Montag, 9. August 2021

Das Alter der Frauen

Einfacher Zuschnitt

Im Dunkel hinter der Theke stand die Wirtin Luciana Michelotti und stocherte mit einem kleinen Silberlöffel gedankenverloren in der Espressotasse, die sie gerade angetrunken hatte. Die ihm als resolut und lebensfroh in Erinnerung gebliebene Frau machte an diesem Tag, der, wie er später erfuhr, ihr 44. Geburtstag gewesen war, einen schwermütigen wo nicht gar untröstlichen Eindruck. Geburtstage eingeleitet mit der Zahl 4 sind für eine Frau keine Freudentage, sie ist, muß sie sich eingestehen, nicht mehr jung, sondern schon älter.

Bardzo ladno ma twarz, chociasz nie jest młoda, tylko starsza, nicht mehr jung, nur schon älter. Stachuras Erzähler nächtigt nicht in einem Hotel oder Gasthof, sondern in einem Eisenbahnzug auf dem Abstellgleis, eine Reinigungsfrau versorgt ihn am Morgen mit Kaffee und belegtem Brot, ihr Gesicht ist sehr schön, wenn sie auch nicht mehr jung ist, nur schon älter, vielleicht auch sie vierundvierzigjährig. Wenn jemand als nicht mehr jung deklariert ist, erübrigt sich eigentlich der Hinweis, sie sei schon älter, aber gerade diese doppelte Annäherung, im Hiatus zwischen młoda und starsza, kommt die Schönheit der Frau vollends ans Licht. Das Verhältnis aber zu den nicht nur älteren, sondern rundweg alten Frauen, den Unterkunftswirtinnen Babcia Potęgowa und Babcia Olenka, ist noch herzlicher. Von Schönheit wird hier nicht gesprochen. Die Olenka empört sich, einer der Saisonarbeiter habe sich zu ins Bett legen wollen: do takiej starej baby do łóżka się pchać, no bójcie się, ludzie, Boga, bójcie się Boga: vermutlich war es weder böser noch guter Wille, er hatte sich wohl unter Alkoholeinfluß im Zimmer geirrt.

Die Wirtin in Limone und die Reinigungsfrau der polnischen Eisenbahn mögen als entfernte Zwillinge gelten, für Babcia Potęgowa und Babcia Olenka findet sich auf der Seite des Dichters keine ähnlich rühmenswerte Entsprechung. Insbesondere die Tiroler Weiber, die in den Bus einsteigen, der unterwegs von Innsbruck nach Oberjoch ist, beeindrucken den Dichter nicht positiv. In gewissen Abständen, so vermerkt er, standen sie unter ihren schwarzen Regendächern an der Straße. Es kam auf diese Weise bald eine ganze Zahl solcher Tiroler Weiber zusammen. Sie unterhielten sich in ihrem hinten im Hals wie eine Vogelsprache artikulierten Dialekt vornehmlich, ja ausschließlich von dem nicht mehr enden wollenden Regen. Auch die Mesnerin von Sant’Anastasia oder die bucklige Rentnerin in dem trüben, durch die belgischen Butzenscheiben einfallenden Licht gefallen ihm eher nicht, weitere wären noch zu nennen. Eine Sonderstellung nimmt die Fährfrau in Kissingen ein, die Bemerkenswertes über den Lauf der Welt beitragen kann. Ihre kritische Philosophie zielt auf die nicht zu übertreffende Dummheit der Menschen, der Menschen in der Türkei, woher sie stammt, als auch der Menschen in Deutschland. Der Dichter kann ihr, zumindest was den deutschen Teil anbelangt, nur beipflichten. Ein beigefügtes Photo gibt die Fährfrau als schon älter zu erkennen, nur eine Minderheit aber würde ihr das Prädikat der Schönheit zuschreiben. So gesehen bildet sie eine unsichere Brücke von der Reinemachefrau zu Babcia Potęgowa und Babcia Olenka.

Die älteren Frauen, die alten, es fehlen noch die jungen. Zweimal greift Stachura das auf seltsame Weise suggestive Motiv des breiten Gehwegs auf, parallel verlaufend zur noch weitaus breiteren Allee. Voll ausgelegt ist das Motiv in der Erzählung Pragnienie (Durst), der Gehweg am späten Abend belebt von zahlreichen Spaziergängern, darunter ein junges Paar. Das Mädchen sagt: Ich tanze sicher gut. Dieser Gesprächsfetzen stellt ihre Schönheit heraus und außer Frage. Der Dichter seinerseits ist nicht auf den knappen Augenblick verwiesen, ihm gegenüber im Abteil saßen eine Franziskanerin von vielleicht dreißig oder fünfunddreißig Jahren und ein junges Mädchen mit einer aus vielen farbigen Flecken geschneiderten Jacke um die Schultern. Von vollendeter Schönheit waren sie beide. Die Franziskanerin mag man schon fast zu den älteren Schönheiten zählen, allerdings wird diese Grenze in der menschlichen Entwicklung immer weiter nach oben verschoben, für Balzac lag sie noch bei dreißig Jahren.

Die älteren, die alten und die jungen Frauen, alle finden ihren Platz, sind, bei einfachem Zuschnitt und schlichtem Gemüt, je auf  ihre Art liebenswert. Intellektualität ist, ob Frau oder Mann, nur zugelassen, sofern sie unsichtbar bleibt. Der Dichter könnte als Entlastung für seine insgesamt schlechte Behandlung alter oder doch erheblich älterer Frauen Mme Landau vorweisen. Zwar wird ihr, die Nabokow liest, Intellektualität bescheinigt, die aber unaufdringlich bleibt, ladylike.

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