Montag, 6. November 2017

Ritorno in patria

Something stupid

Seitdem sich immer deutlicher zeigt, daß trotz Sanktionierung bei Feuertod die komplette Tilgung und Abschaffung des Heimatbegriffes nicht gelingt, sind die Wächter bemüht, seine Renaissance wenigstens in geeignete Bahnen zu lenken. Ihre Vorschläge sind vielfältig, stimmen aber überein in dem Merkmal, jeden Berührungspunkte mit überkommenen, intuitiven Vorstellungen von Heimat zu vermeiden. Bereits in den fünfziger Jahren schien Cioran auf dem rechten Weg zu sein, wenn er die tibetanische Einsicht notiert: La patrie n’est qu’un campement dans le désert. Leider verdirbt er schon im nächsten Satz alles und bekennt: Je donnerais tous les paysages du monde pour celui de mon enfance - die Gegend von Reschinar, nahe Hermannstadt.

Für Sebalds Erzähler liegt sein Heimatort weiter in der Fremde als jeder andere denkbare Ort. Die reale Ortschaft W. beachtet er so gut wie gar nicht und verbringt die Zeit des Aufenthalts damit, das vergangene W. seiner Kindheit hervorzurufen. Es entsteht ein Ort wie kein anderer, die Aufführung der Räuber im Saal des Engelwirts, der Großvater und die Mathild beim Kartenspiel, die Romana beim Abwischen der Tische und Bänke, die Modistin Valerie Schwarz mit geringer Körpergröße und ungeheurer Brust, das zauberhafte Lehrerfräulein Rauch, die Pyramide aus goldenen Sanellawürfeln. Ein Ort wie kein anderer, die vielleicht eingängigste Bestimmung von Heimat, in acht von zehn Fällen wird dieser Ort in der Kindheit gefunden, Combray, er entsteht erst, wenn man ihn verlassen hat, wieder betreten kann man ihn nicht. Ein Ort wie kein anderer und zugleich weiter in der Fremde als jeder andere denkbare Ort, unerreichbar. Cioran erlebt seine nach eigenen Worten überaus glückliche Kindheit in der verlorenen Heimat als besonderes Verhängnis, umso tiefer war dann der Sturz, la chute dans le temps, mit einem Henker als Vater, so denkt er, wäre es nicht so tief herabgegangen.

Die Muttersprache kann man als tragbare Heimat im Gepäck haben. Cioran hat als Schriftsteller seine Muttersprache aufgegeben, und von allen Seiten wird ihm bestätigt, erst das Französische habe seine Schriften hinreichend diszipliniert und damit lesbar gemacht, gleichwohl hat er sich außerhalb des Rumänischen zeit seines Lebens unwohl gefühlt. Sebald läßt in seinen Büchern wiederholt Gestalten auftreten, die die deutsche Sprache meiden, ihren Klang nicht mehr ertragen. Selbst aber hat er als Prosadichter offenbar nie daran gedacht, das Deutsche aufzugeben, er hat es in einem nicht von der schlimmen Zeit kontaminierten Zustand bewahrt und konnte daher auch auf die Reinigungsmaßnahmen des neuen Deutschland verzichten.

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