Dienstag, 24. November 2015

Frühe Werke

Was bleibt
In der vordringlich Modiano gewidmeten Ausgabe 1038 der Revue mensuelle littéraire Europe beschäftigen sich zwei Beiträge mit dem Erstling des Dichters, La Place de l'Étoile. Einer der Beiträge gehört zur immer etwas unangenehmen Gattung, die ausgehend von Bourdieu den Kampf um Zugang zum literarischen Feld schildert, der andere untersucht die Unterschiede zwischen der Erstausgabe und der späteren, vom Autor überarbeiteten Fassung. Alle Änderungen laufen auf eine Milderung des ursprünglichen célinesken Sturm- und Drangansatzes hinaus. Modiano hätte möglicherweise, sofern ihm kein weiteres Buch mehr gelungen wäre, Place de l'Étoile, Änderungen hin oder her, aus dem Verkehr genommen, zu sehr ist das erste Buch vom stilistischen Ideal seiner schönsten, in ihrer rauhen Schlankheit Giacomettistatuen ähnelnden Erzählungen wie Chien de Printemps oder Un Pédigree entfernt.

Welche Autoren wären im Gedächtnis geblieben, wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, nur ihr erstes Buch verfaßt hätten und dann keins mehr. Wer gerade im Ulysses gelesen hat, muß bei den Dubliners einige Gänge herunterschalten, um in langsamer Fahrt die Erzählungen überhaupt wahrzunehmen, so nahe dem Üblichen scheinen sie zu sein. Die ersten Geschichten sind kurz wie Tschechows frühe Erzählungen, die letzte, The Dead hat schon fast das Format dessen, was die Russen Powest nennen, Tschechows Скучная история etwa, die Langweilige Geschichte, und auf ihre Weise sind die Dubliners genau so langweilig, das heißt betörend wie diese. Banville erfährt bei den Dubliners, that literature could be very elevated but still be about life, about the rather grim, gray, mundane life. Banville selbst schwingt sich im weiteren Verlauf dann aber wie Joyce bis auf die Höhen der griechischen Mythologie. The Dead allein sollten, wenn es denn mit rechten Dingen zugeht, Joyce einen festen Platz im Pantheon der Dichter sichern. Det var i den Tid, jeg gik omkring og sulted i Kristiania, denne forunderlige By - Sult macht, was den Nachruhm anbelangt, Markens grøde ohne Frage überflüssig, da es ein recht schmales Bändchen ist, nehmen wir zur Sicherheit noch Pan hinzu, und Hamsun kann sich seiner Sache sicher sein. Frost ist ein unvergeßliches Buch, hat aber noch nicht den Bernhardton, zusammen mit dem ersten Satz der Verstörung ist die Angelegenheit aber, wie man sagt, in trockenen Tücher. Bei Proust geht es nicht ohne die Recherche, schon Combray allein aber würde, wenn es denn sein müßte, ausreichen für die Ewigkeit.

Kafka hat ständig geschrieben, wenig zu Ende gebracht und noch weniger veröffentlicht, alles, was zu Lebzeiten veröffentlicht wurde, kann als sein Frühwerk gelten, darunter der Landarzt, der völlig ausreicht für einen Sitz im höchsten Gremium. Eigentlich reicht jedweder Satz des Dichters aus Prag: Ein schwerer alter Kahn, verhältnismäßig niedrig und sehr ausgebaucht, verunreinigt, wie mit Schwarzwasser ganz und gar übergossen, noch troff es scheinbar die gelbliche Außenwand hinab, die Masten unverständlich hoch, der Hauptmast im obern Drittel geknickt, faltige, rauhe, gelbbraune Segeltücher zwischen den Hölzern kreuz und quer gezogen, Flickarbeit, keinem Windstoß gewachsen. Drei ganze Tage dauert es, bis die Barke, als werde sie über das Wasser getragen, leise in den Hafen von Riva schwebte. Die Barke segelt auch in Sebalds Schwindel.Gefühle, sein erstes Prosawerk, hier ist es einer der zahllosen Fäden in einem Netzwerk von Zeilen, in das er sich und die Leser auf immer einzuspinnen und zu verstricken sucht. Schöner ist ihm das nie wieder gelungen.

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