Gestell
Philosophie war kein Gebiet, auf dem Sebald territoriale Ansprüche erhoben hätte. Wittgenstein hat er bewundert, ohne sich aber, wie er freimütig einräumt, groß mit seinem Denken zu beschäftigen oder es gar zu verstehen. Mit Heidegger hatte er eindeutig nichts am Hut, nicht zuletzt nimmt er ihm sein Literaturverständnis und die Art des Umgangs mit Johann Peter Hebel übel:
Es ist auch ein Stück deutscher Geistesgeschichte, wie wenig die Fürsprache der jüdischen Autoren in den zehner und zwanziger Jahren für den Nachruhm Hebels vermochte, und wie groß im Gegensatz dazu die Wirkung gewesen ist, als die Nationalsozialisten den Heimatschriftsteller aus dem Wiesental für sich reklamierten. Mit welch falschem neogermanistischem Zungenschlag diese Vereinnahmung sich präsentierte und wie lange sie vorhielt, das hat Robert Minder anhand von Heideggers Rede über Hebel aus dem Jahr 1957 gezeigt, die sich in ihrem ganzen Duktus in nichts von dem unterschied, was während der Faschistenherrschaft vorgebracht wurde von Josef Weinheber und anderen Hütern des deutschen Erbes, die glaubten, ihr Jargon sei unmittelbar aus der Sprache des Volks entsprungen. Als ich 1963 in mit dem Studium begann, war das alles noch kaum unter den Teppich gekehrt, und nicht selten habe ich mich seither gefragt, wie trüb und verlogen unser Literaturverständnis wohl geblieben wäre, hätten uns die damals nach und nach erscheinenden Schriften Benjamins und der Frankfurter Schule, die ja eine jüdische Schule zur Erforschung der bürgerlichen Sozial- und Geistesgeschichte gewesen ist, nicht andere Perspektiven eröffnet. Jedenfalls was mich selber betraf, so hätte ich ohne die Beihilfe Blochs und Benjamins den Zugang zu dem von Heidegger umnebelten Hebel schwerlich gefunden.
Sebalds Position beruht in erster Linie wohl auf einem geradezu kreatürlichen Abscheu vor dem sprachlichen und gedanklichen Duktus der Rede, die aber als Grundlage für ein Urteil über die Philosophie Heideggers nicht ausreicht. Er hatte vielleicht gehofft, Heideggers Philosophie habe sich dann durch Adornos Schrift Jargon der Eigentlichkeit insgesamt erledigt, eine Hoffnung, die neben vielen anderen auch Adorno selbst gehegt haben mag. Heidegger hat aber eine große Zahl solcher von seinen Gegnern als endgültig erachteten Niederschlägen eingesteckt und sich doch immer wieder aufrappelt, nicht zuletzt dank der Hilfe von Autoren außerhalb des deutschen Sprachraums, die sich mit deutschinternen Schriften wie der Rede auf Hebel weniger beschäftigt hatten und die auch dem natürlichen Schauder vor Heideggers eigentümlichen, nur in der deutschen Sprache möglichen Wortbasteleien weniger direkt ausgesetzt waren. Sprachlich mußte sich Sebald von Heidegger nicht trennen, da es eine Nähe nie gegeben hat. Adornos Jargon des forschen Besserwissens dagegen, deklariert als Kritik des Bestehenden, dies aber von einem unzureichend kaschierten archimedischen Punkt aus, ist in Sebalds frühen literaturkundlichen Arbeiten deutlich vernehmbar, im Prosawerk dann aber verstummt.
Calasso, ein ausgewiesener Bewunderer Adornos, Benjamins ohnehin, aber auch Heideggers, ist als Schiedsrichter besonders geeignet. Das schlichte Wort Gestell wird bei Heidegger durch Autonomisierung der Silben zu Ge-stell und steht in dieser Form für Technik. Das Ganze läuft beim Philosophen nicht auf die übliche Technikkritik hinaus, die einmündet in die Platitüde, man müsse nur darauf achten, daß sie, die Technik, uns und nicht wir ihr dienen: schon bei Hegel hatte sich der Herr vergeblich bemüht, dem Knecht diese Weisheit einzubleuen. Technik ist kein isoliertes Phänomen der Neuzeit, das Gestell, als Ge-stell zum Begriff geworden, führt zurück zum Ursprung des europäischen Denkens, zur Trennung des Menschen von der Welt und zu deren Bereit- und Zurechtstellung für die Nutzung, in die dann der Mensch als sein eigenes Opfer wieder einbezogen ist. So kann der Begriff des Ge-stells als der tieferliegende Ansatz sowohl Marx' Verwandlung der Welt in Ware oder Adornos Kritik der Kulturindustrie untermauern und tragen.
Wie auch immer, auch das Fernliegende kann uns auf verborgene Weise nahestehen. Beim Dichter stellt sich immer wieder ein Eindruck ein, als habe die Menschheit sich verstiegen im Gestell und sei in ihm verschwunden. Großstädte wie Manchester sind menschenleer. Oft auch hat er in den verschiedensten Städten mit wachem Entsetzen auf die Brandung des Verkehrs gehorcht hat und ist im Verlauf der Jahre zu dem Schluß gelangt, daß aus diesem Getöse jetzt das Leben entsteht, das nach uns kommt und das uns langsam zugrunde richten wird. Eigenartig berührt ihn beim Blick aus einem fahrenden Zug, daß nirgends ein Mensch zu erblicken war, wenn auch über die nassen Landstraßen genügend in dichte Sprühwolken gehüllte Fahrzeuge brausten. Vom Flugzeug aus sieht er weit unter sich einen Traktor, der, wie nach der Richtschnur, quer über einen bereits abgeernteten Acker kroch und ihn in eine hellere und eine dunklere Hälfte teilte, nirgends aber sah man auch nur einen einzigen Menschen. - Auch dies sind keine Wahrnehmungen nur der momentanen Gegenwart. Der Knecht hat erst nach langer Zeit die Geduld verloren, jetzt schlägt er zurück und der vermeintliche Herr ist wehrlos, seine dialektischen Finten verfangen nicht mehr.
Philosophie war kein Gebiet, auf dem Sebald territoriale Ansprüche erhoben hätte. Wittgenstein hat er bewundert, ohne sich aber, wie er freimütig einräumt, groß mit seinem Denken zu beschäftigen oder es gar zu verstehen. Mit Heidegger hatte er eindeutig nichts am Hut, nicht zuletzt nimmt er ihm sein Literaturverständnis und die Art des Umgangs mit Johann Peter Hebel übel:
Es ist auch ein Stück deutscher Geistesgeschichte, wie wenig die Fürsprache der jüdischen Autoren in den zehner und zwanziger Jahren für den Nachruhm Hebels vermochte, und wie groß im Gegensatz dazu die Wirkung gewesen ist, als die Nationalsozialisten den Heimatschriftsteller aus dem Wiesental für sich reklamierten. Mit welch falschem neogermanistischem Zungenschlag diese Vereinnahmung sich präsentierte und wie lange sie vorhielt, das hat Robert Minder anhand von Heideggers Rede über Hebel aus dem Jahr 1957 gezeigt, die sich in ihrem ganzen Duktus in nichts von dem unterschied, was während der Faschistenherrschaft vorgebracht wurde von Josef Weinheber und anderen Hütern des deutschen Erbes, die glaubten, ihr Jargon sei unmittelbar aus der Sprache des Volks entsprungen. Als ich 1963 in mit dem Studium begann, war das alles noch kaum unter den Teppich gekehrt, und nicht selten habe ich mich seither gefragt, wie trüb und verlogen unser Literaturverständnis wohl geblieben wäre, hätten uns die damals nach und nach erscheinenden Schriften Benjamins und der Frankfurter Schule, die ja eine jüdische Schule zur Erforschung der bürgerlichen Sozial- und Geistesgeschichte gewesen ist, nicht andere Perspektiven eröffnet. Jedenfalls was mich selber betraf, so hätte ich ohne die Beihilfe Blochs und Benjamins den Zugang zu dem von Heidegger umnebelten Hebel schwerlich gefunden.
Sebalds Position beruht in erster Linie wohl auf einem geradezu kreatürlichen Abscheu vor dem sprachlichen und gedanklichen Duktus der Rede, die aber als Grundlage für ein Urteil über die Philosophie Heideggers nicht ausreicht. Er hatte vielleicht gehofft, Heideggers Philosophie habe sich dann durch Adornos Schrift Jargon der Eigentlichkeit insgesamt erledigt, eine Hoffnung, die neben vielen anderen auch Adorno selbst gehegt haben mag. Heidegger hat aber eine große Zahl solcher von seinen Gegnern als endgültig erachteten Niederschlägen eingesteckt und sich doch immer wieder aufrappelt, nicht zuletzt dank der Hilfe von Autoren außerhalb des deutschen Sprachraums, die sich mit deutschinternen Schriften wie der Rede auf Hebel weniger beschäftigt hatten und die auch dem natürlichen Schauder vor Heideggers eigentümlichen, nur in der deutschen Sprache möglichen Wortbasteleien weniger direkt ausgesetzt waren. Sprachlich mußte sich Sebald von Heidegger nicht trennen, da es eine Nähe nie gegeben hat. Adornos Jargon des forschen Besserwissens dagegen, deklariert als Kritik des Bestehenden, dies aber von einem unzureichend kaschierten archimedischen Punkt aus, ist in Sebalds frühen literaturkundlichen Arbeiten deutlich vernehmbar, im Prosawerk dann aber verstummt.
Calasso, ein ausgewiesener Bewunderer Adornos, Benjamins ohnehin, aber auch Heideggers, ist als Schiedsrichter besonders geeignet. Das schlichte Wort Gestell wird bei Heidegger durch Autonomisierung der Silben zu Ge-stell und steht in dieser Form für Technik. Das Ganze läuft beim Philosophen nicht auf die übliche Technikkritik hinaus, die einmündet in die Platitüde, man müsse nur darauf achten, daß sie, die Technik, uns und nicht wir ihr dienen: schon bei Hegel hatte sich der Herr vergeblich bemüht, dem Knecht diese Weisheit einzubleuen. Technik ist kein isoliertes Phänomen der Neuzeit, das Gestell, als Ge-stell zum Begriff geworden, führt zurück zum Ursprung des europäischen Denkens, zur Trennung des Menschen von der Welt und zu deren Bereit- und Zurechtstellung für die Nutzung, in die dann der Mensch als sein eigenes Opfer wieder einbezogen ist. So kann der Begriff des Ge-stells als der tieferliegende Ansatz sowohl Marx' Verwandlung der Welt in Ware oder Adornos Kritik der Kulturindustrie untermauern und tragen.
Wie auch immer, auch das Fernliegende kann uns auf verborgene Weise nahestehen. Beim Dichter stellt sich immer wieder ein Eindruck ein, als habe die Menschheit sich verstiegen im Gestell und sei in ihm verschwunden. Großstädte wie Manchester sind menschenleer. Oft auch hat er in den verschiedensten Städten mit wachem Entsetzen auf die Brandung des Verkehrs gehorcht hat und ist im Verlauf der Jahre zu dem Schluß gelangt, daß aus diesem Getöse jetzt das Leben entsteht, das nach uns kommt und das uns langsam zugrunde richten wird. Eigenartig berührt ihn beim Blick aus einem fahrenden Zug, daß nirgends ein Mensch zu erblicken war, wenn auch über die nassen Landstraßen genügend in dichte Sprühwolken gehüllte Fahrzeuge brausten. Vom Flugzeug aus sieht er weit unter sich einen Traktor, der, wie nach der Richtschnur, quer über einen bereits abgeernteten Acker kroch und ihn in eine hellere und eine dunklere Hälfte teilte, nirgends aber sah man auch nur einen einzigen Menschen. - Auch dies sind keine Wahrnehmungen nur der momentanen Gegenwart. Der Knecht hat erst nach langer Zeit die Geduld verloren, jetzt schlägt er zurück und der vermeintliche Herr ist wehrlos, seine dialektischen Finten verfangen nicht mehr.
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