Dienstag, 15. Dezember 2020

Feinschmecker

Allein und zu zweit 


Mir ist eigentlich egal, was ich esse, wenn es nur immer das Gleiche ist. So mancher, der versucht, dem immer stärker werdenden Druck zur Gourmandise zu widerstehen, dankt Wittgenstein für seine rückhaltlose Unterstützung. Konstantin Lewin, Tolstois Wunschbild seiner selbst, kommt auch ohne Wittgensteins Hilfe zurecht, in kulinarischer Hinsicht ist er ein Vorläufer des Philosophen. Sein Jugendfreund Stepan Oblonski lädt ihn in ein Nobelrestaurant ein und zelebriert die Bestellung des Menüs und der Weine. Abgesehen davon, daß er nach seiner Gewohnheit ein schlichtes ländliches Gericht vorziehen würde, ist Lewin alles recht. Gefragt, wie es ihn schmeckt, muß er auf den Teller schauen, er weiß gar nicht, was er gerade zu sich nimmt, immun gegen die Feinschmeckerei mundet ihm eins wie das andere. Abgesehen von dem grandiosen Frühstück in der Goldenen Traube, Verona, kommt auch der Dichter mit Feinkost nicht in Berührung, weder die Fischschnitte in Lowestoft noch die Pizza in Verona verdienen diese Einstufung. In Begleitung Aurachs diniert er wiederholt im Wadi Halfa, einer seltsamen, von Afrikanern betriebenen Restauration in Manchester. Aurach kehrt jeden Abend im Wadi Halfa ein, die grauenhaften, halb englischen, halb afrikanischen Gerichte sind ihm offenbar gerade recht, und auch der Dichter sieht keinen Anlaß zur Klage. Gerichte nur wenig oberhalb der Grenze zum Ungenießbaren als Lieblingsspeise, das ist das radikale Erbe Wittgensteins.

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