Samstag, 14. November 2020

Telephon

Zurück zum Wendepunkt


Er glaubte, seiner seit Tagen anhaltenden Sprachlosigkeit durch einen Telefonanruf ein Ende machen zu können, die drei oder vier Personen aber, mit denen er unter Umständen hätte reden wollen, waren alle auswärts und auch durch das längste Läutenlassen nicht herbeizubringen. Hat er tatsächlich versucht anzurufen, wo wir doch sonst fast nie davon hören, daß er zum Telephon greift? Man nimmt an, daß die Treffen mit Herbeck, Salvatore Altamura, Farrar, dem Ehepaar Hamburger, Alec Garrard sowie zahlreiche Treffen in Amerika telephonisch vereinbart wurden, ausdrücklich bestätigt wird das nicht. Anne Hamburger bestellt telephonisch ein Taxi, als der Besuch in ihrem Hause endet. Der Dichter steht, wie er mehrfach hervorgehoben hat, in der Nachfolge der Erzähler des 19. Jahrhunderts, als es für eine Weile noch schien, als könne alles anders kommen können, als es dann tatsächlich kam. Zahlreiche Romane aus dieser Zeit würden geradezu in sich zusammenfallen, wenn man die Figuren nachträglich mit einem Telephon ausrüsten wollte. Dostojewskis späte Romane Бесы und Братья Карамазовы etwa leben in nicht geringem Ausmaß vom fernsprechfreien Botenwesen. In Бесы ist der Icherzähler Anton Lawrentjewitsch G. ständig unterwegs zwischen den Parteien, er bestimmt den Tonfall des Buches. In Карамазовы fällt die Rolle des Botengängers gar dem von Dostojewski zum Protagonisten des Romans erklärten Aleksej Karamasow zu. Sicherlich will der Dichter sich nicht nachträglich in die Reihe der Autoren des neunzehnten Jahrhunderts einreihen, indem er mehr oder weniger auf das Telephon verzichtet, er spricht aber dem, was nach dem Zeitpunkt kam, vor dem vielleicht alles noch hätte anders kommen können, keine maßgebliche Bedeutung zu. Die digitalen Erweiterungen des Telephons wie E-Post und Internet bleiben von der Prosa ausgeschlossen, allerdings waren sie in der erzählten Zeit auch noch nicht ausgereift. Der sparsame Umgang mit technischen Gerät betrifft nicht allein das Nachrichtenwesen, sondern in gleichem Maße die Verkehrsmittel. Die schon das neunzehnte Jahrhundert prägende Eisenbahn bleibt unbehelligt. Das Automobil hingegen findet kaum Gnade, es hat nur wenige gute Momente, so etwa, als der Onkel Kasimir es so langsam bewegt, daß es schon wider seine Natur ist, so langsam, wie man noch nie jemand auf freier Strecke hat fahren sehen. Der Zenit dessen, was sich positiv zum Auto sagen läßt, ist erreicht, als der Erzähler dank der zeitlupenhaft langsamen Überholvorgänge auf dem Highway Zeit findet, mit den Insassen des Nachbarautos wortlos Freundschaft schließen kann. Auch das Flugzeug als Verkehrsmittel findet keine Zustimmung. Der erste Flug des Erzählers, von Zürich nach Manchester, ist kein beglückendes Erlebnis, den Flügen in die USA wird als solchen keine Beachtung geschenkt, man steigt auf an dem einen Ort und landet an dem anderen, mehr ist nicht zu sagen. Eine ganz andere Kategorie sind die Cessnas y similares, die den mythischen Menschheitstraum vom Fliegen technisch umsetzen. Irgendwann aber trifft auch Gerald Fitzpatrick das Schicksal des Ikaros, er kehrt von einem seiner Flüge über die Alpen nicht zurück.

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