Montag, 2. Januar 2017

Hildiswini

Reit- und Zugtiere

 
Aus dem Schweinestall mußte ich mein Gespann ziehen, ruft der Landarzt verdrossen und frohgemut zugleich, wären es nicht zufällig Pferde gewesen, hätte ich mit Säuen fahren müssen. Er hat gut daherreden, die Pferde sind ihm da längst sicher, und er mußte die Probe aufs Exempel nicht antreten. In An Béal Bocht berichtet Flann O’Brien von einem sehr engen Zusammenleben von Mensch und Schwein, man nährt sich aus demselben Topf, bewohnt dieselbe Kammer, und Fachleute kommen zu der Einschätzung, daß die Schweine das reinste Gälisch inselweit sprechen, von einem Einsatz der Schweine als Reit- und Zugtiere ist gleichwohl nicht die Rede. Aus längst vergangenen Zeiten allerdings wissen wir, daß die Göttin Freya den Eber Hildiswini als Reittier benutzt hat. Reiten mag zur Not noch angehen, wird man sagen, Schweine zwei- oder gar vierspännig vorm Wagen kann man sich aber entschieden nicht vorstellen. Der Wagen ward fortgerissen wie Holz in der Strömung, heißt es bei der Abfahrt des Landarztes, es ist mithin eine Kutschfahrt, bei der Schweine die Pferde nicht ersetzen konnten. Bei der Rückreise lesen wir dann jedoch: Er schwang sich aufs Pferd. Die Riemen locker schleifend, ein Pferd kaum mit dem anderen verbunden, der Wagen irrend hinterher. Man hat aus diversen Westernfilmen vor Augen, wie das Gespann aus bestimmten Anlaß und für eine bestimmte Zeit nicht vom Kutschbock aus, sondern von einem Reiter vorn auf dem Leitpferd gesteuert wird. Er schwang sich aufs Schwein: die Möglichkeit ist nicht auszuschließen, mußte allerdings vom Landarzt nicht bewiesen werden und wurde nicht bewiesen. Die Dämonen aber, heißt es bei Lukas, fuhren aus von dem Menschen und fuhren in die Schweine, und die Herde stürzte sich den Abhang hinab in den See und ertrank. Eher noch kann man sich vorstellen, wie die Dämonen nicht in, sondern auf die Schweine fuhren und gleichsam als berittener Trupp ins Verderben stürzten. Der Dichter, ohnehin den biblischen Lehren gegenüber skeptisch, lehnt freilich die Vorstellung vom Wohnsitzwechsel der Dämonen in Bausch und Bogen ab. Ist unserem Herrn bei der Heilung des Gadareners vielleicht ein böser Kunstfehler unterlaufen, oder haben wir hier eine von dem Evangelisten bloß erfundene Parabel vor uns über den Ursprung der angeblichen Unsauberkeit der Schweine, die, wenn man es recht bedenkt, darauf hinausläuft, daß wir unseren kranken Menschenverstand immer wieder auslassen müssen an einer anderen, von uns für niedriger gehaltenen und für nichts als zerstörenswert erachteten Art? Den alten Glauben haben sie verloren, räsoniert seinerseits der Landarzt, der Pfarrer sitzt zu Hause und zerzupft die Meßgewänder, eines nach dem anderen, aber der Arzt soll alles leisten mit seiner zarten chirurgischen Hand. Der Landarzt sieht sich als Opfer der Säkularisierung, ohne auf die biblischen Lehren weiter einzugehen. Der Dichter aber nähert sich vorsichtig einem der schweren, bewegungslos schlafenden Tiere. Langsam öffnete es sein kleines, von hellen Wimpern umsäumtes Auge und blickte ihn fragend an. Er fuhr ihm mit der Hand über den staubbedeckten, unter der ungewohnten Berührung erschauernden Rücken, strich ihm über den Rüssel und das Gesicht und kraulte ihm die Kuhle hinter dem Ohr, bis es aufseufzte wie ein vom endlosen Leiden geplagter Mensch. Jeglicher Gedanke an einen Einsatz des Schweins als Reit- oder Zugtier ist ihm fremd.

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