Donnerstag, 24. Dezember 2020

Le Passé

Spinnennetz


C’est pas l’avenir qui compte, c’est le passé, eine an sich unauffällige Bemerkung, auch wenn wir seit nahezu dreihundert Jahren geschult werden, das Heil in der Zukunft zu erwarten und die eineinhalbtausend Jahre zuvor in der Erwartung der baldigen Wiederkunft des Herrn verbracht haben. Guy Roland hat jedenfalls allen Grund zurückzuschauen beim Versuch, die von der Amnesie aufgeworfenen weitreichenden Lücken in seinem Leben zumindest notdürftig zu schließen. Die Recherchen erwecken immer mehr Erinnerungsfetzen aus dem Schlaf des Vergessens, verschlagen Guy Roland schließlich bis nach Bora Bora in der Südsee und dann zurück nach Europa, in die Via delle Botteghe Oscure in Rom, die Rue des Boutiques obscures, wie der Titel des Buches heißt. Ohne daß sich eine endgültige Klärung ergeben hätte, versiegt die Erzählung an dieser Stelle. Schwindelgefühle sind nicht gleichbedeutend mit Amnesie, können aber ebenfalls begrenzte Gedächtnislücken aufreißen und das Persönlichkeitsbild deutlich modifizieren. Zu den an ihm bemerkbar werdenden Anzeichen staubiger Abgerissenheit, so der Erzähler Adroddwr, stand die Tatsache, daß er weiterhin in einem Hotel wohnte, in einem zusehends deutlich werdendem Widerspruch. Er begann, in einer aus England mitgebrachten Plastiktasche allerlei unnütze Dinge mit sich herumzuführen, Dinge, von denen er von Tag zu Tag unzertrennlicher wurde. Der Anblick seines inwendig schon gänzlich in Fetzen aufgelösten Schuhwerks entsetzte in geradezu. Schließlich kehrt er an den Ort seiner Kindheit zurück, Ritorno in Patria, und baut sich gleichsam neu auf. Ganz zum Beginn, zur eigenen Geburt ist der Rückweg nicht möglich. An die drei Jahre lernen die Kinder heimlich und verborgen, sie lernen vor allem die Sprache, die sie aber nicht wirklich lernen müssen, da sie ihnen angeboren* ist, so wie den Spinnen das Netzspinnen angeboren ist, mit dem Unterschied, daß die Menschenkinder, anders als die stummen Spinnentiere, das Echo kundiger Sprecher der einen oder anderen Sprache benötigen, Echotöne, mit denen sie dann das vorhandene Gerüst ausstatten und garnieren.

* Steven Pinker, The Language Instinct

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