Donnerstag, 11. Februar 2016

Nahuatl

Tod der Sprache 

Als Austerlitz im Zuge seiner Recherche die tschechische Hauptstadt Prag erreicht und in einem kleinen Hotel auf der Kampainsel ein Zimmer genommen hat, verbringt er die Nacht teils schlaflos, teils geplagt von unguten Träumen. So träumt ihm, wie er vergeblich an Hunderten von Türen läuten mußte, bis in einem der äußersten, schon gar nicht mehr zur Stadt gehörenden Vororte der Hauswart aus einer Art Verlies im Souterrain hervorkam und, nachdem er den ihm hingereichten Zettel studiert hatte, bedauernd die Schultern anhob und sagte, der Volksstamm der Azteken sei leider vor vielen Jahren ausgestorben, höchstens daß hie und da noch ein alter Papagei überlebe, welcher noch etliche Worte ihrer Sprache versteht. Träume sind nicht der Realität verpflichtet, darin besteht ihr Wesen, und so sei nur der Ordnung halber vermerkt, daß die Azteken nicht ausgestorben sind und ihre Sprache, das Nahuatl auch derzeit noch von mehr Menschen gesprochen wird, als es vielleicht Papageien gibt in Mexiko. Die Azteken und ihre Sprache sind ein Traumbild, hervorgerufen durch die Befürchtung, er, Austerlitz möchte niemanden finden, der mit ihm über seine Prager Kindheit noch sprechen könnte.

Das Bild der nur noch von der Tierwelt verwalteten Menschensprache ist zu eindrücklich, um es bei dieser Erklärung bewenden zu lassen. Wir haben die Jugend der Sprache kennengelernt, die immer gegeben ist, wenn ein Kind, so wie Austerlitz in Bala beim Schuster Evans, sie förmlich im Flug erlernt, hier treffen wir die Sprache im moribunden wenn nicht bereits postmortalen Zustand allerletzter Zuckungen. Bei den verschiedensten Gelegenheiten sieht der Erzähler die Erde entvölkert, die Menschen verschlungen von ihren Artefakten. Vom Flugzeug aus fällt sein Blick auf einen Traktor, der wie nach einer Richtschnur, quer über einen bereits abgeernteten Acker kroch, nirgends aber sah man auch nur einen einzigen Menschen. Und auch vom Zug aus war fast nirgends ein Mensch zu erblicken, wenn auch über die nassen Landstraßen genügend in dichte Sprühwolken gehüllte Fahrzeuge brausten. Die Sprache ist der früheste und großartigste Artefakt des Menschen. Der walisischen Haushälterin, Sprecherin einer gefährdeten Sprache, lauerten die Papageien regelmäßig auf, wenn sie mit einem schwarzen Hut auf dem Kopf und dem schwarzen Regendach in der Hand ins Bethaus ging, um auf das unflätigste hinter ihr herzuschreien. Das Alleinerbe der in Andromeda Lodge überwiegend gesprochenen Milliardensprache Englisch anzutreten, vermögen die Vögel im Augenblick noch nicht, aber ihre Zeit wird kommen.

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