Mittwoch, 16. Mai 2018

Koinzidenz

Diné

Seit jeher mit der Sehnsucht gelebt zu haben, man könne mit irgendetwas koinzidieren, ohne in Wahrheit genau zu wissen womit. - Wann überhaupt aber liegt eine Koinzidenz vor? Casanova habe, wie es heißt, als es darum ging, den geeigneten Tag für seinen Ausbruch aus den Bleikammern des Dogenpalastes zu berechnen, nach einem äußerst komplizierten, hier im einzelnen nicht zu beschreibenden Verfahren den Orlando Furioso befragt und sei schließlich, in dreimaliger Operation, durch das Abziehen der Zahl 9 von jedem Ziffernpaar auf die erste Zeile der siebten Strophe gekommen, welche lautet: Tra il fin d’ottrobre e il capo di novembre. Die auf den Stundenschlag genaue Angabe war für Casanova der entscheidende Fingerzeig, denn in der Ungeheuerlichkeit solcher Koinzidenz glaubte er ein Gesetz am Werk, das auch dem klarsten Denken nicht zugänglich ist und dem er sich deshalb unterordnete. Wer aber beschreibt die Verwunderung, ja den Schrecken, den der Dichter bekennt, als, wie er feststellt, sein Agendabuch den letzten Oktobertag als den Tag ausweist, an dem er, die Notizen Grillparzers lesend, in der Bar an der Riva degli Schiavoni gesessen war. Ist auch der Dichter dem Koinzidenzglauben verfallen oder mokiert er sich über ihn – es ist nicht auszuschließen, daß sowohl das eine wie auch das andere zutrifft.

Cioran fährt fort: Es ist leicht, vom Glauben zum Unglauben überzuwechseln und umgekehrt. Koinzidenzgläubigkeit ist gewissermaßen der Bodensatz des Glaubens, von dort aus kann der Gläubige sich aufschwingen, dahin kann er abstürzen. Der Dichter kennt nur die Abwärtsbewegung, der heilige Franz liegt in einem schwankenden Schilfbeet mit dem Kopf nach unten im Wasser und auf der gleichen Ebene schreitet die heilige Katharina über die Sümpfe. Die lautlose Klage der über dem unendlichen Unglück schwebenden Engeln wird seit nahezu siebenhundert Jahren erhoben, der ursprünglich beweinte Erlöser aber ist unten aus dem Bild gestürzt. Mrs. Ashbury, die auf ihrer Himmelfahrt fast schon den Plafond durchbrochen hatte, fällt zurück auf den Boden, gelingende Aufwärtsbewegungen wie die des fliegenden Personals gehen allein auf säkulare Anlässe zurück.

Von den Navajos, Diné, wird berichtet, sie hätten sich allen Missionierungsversuchen gegenüber besonders renitent verhalten. Die Vorstellung eines Gottes, der aufwendig Himmel und Erde erschafft, um sich in der Folge dann exklusiv nur noch um die Menschen zu kümmern, das war in ihren Augen ein Gipfel der Absurdität, den sie nicht erklimmen wollten. Koinzidenzen, heißt es weiter, hätten sie nach Möglichkeit auf ein rationales Erklärungsmuster zurückgeführt. Wer will ihnen widersprechen? Sicher nicht der Dichter und schon gar nicht in dem Augenblick, als er sich den schweren, bewegungslos schlafenden Tieren (Bisóodi) nähert, sich langsam zu einem niederbeugt, bis es sein kleines, von hellen Wimpern umsäumtes Auge öffnet und ihn fragend anblickt, als er ihm mit der Hand über den staubbedeckten, unter der ungewohnten Berührung erschauernden Rücken fährt, ihm über den Rüssel und das Gesicht streicht und ihm die Kuhle hinter dem Ohr krault, bis es aufseufzt wie ein von endlosem Leiden geplagter Mensch.

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