorbei. Die Toten haben keine Nachfahren oder Erben, eine Gegenwart ohne Zukunft läuft aus oder läuft endlos dahin.

Sonntag, 2. August 2015

Dunkelkammer

Am Ende des Weges

Strauch wird von dem Famulus korrekt als Kunstmaler geführt, selbst stuft er sich als Anstreicher ein. Alle von ihm gemalten Bilder habe er längst verheizt. Ansonsten spricht er, der pausenlos auf den Famulus einredet, kaum von seiner Kunst. In künstlerischen Fragen habe er am meisten seiner Haushälterin vertraut. Von ihr, die keine Ahnung von Kunst hatte, habe er die besten Urteile gehört. Im Gegensatz zu anderen Malern, die in hellen Räumen arbeiten müssen, konnte er nur in völlig abgedunkelten Räumen malen. Es muß finster sein, dann kann ich malen. Nur in völliger Finsternis. Glaubte er, ein Bild sei fertig, zog er die Vorhänge zurück und sah, daß es nichts geworden war, daß es wieder nur ein Ansatz war, daß es nichts war, nichts, nichts, nichts. Jetzt male er ja nicht mehr. Frost handelt von einem Künstler, der, wie er sagt, mit Dreiundzwanzig eigentlich schon fertig gewesen und am Ende des Weges angekommen war.

Bei Tiepolo sah es noch ganz anders aus. Als er schon auf die Sechzig ging und bereits sehr an der Gicht litt, lag er in der Kälte der Wintermonate zuoberst auf dem Gerüst einen halben Meter unter der Decke des Treppenhauses der Würzburger Residenz mit kalk- und farbverspritztem Gesicht und trug trotz der Schmerzen in seinem rechten Arm mit sicherer Hand die Farblasur ein in das Fleck für Fleck aus dem Verputz entstehende Weltenwunderbild. Aber: Tiepolo fu adatto ad assumere il ruolo di epilogatore della pittura, almeno in quel senso particolare, singolare, irrecuperabile che aveva assunto in terra europea per cinque secoli. Dopo, restavano gli artisti, pieni di umori, capricci, estri, insofferenze. E alla fine rischiarano di non esserci più neppure loro.

Wie Bernhards Kunstmaler Strauch, so zählt auch Sebalds Kunstmaler Aurach zu den artisti pieni di umori, capricci, estri, insofferenze. Aurach arbeitet in einem vom Staub verdunkeltem Atelier. Da er die Farben in großen Mengen aufträgt und sie im Fortgang der Arbeit immer wieder von der Leinwand herunterkratzt, ist der Bodenbelag bedeckt von einer im Zentrum mehrere Zoll dicken, nach außen allmählich flacher werdenden, mit Kohlestaub untermischten, weitgehend bereist verhärteten und verkrusteten Masse, die stellenweise einem Lavaausfluß gleicht und von der Aurach behauptet, daß sie das wahre Ergebnis darstelle seiner fortwährenden Bemühungen und den offenkundigsten Beweis für sein Scheitern. Einerseits arbeitet er zehn Stunden täglich in dem düsteren Atelier, andererseits ist er mit dem Ergebnis eines Schaffens nie auch nur annähernd zufrieden und das Werk, das ihm am meisten am Herzen gelegen war, das in einer nahezu ein Jahr sich hinziehenden schweren Arbeit abgeschlossene gesichtslose Porträt Man with a Butterfly Net sei zugleich sein verfehltestes. Mit der Anerkennung, die er inzwischen in der Kunstwelt findet, und dem eingehenden großen Geld hat er nichts zu schaffen. Obwohl Aurach seinen Weg innerhalb und nicht, wie Strauch, außerhalb der Malerei fortsetzt, ist auch er längst am Ende seines Weges angelangt.
Strauch und Aurach arbeiten in Dunkelkammern, wie sie eigentlich zum Milieu des Photographen gehören. Für Austerlitz war stets der Augenblick der wichtigste, in dem man auf dem belichteten Papier die Schatten der Wirklichkeit sozusagen aus dem Nichts hervorkommen sieht, genau wie die Erinnerungen, die ja auch inmitten der Nacht in uns auftauchen und sich dem, der sie festhalten will, so schnell wieder verdunkeln, nicht anders als ein photographischer Abzug, den man zu lang im Entwicklungsbad liegenläßt. Vielleicht hat der Photograph Francis Jansen, von dem Modiano uns das wenige erzählt, das er von ihm weiß, ähnliche Freude in der Dunkelkammer empfunden. Wir lernen ihn kennen, als er, am Ende seines Weges angekommen, das Photographieren aufgibt. Merkmale seiner Kunst bleiben erkennbar, aucun goût pour le pittoresque, mais tout simplement son regard à lui, un regard dont je me rappelle l'expression triste et attentive. Die Kamera handhabt er wie John Wayne den Colt, avec désinvolture, con sprezzatura, il jetait un œil furtif sur le cadre de l'appareil, à la hauteur de sa taille, et pourtant je savais que chacune de ses photos était d'une précision extrême. Prägend aber und zugleich eine Lektion für den Erzähler ist die Nähe zum Schweigen: Une photographie peut exprimer le silence, mais les mots? Il m'avait mis gentiment au défi de suggérer moi aussi avec les mots: le silence. Ob auch die modernen Dichter pieni di umori, capricci, estri, insofferenze sind und rsikieren, di non esserci più neppure loro alla fine, dazu sagt Calasso nichts.