Freitag, 3. November 2017

Château-Filhot

Schwarzlackierter Strohhut

Oscar Wilde sei zu jener Zeit, schreibt Jan Parandowski in Król życia (König des Lebens), der meistbewunderte und meistgehaßte Mensch in England gewesen, selbst aber habe er sich vergöttert. 1930, als das Buch veröffentlicht wurde, waren die grellen Reaktionen auf den irischen Dandy längst abgeflaut, Sebalds Gestalten, Austerlitz, Bereyter, Aurach u.a., hätten nur mit Befremden und Unverständnis auf seine Lebensweise schauen können. Den Aufwand bei Bekleidung und Raumausstattung überspringen wir, täglich gab es minutiöse und langandauernde Absprachen mit dem Maître d'hôtel, den Kellnern und dem Koch das Dinner betreffend, Trüffel mußten aus dem Périgord sein, Austern aus dem Rocher de Cancale, an Weinen kamen Château-Filhot, Johannisberg, Pichon Longville, Sparling-Moselle in Betracht, beim Sekt Perier Jouet oder Dagonet, Zigaretten wurden aus Konstantinopel oder Istanbul geordert, für jede Sorte lag eine eigene Spitze aus Gold, Silber oder Elfenbein bereit. Aurach nimmt allabendlich im Wadi Halfa eines der grauenhaften, von einem Massaihäuptling bereiteten halb englischen, halb afrikanischen Gerichte zu sich und fühlt sich auf eine sozusagen gegenläufig perverse, dem verständigen Sebaldleser ohne weiteres einleuchtende Art wohl dabei.

Das Paar Solomon und Adelwarth hat nur einen Anflug von Ähnlichkeit mit dem Paar Wilde und Lord Douglas, umso beeindruckender ist die Leichtigkeit, mit der sich der Dichter in die in Deauville tagende Welt der Dekadenz hineinträumt, so als sei es die seine. Eine regelrechte Welle des Exotismus brach über die Stadt hinein; des musulmans moldo-valaques, des brahmanes hindous et toutes les variétés de Cafres, de papous, de Niams-Niams et de Bachibouzouks. Immer zahlreicher wurde das Publikum, bald nur noch ein einziges Meer von wogenden Hüten, über denen die Reiherfedern schwebten wie Schaumkronen über dunkel dahinlaufenden Wellen. Der Maharadscha von Kaschmir fuhr vor in seinem inwendig vergoldeten Rolls und hinter ihm her eine zweite Limousine, der eine unvorstellbar korpulente Dame entstieg. Der Ambros hatte einen gelben Leinenanzug an und auf dem Kopf einen spanischen, schwarzlackierten Strohhut. Der Cosmo aber trug trotz des strahlenden Hochsommerwetters einen flauschigen Teddymantel und eine Fliegerhaube, unter der seine blonden Locken hervorschauten – die beiden sind Lord Douglas und Wilde im Habitus um einiges nähergerückt. Ein wunderbar rosarot leuchtendes Hummertier, das langsam manchmal eines seiner Glieder rührte, lag zwischen ihnen auf einer silbernen Platte. Von der wie von einem leichten Seegang bewegten Menge der dinierenden Gäste waren nur die glitzernden Ohrringe und Ketten der Damen und die weißen Hemdbrüste der Herren zu sehen.

Man kann die skizzierte Traumsequenz mit nicht erlahmenden Genuß immer wieder in ihrer Vollständigkeit nachlesen. Das Werk des Dichters deckt, wie jedes andere Werk auch, nur einen winzigen Teil der Welt ab, und doch hat man hier, stärker noch als sonst, das Gefühl er vermöchte, Deo aeternam quasi vitam dante, alle Nischen und Lücken ausfüllen, auch die ihm von Haus aus nicht leicht zugänglichen. Dem Cosmo Solomon bereitet er ein nicht weniger trauriges und schlimmes Ende, als Wilde es hatte.
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Die Geschichte vom Untergang des Cosmo Solomon bei Sebald ist längst nicht so quälend wie die Erzählung vom Untergang des Oskar Wilde bei Parandowski. So wenig Sebald glauben kann an Hebels Welt des Gleichgewichts, in der jedes ausgestandene Unglück entgolten wird und jedes uns auf gegebene Rätsel eine Lösung hat, so unauslöschlich ist diese Welt seiner Prosa als Sehnsucht eingeprägt.

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