Einfacher Zuschnitt
Im Dunkel
hinter der Theke stand die Wirtin Luciana Michelotti und stocherte mit einem
kleinen Silberlöffel gedankenverloren in der Espressotasse, die sie gerade
angetrunken hatte. Die ihm als resolut und lebensfroh in Erinnerung gebliebene
Frau machte an diesem Tag, der, wie er später erfuhr, ihr 44. Geburtstag
gewesen war, einen schwermütigen wo nicht gar untröstlichen Eindruck.
Geburtstage eingeleitet mit der Zahl 4 sind für eine Frau keine Freudentage,
sie ist, muß sie sich eingestehen, nicht mehr jung, sondern schon älter.
Bardzo ladno ma twarz, chociasz nie jest młoda,
tylko starsza, nicht mehr jung, nur schon älter. Stachuras Erzähler nächtigt nicht in einem Hotel oder
Gasthof, sondern in einem Eisenbahnzug auf dem Abstellgleis, eine
Reinigungsfrau versorgt ihn am Morgen mit Kaffee und belegtem Brot, ihr Gesicht
ist sehr schön, wenn sie auch nicht mehr jung ist, nur schon älter, vielleicht auch
sie vierundvierzigjährig. Wenn jemand als nicht mehr jung deklariert ist,
erübrigt sich eigentlich der Hinweis, sie sei schon älter, aber gerade diese
doppelte Annäherung, im Hiatus zwischen młoda und starsza, kommt die Schönheit
der Frau vollends ans Licht. Das Verhältnis aber zu den nicht nur älteren, sondern
rundweg alten Frauen, den Unterkunftswirtinnen Babcia Potęgowa und Babcia Olenka, ist
noch herzlicher. Von Schönheit wird hier nicht gesprochen. Die Olenka empört sich, einer der Saisonarbeiter habe sich zu ins Bett legen wollen: do takiej starej baby do łóżka się pchać, no bójcie się, ludzie, Boga, bójcie się Boga: vermutlich war es weder böser noch guter Wille, er hatte sich wohl unter Alkoholeinfluß im Zimmer geirrt.
Die Wirtin in
Limone und die Reinigungsfrau der polnischen Eisenbahn mögen als entfernte
Zwillinge gelten, für Babcia Potęgowa und Babcia Olenka findet sich auf der Seite des Dichters keine
ähnlich rühmenswerte Entsprechung. Insbesondere die Tiroler Weiber, die in den Bus einsteigen, der
unterwegs von Innsbruck nach Oberjoch ist, beeindrucken den Dichter nicht
positiv. In gewissen Abständen, so vermerkt er, standen sie unter ihren
schwarzen Regendächern an der Straße. Es kam auf diese Weise bald eine ganze
Zahl solcher Tiroler Weiber zusammen. Sie unterhielten sich in ihrem hinten im
Hals wie eine Vogelsprache artikulierten Dialekt vornehmlich, ja ausschließlich
von dem nicht mehr enden wollenden Regen. Auch die Mesnerin von Sant’Anastasia
oder die bucklige Rentnerin in dem trüben, durch die belgischen Butzenscheiben
einfallenden Licht gefallen ihm eher nicht, weitere wären noch zu nennen. Eine
Sonderstellung nimmt die Fährfrau in Kissingen ein, die Bemerkenswertes über
den Lauf der Welt beitragen kann. Ihre kritische Philosophie zielt auf die
nicht zu übertreffende Dummheit der Menschen, der Menschen in der Türkei, woher sie stammt, als auch der Menschen in Deutschland. Der Dichter kann ihr, zumindest was den deutschen Teil
anbelangt, nur beipflichten. Ein beigefügtes Photo gibt die Fährfrau als schon älter zu
erkennen, nur eine Minderheit aber würde ihr das Prädikat der Schönheit
zuschreiben. So gesehen bildet sie eine unsichere Brücke von der Reinemachefrau zu Babcia Potęgowa und Babcia Olenka.
Die älteren
Frauen, die alten, es fehlen noch die jungen. Zweimal greift Stachura das auf
seltsame Weise suggestive Motiv des breiten Gehwegs auf, parallel verlaufend
zur noch weitaus breiteren Allee. Voll ausgelegt ist das Motiv in der Erzählung Pragnienie
(Durst), der Gehweg am späten Abend belebt von zahlreichen Spaziergängern, darunter ein
junges Paar. Das Mädchen sagt: Ich tanze sicher gut. Dieser Gesprächsfetzen
stellt ihre Schönheit heraus und außer Frage. Der Dichter seinerseits ist nicht auf den knappen
Augenblick verwiesen, ihm gegenüber im Abteil saßen eine Franziskanerin von
vielleicht dreißig oder fünfunddreißig Jahren und ein junges Mädchen mit einer
aus vielen farbigen Flecken geschneiderten Jacke um die Schultern. Von
vollendeter Schönheit waren sie beide. Die Franziskanerin mag man schon fast zu
den älteren Schönheiten zählen, allerdings wird diese Grenze in der menschlichen
Entwicklung immer weiter nach oben verschoben, für Balzac lag sie noch bei
dreißig Jahren.
Die älteren, die alten und die jungen Frauen, alle finden ihren Platz, sind, bei einfachem Zuschnitt und schlichtem Gemüt, je auf ihre Art liebenswert. Intellektualität ist, ob Frau oder Mann, nur zugelassen, sofern sie unsichtbar bleibt. Der Dichter könnte als Entlastung für seine insgesamt schlechte Behandlung alter oder doch erheblich älterer Frauen Mme Landau vorweisen. Zwar wird ihr, die Nabokow liest, Intellektualität bescheinigt, die aber unaufdringlich bleibt, ladylike.
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