Bibliotheken
Selysses ist die in seinem Besitz befindliche Bibliothek der Mathild in zunehmenden Maße wichtig geworden. Man kann daraus nicht den Schluß ziehen, er würde sich, in leichter Abwandlung der nicht ohne Grund viel belächelten Prophezeiung von Karl Marx, vormittags regelmäßig mit religiösen Werken spekulativen Charakters beschäftigen, am Nachmittag Traktate von Bakunin und Fourier lesen und sich abends vor dem Einschlafen bei der Lektüre des autobiographischen der Lily von Braun entspannen. Es geht nicht um Lektüre, es ist die Gestalt der Mathild selbst, von der er nicht loskommt und die vor ihm aufsteigt, wenn er nur auf die Buchrücken schaut.
In Tadeusz Konwickis sehr schönem, in der Zwischenkriegszeit spielendem Roman Dziura w niebie (Ein Loch im Himmel; gibt es überhaupt eine deutsche Übersetzung?) geht unter den Kindern und Jugendlichen des Dorfes Młyny das Gerücht um, in der alten aufgelassenen Papierfabrik würden sich Fremde niederlassen, die alles zum Besseren wenden und gleichsam eine neue Welt erschaffen würden. Die Fremden sind aber nicht aufzufinden, und schließlich glaubt nur noch der jugendliche Held des Buches, Polek* Krywko, an sie. Was er findet, als er nachts allein in die Papiernia einsteigt, ist ein riesiger Saal voller Bücher. Sie liegen in Stößen auf vom Alter verbogenen Regalen, sie bedecken in dicken Schichten den Boden, türmen sich in riesigen Stapeln. Es sind polnische Bücher, russische, jüdische und litauische, Bücher aller Nationen, die diesen Landstrich bewohnen. Die meisten haben keinen Einband und fallen auseinander wie ein vergilbtes Kartenspiel. Man kann irgendeines in die Hand nehmen und einen passenden Satz lesen. Sie enthalten nämlich alle Gedanken, Sehnsüchte und Hoffnungen ihrer Zeit. Einige haben schwarze Ecken und sind zerblättert von den Händen wohlwollender Leser, andere sind nicht einmal aufgeschnitten. Sie liegen nun allesamt vergessen als Altpapier in der Papiermühle, die nicht mehr arbeitet.
Wie konnte ein Bücherschatz dieses Umfangs und dieser Vielseitigkeit in ein abgelegenes polnisch-litauisches Dorf gelangen? - offenbar ist er herabgestürzt durch ein Loch im ansonsten bedeckten und grauen Himmel. Selysses verwahrt in den hinterlassenen Büchern die Gestalt der Mathild Seelos. Krywko erkennt in dem Büchermeer nicht die Hinterlassenschaft der erwarteten Fremden. Daß Bücher, die alle Gedanken, Sehnsüchte und Hoffnungen der Menschen enthalten, den Himmel aufreißen, kann Krywko, sporadischer Gast der Dorfschule in Młyny, nicht erkennen. Vielleicht, wenn er Gelegenheit hätte, die fraglichen Seiten in Dziura w niebie zu lesen, gingen ihm die Augen auf.
*Apoloniusz
Selysses ist die in seinem Besitz befindliche Bibliothek der Mathild in zunehmenden Maße wichtig geworden. Man kann daraus nicht den Schluß ziehen, er würde sich, in leichter Abwandlung der nicht ohne Grund viel belächelten Prophezeiung von Karl Marx, vormittags regelmäßig mit religiösen Werken spekulativen Charakters beschäftigen, am Nachmittag Traktate von Bakunin und Fourier lesen und sich abends vor dem Einschlafen bei der Lektüre des autobiographischen der Lily von Braun entspannen. Es geht nicht um Lektüre, es ist die Gestalt der Mathild selbst, von der er nicht loskommt und die vor ihm aufsteigt, wenn er nur auf die Buchrücken schaut.
In Tadeusz Konwickis sehr schönem, in der Zwischenkriegszeit spielendem Roman Dziura w niebie (Ein Loch im Himmel; gibt es überhaupt eine deutsche Übersetzung?) geht unter den Kindern und Jugendlichen des Dorfes Młyny das Gerücht um, in der alten aufgelassenen Papierfabrik würden sich Fremde niederlassen, die alles zum Besseren wenden und gleichsam eine neue Welt erschaffen würden. Die Fremden sind aber nicht aufzufinden, und schließlich glaubt nur noch der jugendliche Held des Buches, Polek* Krywko, an sie. Was er findet, als er nachts allein in die Papiernia einsteigt, ist ein riesiger Saal voller Bücher. Sie liegen in Stößen auf vom Alter verbogenen Regalen, sie bedecken in dicken Schichten den Boden, türmen sich in riesigen Stapeln. Es sind polnische Bücher, russische, jüdische und litauische, Bücher aller Nationen, die diesen Landstrich bewohnen. Die meisten haben keinen Einband und fallen auseinander wie ein vergilbtes Kartenspiel. Man kann irgendeines in die Hand nehmen und einen passenden Satz lesen. Sie enthalten nämlich alle Gedanken, Sehnsüchte und Hoffnungen ihrer Zeit. Einige haben schwarze Ecken und sind zerblättert von den Händen wohlwollender Leser, andere sind nicht einmal aufgeschnitten. Sie liegen nun allesamt vergessen als Altpapier in der Papiermühle, die nicht mehr arbeitet.
Wie konnte ein Bücherschatz dieses Umfangs und dieser Vielseitigkeit in ein abgelegenes polnisch-litauisches Dorf gelangen? - offenbar ist er herabgestürzt durch ein Loch im ansonsten bedeckten und grauen Himmel. Selysses verwahrt in den hinterlassenen Büchern die Gestalt der Mathild Seelos. Krywko erkennt in dem Büchermeer nicht die Hinterlassenschaft der erwarteten Fremden. Daß Bücher, die alle Gedanken, Sehnsüchte und Hoffnungen der Menschen enthalten, den Himmel aufreißen, kann Krywko, sporadischer Gast der Dorfschule in Młyny, nicht erkennen. Vielleicht, wenn er Gelegenheit hätte, die fraglichen Seiten in Dziura w niebie zu lesen, gingen ihm die Augen auf.
*Apoloniusz