Sonntag, 8. November 2015

Seybolt

Kunstschönfärber

Keiner, der einen alten Hitchcockfilm ein weiteres Mal sieht, will die Szene verpassen, in dem der Meister, in der Regel gleich nach Beginn, für einen Augenblick kurz hineinschaut in das Leinwandgeschehen. Auch die alten Meister, darunter Grünewald etwa, haben sich gern, augenfällig oder versteckt, in ihren Bildern plaziert. Sebald, der als namenloser Erzähler in seinen Prosabänden fortwährend präsent ist, hat das, sollte man meinen, nicht nötig. Ständige Anwesenheit kann aber das diebische Vergnügen des womöglich unerkannten Kurzauftritts nicht ersetzen.

Johannes de Eyck hic fuit, heißt es auf dem Rahmen des Rundspiegels, in dem die Szene auf Miniaturformat von rückwärts noch einmal zu sehen ist. Seybolt hic fuit. Grünewald geriet ins Gespräch mit Barthel und Sebald Beham, hier mag Sebalds namentlicher Auftritt dem Realbezug geschuldet sein, Grünewald konnte Sebald nicht aus dem Weg gehen. In Nürnberg aber, wo das Patriziat durch den Rotschmied Vischer für den heiligen himelsfursten Sand Sebolten ein sarch von messing hatte machen lassen, sucht er seinen Namenpatron ausdrücklich auf. In der Geschichte des um Holz geizenden Wagners, in dessen Herd der Heilige ein Feuer aus Eiszapfen entzündete, fühlt er sich ihm eng verbunden. Immer ist diese Geschichte von der Verbrennung der gefrorenen Lebenssubstanz für ihn von besonderer Bedeutung gewesen, und er habe sich oft gefragt, ob nicht die inwendige Vereisung und Verödung am Ende die Voraussetzung ist dafür, daß man, vermittels einer Art schwindelhafter Schaustellerei die Welt glauben machen kann, das arme Herz stünde noch in Flammen. Die Geschichte des Seidenbaus in Deutschland schließlich hätte leicht ohne die Erwähnung des Kunstschönfärbers Seybolt auskommen können, der in der Seidenanstalt bey der Abhaspelung und Filirung während neun Jahren angestellt war. Kunstschönfärber, dieses Prädikat hat sich der Dichter wohl mit besonderer selbstironischer Wonne zugelegt, ist er doch wie kaum ein zweiter Erzähler der Gegenwart so unmittelbar und offen auf die Schönheit der Sätze aus.

Die Brautleute Giovanni Arnolfini und Giovanna Cenami sehen wir bei van Eyck von rückwärts in einem Kristallspiegel, wenn auch vielleicht nicht von höchster Qualität, der Dichter spiegelt sich eher in einem wie zufällig angebrachtes Messingrund, nie kann man sicher sein, er ist es, immer kann er es bestreiten, ich weiß nicht, was du sagst, ich kenne den Menschen nicht. Im Messingspiegel sehen wir den anderen Schutzheiligen, Georg, oder ist es der Dichter selbst? Wir sehen George Wyndham Le Strange, GWS, oder müssen wir WGS entziffern, wir sehen Max Aurach, ist es einer oder sind es zwei, Max und Aurach?
Von Hitchcock heißt es, seine Kurzauftritte seien ursprünglich eine Verlegenheitslösung gewesen aus Mangel an Statisten, dann habe er Vergnügen daran gefunden, aber warum wohl. Calasso erläutert, die Aufgabe der Orientalen in Tiepolos Gemälden sei es, das Bildgeschehen zu beobachten und dafür zu sorgen, daß das Bild nie unbetrachtet und allein, verlassen in der Museumsnacht, in Panik gerät - ist dieser Sorge nicht noch entschiedener begegnet in den Bildern, in die der Maler sich selbst mehr oder weniger offen eingeschlichen hat? Häufig berichten Autoren, ihr Werk würde sich nach der letzten Korrekturlesung von ihnen entfernen und ihnen die Tür verschließen. Durch die verborgen eingelassenen Spiegelbildchen seiner selbst könnte sich der Autor eine Art Leibgedinge und Bleiberecht besorgt haben. Und vielleicht, wer weiß, ist auch der Text, der verlorene Sohn, froh nicht allein und schutzlos zu sein.

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