Dienstag, 3. Dezember 2024

Brücken

Vorzüge

Er kam mit der Eisenbahn von weit her, von wo weiß man nicht. Er bevorzugt Städte mit Fließgewässern und Brücken, es könnte zum Beispiel Augsburg sein, letztlich vorgezogen aber sind Städte aus Polen, offenbar seine Heimat. Nicht die Stadt und nicht die Bewohner interessieren ihn sonderlich und auch nicht die Häuser und Kirchen, und seien sie auch noch so schön, sondern das Wasser und die Brücken über das Wasser und das immer wieder. Er geht schließlich weiter, in anderer Richtung aber, ohne die Lust zu verlieren, mit einem ähnlichen Ziel, einer anderen Brücke. Man lehnt sich an das Geländer einer Brücke und dann wieder an das Geländer einer anderen Brücke und dann wieder einer dritten Brücke und so weiter. Schließlich hält man inne und raucht eine Zigarette. Vor jeder Brücke senkt man den Kopf und schaut herab. Schließlich hält man inne und raucht eine Zigarette, nicht die einzige, nicht die letzte des Tages. Schließlich hält man inne und raucht wieder eine Zigarette, nicht die einzige, nicht die letzte. Es ist aber kalt, przekleta zima, dobre lato, verfluchte Kälte, herrlicher Sommer, nur schwer kann man sich befreien, aber schließlich muß es weitergehen.



Montag, 2. Dezember 2024

Vater und Sohn

Eigentlich unerlaubt

Sein Vater war nicht der, den er sich erwünscht hatte, auch im ausgewachsenen Zustand des Jungen blieb das Verhältnis zwischen Vater und Sohn vorsichtig gesagt zurückhaltend. Während bei ihm die Einzelheiten versteckt blieben, erzählt Kafka im Umfang von mehr als fünfzig Seiten so gut wie alles über seinen Vater und sich selbst. Noch während seines Sterbens forderte Kafka von Max Brod alle Texte zu vernichten, sofern sie nicht bereits veröffentlicht waren. Brod ist dem nicht nachgekommen. Fragwürdig war ins besonders die Veröffentlichung des Brief an den Vater, den Kafka allein und nur für sich schreiben wollte, Brod hat auch das mißachtet. Inzwischen muß man sagen: längst zu seinem und unserem Vorteil. Der Brief an den Vater, war nicht für ein Publikum gedacht, sondern allein für Kafka, den Autor selbst, tatsächlich aber ergab sich nach Veröffentlichung des Briefes ein immer noch endloses Staunen des Publikums. Der Brief an den Vater ist besonders umfänglich. Zunächst geht es allein um den Vater, dann aber auch um den Sohn. Der Vater sieht sich als Chef und Anführer, der Sohn, Kafka also, sieht sich zu Recht, wie er meint, als Niete. Zu seiner eigenen Überraschung war er es, dem niemand in seinen Leistungen gleich kommen konnte, das Lernen fiel ihm in den Schoß. Der Vater schweigt im Hintergrund.



Sonntag, 1. Dezember 2024

Überrollt

Pokatulkalo go i kaput

Er ist oft mit der Eisenbahn gefahren, nach Wien, Venedig und sonstwo, ein Unglück mußte er nicht erleiden. Anders ist es  Zbigniew Cybulski, dem sogenannten polnischen James Dean, ergangen. Er war es gewohnt im letzten Augenblick herbeizulaufen und auf den bereits angelaufenen Zug zu springen, dies Mal war es das letzte Mal. Es hatte sich bald schon rumgesprochen, pokatulkalo go i kaput, es hat ihn erwischt und fertig, hieß es unter anderem. Es war in der Frühe, wissen einige, im Sprung auf den letzten Waggon gelangt, aber an der vorderen Tür. Er wollte sterben und er starb, sagte einer, to jest los, das ist das Schicksal. Soweit, wenn auch nicht so gut. Pradera raucht seine Zigaretten und nimmt an den Überlegungen der anderen nicht teil. Wieso, fragt er sich, kann der Verlauf der Zeit nicht für einen Augenblick innehalten und umgedreht werden, die Abfahrt des Zuges nicht wiederholt werden? Man stellt sich vor, Cybulski kommt im letzten Augenblick herbeigesprungen, Pradera stellt sich ihm entgegen, der Zug fährt davon, Cybulski ist außer Gefahr. Oder: Pradera sitzt schon hinten im Zug und hilft Cybulski beim  Einsteigen, er ist außer Gefahr. Sein Vorhaben, so oder so, läßt sich aber gegen alle Vernunft nicht verwirklichen.