Donnerstag, 3. Januar 2019

Karte und Territorium

Enttäuscht

Immer wenn der Großvater mit der Mathild kartenspielte, studierte der Junge währenddessen den alten Atlas, im Sommer draußen in einem Gartensessel, das Kartenwerk vor sich auf einem grünen Blechtisch, in der schlechten Jahreszeit mit dem Atlas auf den Knien auf dem oberen Absatz der Stiege. Auf den Garten scheint er nicht weiter achtzugeben, jedenfalls erfahren wir nichts Näheres, im Stiegenhaus ist er abgeschlossen von der Außenwelt. Alle Konzentration wird gebraucht für die Entzifferung der winzigen Beschriftung kaum erst entdeckter Erdteile, Schriftzeichen, die alles nur Ausdenkbare an Geheimnissen zu enthalten schienen. Auch später, im Erwachsenenalter, neigt der Erzähler dazu, der Weltabstraktion den Vorzug zu geben vor der Welt. Von allen Sehenswürdigkeiten ist er maßlos enttäuscht und meint oft, er wäre besser zu Hause geblieben bei seinen Landkarten und Fahrplänen. Als der Dichter aus dem hohen Fenster des Zimmers schaut, in das Catherine Ashbury ihn einweist, sieht er nichts, was sich üblicherweise als Sehenswürdigkeit beschreiben ließe, wohl aber eine den Menschen eher froh stimmende Landschaft, ein schönes, vom Wind durchwogtes Stück Weideland hinter den Dächern der Stallungen und Remisen und dem Gemüsegarten, weiter in der Entfernung blinkte von einer Flußkrümmung her das seitwärts dem tiefen Ufer zuströmende Wasser. Dahinter waren Bäume in mancherlei Grün und darüber die schwache gegen das Himmelsblau sich abhebende Linie der Berge des Sliabh Bladhma. In dem saalartigen Raum selbst hatte man die Vorhänge und die Tapeten abgenommen. Die kalkweißen, wie die Haut eines absterbenden Leibs von bläulichen Schlieren unterlaufenen Wände glichen einer jener bewundernswerten Karten des höchsten Nordens, auf denen fast nichts verzeichnet ist. – Wird das bisher erkennbare Verhältnis von bevorzugter Karte und vernachlässigtem Territorium bestätigt oder widerrufen? Die Aussicht, das Territorium ist eindrucksvoll aber nicht überwältigend, eine Karte ist nicht vorhanden, Schlieren an der Wand erinnern an weitgehend merkmalslose Karten aus dem menschenleeren höchsten Norden. Der Nihilismus des Dichters wird sichtbar, die ihn immer wieder heimsuchende Vision einer von den Menschen befreiten Welt, Gebirge ohne Namen, Flüsse ohne Namen, Städte ohne Namen, keine Städte, Straßen ohne Namen, keine Straßen, weit und breit kein Kartograph in Sicht.

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