Samstag, 15. April 2017

Écriture cruciverbiste

Kein Feldrand

Angeregt von der rätsellösenden Penelope Peacefull in Austerlitz diagnostiziert Yahya Elsaghe* für den Roman und damit wohl auch für das Prosawerk insgesamt eine Écriture cruciverbiste. Er kommt dabei zu überzeugenden Ergebnissen, unterschlägt allerdings, daß Austerlitz selbst sich als unfähig bekennt, auch nur das einfachste dieser verdrehten englischen Kreuzworträtsel zu lösen. Da sich Austerlitz und der Erzähler immer in allem einig sind, dürfte das für beide gelten und in letzter Instanz auch für den Autor.

Es geht um Penelope Peacefulls letzte Rätseleintragung, One way to live cheaply and without tears war die Frage, Rent free ist die Antwort, das Rätsel ist gelöst, am nächsten Tag gibt es ein neues. Penelope bewegt sich damit in einem ähnlichen Rhythmus wie ihre antike Vorläuferin, die tagsüber ein Tuch webt, das sie in der Nacht dann wieder auflöst. Tägliches Weben und Auflösen, das ist, für sich betrachtet, noch unsinniger als das tägliche Lösen eines Kreuzworträtsels, hat in diesem Fall aber den bekannten handfesten Sinn, die Freier in Schach zu halten. Weben und Spinnen sind als Motiv im Prosawerk weitaus dominanter als das Lösen von Kreuzworträtseln, aber auch in dieser Disziplin ist der Erzähler nicht als Meister vom Himmel gefallen. Mit Hingabe füllte er seine Schulhefte mit einem Netzwerk von Zeilen und Zahlen, in welches er das Lehrerfräulein Rauch auf immer einzuspinnen und zu verstricken suchte mit dem Ziel, bereits im Sommer mit ihr vor den Traualtar zu treten. Daraus ist nichts geworden und vermutlich hat ihn die Enttäuschung dann all die Jahre zögern lassen, der Berufung zum Sätze verwebenden Dichter zu folgen.

Bei Schach und Billard, die auch im Werk häufiger erscheinen als das Kreuzworträtsel, geht es wie bei diesem um die Lösung einer kniffligen Aufgabe auf einem kleinen Feld. Auch hier zählen sich weder Austerlitz noch der Erzähler zu den Champions. Bei allem Reiz des Spiels auf engem Raum, Austerlitz‘ sportliches Talent beweist sich auf dem weitläufigen Rugbyfeld. Vielleicht wegen eines ihm damals noch gar nicht bewußten dumpf in ihm rumorenden Schmerzes durchquerte er in einer Art Furor und ohne Bewußtsein von der Begrenzung des Feldes mit gesenktem Kopf die Reihen der Gegner wie kein anderer.

Eine dichterische Anleitung ergibt sich aus dieser rauhen Sportart unmittelbar nicht, die wichtigsten Richtungsweise wurden vielmehr, wie Sebald in einem Gespräch einräumt, keine der genannten Spiel- und Sportarten, sondern dem Lauf du chien à travers les champs abgewonnen. Der Hund in den Feldern, das ist ein Bild begeisterter Vergeblichkeit, die Nase stets nah am Boden folgt er, keinen Feldrand wahrnehmend oder gar beachtend, den seltsamsten Linienführungen und erweckt doch den Eindruck, als wisse er genau, was es will. Was geschieht, wenn es ernst wird, hat Thomas Mann mustergültig festgehalten. Der Hase ist aufgesprungen, Bauschan ist ihm auf den Fersen, der Beobachter wünscht den Hasen alles Gute und zugleich Bauschan den Jagderfolg. Bauschan ist auf einen halben Meter herangekommen, da schlägt der Hase seinen verflixten Haken, Bauschan schießt ins Leere, statt gerade noch einem knappen halben sind es nun gleich wieder an die hundert Meter Abstand. Wahrhaft vorbildlich sind aber Hunde mit einem höherer Grad der Domestizierung, die, so wie Proust sich seine Lieblingsspeisen lieber vorstellte als vorsetzen ließ, vom realen Hasen eher verstört wären, sich mit dem Hasen im Kopf begnügen und sich ansonsten in reiner Kunstausübung dem Genuß tausender olfaktorischer Details widmen. Das olfaktorische Moment wird für den Lauf der Erzählung in Eindrücke anderer Art transformiert, der Leser der Prosa wird zum begeisterten Kyniker.

*Neue Zürcher Zeitung 10.3.2007

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