Sonntag, 20. Januar 2013

Sebald of the twenty-first century

Open City


Bei Teju Cole ist der Verweis auf Sebald obligatorisch, gleich auf der Buchhülle heißt es: Might just be a W.G. Sebald of the twenty-first century. Im Spiegel wird Cole dem mit angemessener Ehrfurcht vorgestellten großen W.G. Sebald verglichen. Wieder an anderer Stelle ist von einem irritierenden Hang zum intellektuellen Edelkitsch die Rede, den wir auch aus dem Werk von Coles Vorbild W.G. Sebald kennen; hier hat womöglich ein Pirat einem schon lang währenden Mißfallen an Sebald stattgegeben, und Cole hat es gleich miterwischt. Mit den Ähnlichkeiten ist es kein leichtes Brot. Wer zu viele Ähnlichkeiten entdeckt, macht sich der Debilität ebenso verdächtig, wie jemand, der keine entdecken kann. Dem Geistigherausgeforderten sind alle Blonden gleich und die Dunkelhaarigen untereinander ebenso. Zu wenig Ähnlichkeit auf der anderen Seite ist nicht das Problem der Literaturkritik. Betrachten wir den ersten kurzen Abschnitt in Coles Roman.

AND. Schon das erste Wort in Coles Roman ist nicht sebaldkompatibel. Keine Erzählung seines Vorläufers aus dem schon in Vergessenheit geratenden zwanzigsten Jahrhundert beginnt mit einem UND, und man kann sich auch nicht vorstellen, daß eine noch zu schreibende Erzählung mit einem UND hätte beginnen können. Man wird auch kaum einen eingebetteten Satz finden, der mit UND beginnt. Das zur linken Seite hin offene, ins Leere weisende Bindewort verspricht eine Ungebundenheit, die kaum einzuhalten ist. Dabei ist Sebalds Prosa um einiges ungebundener als Coles eher eingezwängter Vortrag.

Das Durchmessen Manhattans im ersten Absatz kann an Selysses' Gänge durch Wien oder an diejenigen Austerlitz’ durch London erinnern. Dann Absatz, Szenenwechsel: watching bird migration. Der Verzicht auf Absätze bei Sebald ist keine Äußerlichkeit, Szenenwechsel scheinen nicht stattzufinden, sie werden verdeckt, wenn wir aus dem Nocturama kommend in den Bahnhof eintreten, bleiben wir doch im Nocturama. Das Einspinnen und Verweben der Motive und Schauplätze ist ein durchgehendes und an ihren Nerv rührendes Charakteristikum der Prosa Sebalds.

American radio stations had to many commercials for my taste. Banale Bekenntnisse dieser Art fallen bei Sebald unter die landläufige Kategorie: Geschenkt und fehlen daher. Auch haben wir keine Gelegenheit, Selysses bei häuslichen Radiogenuß zu beobachten, da er uns in sein Haus nicht einlädt. In Austerlitz' Wohnung findet er ein Radio vor, das aber stumm und nur der Erinnerung dient an Stimmen, die manchmal untergehen zwischen den Wellen und dann wieder auftauchen, in der Dunkelheit die Luft durchschwärmen und, wie die Fledermäuse, ihr eigenes die Taghelle scheuendes Leben führen. Barthes’s Camera Lucída, Peter Altenberg's Telegrams of the Soul, Tahar Ben Jelloun’s The last Friend: ein derartiger literarischer Name-dropping-cluster ist bei Sebald nicht denkbar. Selysses’ Reiselektüren haben einen eher abgelegnen Charakter, Der Beredte Italiener, ein praktisches Hülfsbuch der italienischen Umgangssprache, oder die Memoiren des Maximilien, Duc de Sully, seine Reisegefährtinnen blättern im Brevier oder in einer Photonovella.

Sebald ist in der Gestalt seiner Erzählfigur Selysses ständig präsent im Prosawerk und doch kaum zu greifen, wie verweht von den Motiven der Außenwelt. Bei Cole weist alles auf die Erzählfigur zurück, die daher im Verlauf der Erzählung immer stattlicher wird. Der Erzähler baut eine Geschichte um sich auf, eine Freundin, Zwist mit der Mutter, Zwist zwischen Mutter und Großmutter, alles nicht denkbar bei der essentiell ledigen Kunstfigur Selysses. Nur so ist Selysses die bedingungslose Hinwendung zu anderen möglich. Als Coles Erzähler verspätet vom Tod seiner Wohnungsnachbarin erfährt, treten weder diese noch der hinterbliebene Witwer in den Vordergrund, sondern die Selbstvorwürfe und Selbstbeobachtungen des Erzählers. Die Geschichte Bereyters, Selwyns  und die der anderen hätte auf diese Weise nicht geschrieben werden können. Wenn Coles Erzähler ein Museum betritt, hat er kein Auge für die Empfangsdame oder Billetverkäuferin,  mir nichts dir nichts baut er sich auf vor den Bildern. Er spricht über die Bilder und über das, was er sich denkt bei ihrer Betrachtung. Er bringt die Bilder nicht zum Sprechen, so wie Sebald die Bilder Grünewalds und Pisanellos zum Sprechen sind. Alles, was Coles Erzähler begegnet, ist so ziemlich das, was es ist, nichts öffnet sich zum Horizont, geschweige denn über ihn hinaus. - Abgesehen von dem Umstand, daß Coles Erzähler in einer Stadt hin und her geht, lassen sich bei Licht gesehen wenig Bezüge zum Werk Sebalds feststellen.

Das Werk ist die Totenmaske der Konzeption, Sebald läßt den Maler Aurach diese Erfahrung durchleben, und ihm selbst ist sie, wie jedem ernsthaften Autor, vermutlich auch nicht fremd gewesen. Der Leser aber sieht ihn ständig auf der Höhe seiner Absichten, ein Eindruck, der sich bei Cole nicht ohne weiteres einstellt. Aber vielleicht sind dessen Aspirationen bescheidener, und alles ist in sich stimmig. In der Summe ist es jedenfalls nicht die gleiche Art von Edelkitsch bei Sebald und bei Cole, dem Piraten ist insofern zu widersprechen. Man wird einwenden, niemand habe behauptet, Cole würde Sebald imitieren oder plagiieren, es seien doch genug Themen und Motive angeschlagen, die sich auch bei Sebald finden, man könne sogar vermuten, Cole weise gleich zu Beginn mit der Vermessung Manhattans, den Radiostimmen, dem Auftreten Altenbergs &c. auf Sebald hin. Das ist richtig, aber nicht jeder, der sich an irgendetwas erinnert, ist Proust, und nicht jeder, der sich zum Affen macht, ist Kafka. Das richtet sich nicht gegen Cole, es richtet sich gegen die Verwalter des zügellosen Vergleichs. Auf der Buchhülle findet sich noch ein Fingerzeig in eine eher entgegengesetzte Richtung: The novel reads like Camus’s The Stranger. Vielleicht ist es aber doch die gleiche Richtung, war Sebald doch in die Schriftstellerlaufbahn mit einem Schüleraufsatz über Camus eingestiegen. Alles trifft sich, alles gleicht sich.

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