Dienstag, 15. Dezember 2020

Versteckte Namen

Zwei Erzähler


Wenn man die Dämonen (Бесы) zu Recht für Dostojewskis gelungenstes Werk hält, weiß man auch, daß das nicht zuletzt ein Verdienst des fiktiven Erzählers Anton Lawrentjewitsch G-w ist. Nahezu das gesamte restliche Personal des Romans ist verhaltensauffällig, den noch jungen Erzähler zeichnen Solidität und verläßliche Bürgerlichkeit aus, er verleiht damit dem Roman seine besondere schräge Tonlage, gründend auf dem zwiespältigen Miteinander einer Häufung von Unvernunft jeglicher Art auf der einen und einsamer biederer Vernunft auf der anderen Seite. Warum die Verkürzung G-w und nicht der volle Name wie bei allen anderen Figuren des Romans? Sebalds Erzähler, das kann einem bei dieser Frage einfallen, ist sogar gänzlich namenlos. Ab und zu scheint es Hinweise zu geben, daß der Erzähler den Namen des Autors teilt, ein sicherer Beleg dafür scheint der vom Konsulat in Mailand, wie auf einem Photo erkennbar, auf den Namen Sebald ausgestellte neue Reisepaß zu sein. Die die Prosa begleitenden Photographien sind aber nicht zuverlässig, auch der photographierende Austerlitz sieht in der Spiegelung der Schaufensterscheibe des Antikos Bazar dem Autor verblüffend ähnlich. In den Schwindel.Gefühlen hätte sich der Autor demnach im Erzähler eingenistet, in Austerlitz in der Gestalt des Protagonisten. G-w hat einen eigenen, festen Namen, die Verkürzung betont seine singuläre Stellung als Hotspot der Vernunft auf verlorenem Posten.  

Auf seine eigene Person, sein eigenes Leben geht G-w so gut wie gar nicht ein. Er ist offenbar ledig, Feund und Vertrauter des Stepan Trofimowitsch Werchowenskij und vor allem der fiktive Verfasser des Romans. Er selbst bezeichnet sich als Chronist des Geschehens, der sich wenige Monate, nach dem alles vorüber ist, an die Arbeit macht. Alles ist vorbei, aber noch nichts ist abgekühlt. Бесы unterliegen einem Rhythmus von Steigerung hin zu einem Eklat oder zu einem Verbrechen und einer Rückkehr zum Alltagsverlauf bis zum nächsten Skandal. Die  ruhigen Passagen schildert G-w in Chronistenmanier. Schwieriger ist es mit den oft über endlose Seiten sich erstreckenden Gesprächsprotokollen, die der Erzähler unmöglich wortwörtlich memoriert haben kann, er hat sie für die Niederschrift wohl neu inszeniert. Was aber ist mit den Zwiegesprächen wie sie etwa Stawrogin ohne Beisein eines Dritten mit Schatow, Kirillow und anderen führt? Hier hat Dostojewski offenbar ohne weitere Skrupel G-w für eine bestimmte Zeit gegen einen allwissenden Hintergrunderzähler ausgetauscht, der nicht als Figur im Roman auftritt. Der Höhepunkt des Romans, der zugleich Anton G-w zu seinem gelungensten Auftritt verhilft, ist die in ein völliges Chaos abgleitenden Kulturveranstaltung der Gouverneurin. Rückblickend kritisiert Anton G-w in scharfer Weise das Veranstaltungskonzept und legt die im Hintergrund ablaufenden  Intrigen und Sabotageakte der revolutionären Kräfte bloß, er erzählt auch vom Scheitern seiner eigenen  aufopfernden Versuche, das Schlimmste zu verhindern. In den folgenden Kapiteln ist intermittierend der gestaltlose allwissende Erzähler wieder mehrfach an der Reihe. Auch an Stepan Trofimowitsch’s letzter Wanderschaft, die Tolstois letzte Wanderschaft zum Tod vorwegnimmt, ist Anton G-w nicht beteiligt. Erst das Schlußwort, das auf wenigen Seiten das ganze Unheil noch einmal überfliegt, kann im wesentlichen wieder ihm zugerechnet werden.

G-w hat keine Ähnlichkeit mit Dostojewski, Sebalds Erzähler hat große Ähnlichkeit mit dem Autor.  Wie aber würde man sich den Erzähler vorstellen, wenn der Autor, so wie Homer oder auch, jedenfalls für längere Zeit, wie B. Traven oder Elena Ferrante unbekannt wäre? Verschiedene Merkmale und Themen die dem Erzähler am Herzen liegen, tauchen immer wieder auf. Der Erzähler ist umweltbewußt, eine auf Verbrennung, brucia continuamente, beruhende Zivilisation hält er nicht für bestandsfähig. Er beklagt, die Vernichtung und das Sterben der Wälder. Bei alldem neigt er eher zum Defaitismus als zum Aktivismus. Ein anders Motiv: Wenn der Erzähler uns begegnet, ist er fast immer auf Reisen, andererseits verabscheut er kaum etwas mehr als das reisenden Ferienvolk. Auch selbst denkt er oft, er sei besser zuhaus geblieben, bei seinen Fahrplänen und Landkarten. Und weiter, in einer katholischen Gegend aufgewachsen, ist ihm die Glaubenswelt nachhaltig fremd geworden, jedenfalls jeder Glauben an einen speziell dem Menschen und nicht allen Geschöpfen verpflichteten Gott.  Welcher bekannte deutsche Autor könnte sich hinter einem Erzähler mit diesen Merkmalen verbergen, so würde man fragen, wenn man die Antwort nicht wüßte.

Die Rolle eines Icherzählers kann schlecht einem allwissenden und konturenlosen Hintergrunderzähler anvertraut werden. Im ersten Kapitel des Prosawerks, Beyle, und ebenso im dritten Kapitel, Riva, tritt allerdings kein Erzähler auf, der Autor arrangiert im wesentlichen Aufzeichnungen von Stendhal und Kafka, im weiteren Prosawerk ist der Erzähler immer präsent, ohne eine dominante Stellung zu beanspruchen. In Gesprächen, die immer Zwiegespräche sind, läßt der Erzähler dem anderen oder der anderen den Vorrang, er selbst, so scheint es jedenfalls, bleibt weitgehend stumm. In Austerlitz scheint es über lange Strecken, als habe der Protagonist, also Austerlitz, die Rolle des Erzählers übernommen. Der Unterschied fällt kaum auf.

Keine Kommentare: