Dienstag, 8. Januar 2019

Uhrenzeit

China und sonstwo

Szerucki verflucht die Simplizität der Uhren, die es nicht erlaubt, die Zeit zu wenden und zurückzufahren zu dem Augenblick, als das Leinwandidol auf den Bahnsteig in Breslau spurtet. Bei der Wiederholung würde entweder der schon oft geübte Sprung auf den bereits anfahrenden Zug gelingen, oder der Zug wäre gerade zum Bahnhof hinaus, und Zbigniew Cybulski hätte, wie auch andere, ob nun geduldig oder ungeduldig auf die nächste Verbindung nach Warschau gewartet - aber sie Uhren spielen nicht mit. Od dawna już nie nosiłem zegarka, selbst trägt Szerucki schon keine Uhr mehr mit sich, sie störe ihn, mit einer Uhr fühle er sich unwohl. Er erweist sich als Gesinnungsgefährte des noch radikaleren Austerlitz, der betont, nie eine Uhr auch nur besessen zu haben, weder einen Regulator, noch einen Wecker, noch eine Taschenuhr, und eine Armbanduhr schon gar nicht. Eine Uhr sei ihm immer als etwas Lachhaftes vorgekommen, wie etwas von Grund auf Verlogenes. Auch Austerlitz verspürt den Drang, sich entgegen der Zeit zu bewegen, hinter sie zurückzulaufen. Der Dichter selbst hatte sich auf seinen Gängen durchs Dorf an der Hand des Großvaters schon früh an das Treiben der Uhren gewöhnt. Die Türschelle schepperte und gleich darauf standen wir in dem kleinen Uhrenladen des Uhrmachers Ebentheuer, in dem eine Unzahl von Standuhren, Regulatoren, Wohnzimmer- und Küchenuhren, Weckern, Taschen- und Armbanduhren durcheinandertickten, gerade so als könne ein Uhrwerk allein nicht genug Zeit zerstören. Zu seiner späteren, reifen Einstellung zur Uhr äußert er sich an dieser Stelle nicht. Der chinesische Kaiser Qiánlóng war, Ransmayr zufolge, ein Enthusiast außergewöhnlicher Uhren. An eine die Zeit rückwärtsbefördernde Uhr hat er nicht zu denken gewagt, wohl aber an die unterschiedlichen Zeitbedürfnisse angepaßte Uhren, eine Uhr eingestellt auf das Zeiterleben eines Kindes, eine andere für das Zeiterleben eines alten Mannes &c. Von dem noch kindlichen Prinzen Kuang-hsu, Jahrhunderte später, wird berichtet, er habe seine größte Freude beim Zerlegen mechanischer Spielzeuge und Uhrwerke gefunden. Bevor er noch den Thron besteigen konnte, hatte ihm seine Tante und kommissarische Kaiserin Tzu-hsi die Lebenszeit freilich schon abgestellt. Tzu-hsi selbst hatte keine Ader für die mechanische Zeitmessung. Mit besonderer Vorliebe saß sie, zumal in der Nacht, ganz für sich zwischen den Stellagen und lauschte, von aller Zeitnahme befreit und zugleich verschmolzen mit dem Zeitverlauf, hingebungsvoll auf das leise, gleichmäßige, ungemein beruhigende Vertilgungsgeräusch, das von den ungezählten, das frische Maulbeerlaub zernagenden Seidenwürmern kam. - Richtungswechsel, zerstören, individuelle Anpassung, verschmelzen, nichts kann wirklich gelingen und niemand kann mit der Zeit, dem rätselhaftesten, tödlichen Teil der Schöpfung, zufrieden sein, das machen die Uhren mehr als deutlich.

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