Unaufgeklärte Verbrechen
Hätte Chandler nicht nur The High Window, sondern alle seine Bücher mit einem Architekturdetail betitelt, würde man darin keine Verkennung des eigenen Werkes sehen. In Austerlitz kann den Leser auf den ersten Seiten der Wunsch erfassen, die Geschichte möchte sich von Bahnhof zu Bahnhof bewegen, und alles andere unterbliebe. Auf das Verständnis des Autors, der gern Perspektiven wählt, in denen die Menschen in ihren immobilen und mobilen Artefakten verschwinden, kann er sich dabei verlassen. Ähnlich möchte der Leser mit Marlowe Häuser und Gebäude verschiedener Kategorie betreten, die Unterkünfte der reichen Auftraggeber, Bürogebäude florierender Companies und solche, in denen Winkeladvokaten, eingestaubte Numismatiker, windige Dentallabore und Ärzte ohne Zulassung Unterkunft gefunden haben, Altenheime, Entziehungsspitale, Hotels und Absteigen verschiedener Stufen des Glanzes und der Depravation und Schäbigkeit, er möchte mit Marlowe hinausfahren in die Vorstädte, in die San Gabriel Mountains, die Küste hinab Richtung Mexiko, und weiter müßte nichts geschehen. Auf den ersten Blick mögen die Gebäudeannäherungen wie Bestandsaufnahmen erscheinen, es sind aber, wie auch bei Sebald, Weltdeutungen. Eine gebäudeorientierte Kurzfassung der ersten Kapitel von The High Window liest sich wie folgt.
The House was an Dresden Avenue in the Oak Knoll section of Pasadena, a big solid cool-looking house with burgundy brick walls, a terra-cotta tile roof, an a white stone trim. The front windows were leaded downstairs. Upstair windows were of the cottage type and had a lot of rococo imitation stonework trimming around them. From the front wall and its attendant flowering bushes a half-acre or so of fine green lawn drifted in a gentle slope down to the street. There was a heavy scent of summer on the morning and everything that grew was perfectly still in the breathless air on what they call a nice cool day. Marlowe had an office in the Chahuenga Building, sixth floor, two small rooms at the back. Three hard chairs and a swivel chair, flat desk with a glass top, five green filling-cases, three of them full of nothing, a calendar and a framed licence bond on the wall, a phone, a washbowl in a stained wood cupboard, a hat-rack, a carpet that was just something on the floor, and two open windows with net curtains that puckered in and out like the lips of a toothless old man sleeping. Stillwood Crescent Drive curved leisurely north from Sunset Boulevard, well beyond the Bel-Air Country Club golf courses. The road was lined with with walled and fenced estates. Some had high walls, some had low walls, some had ornamental iron fences, some were a bit old-fashioned and got along with tall hedges. The street had no sidewalk. Nobody walked in that neighbourhood, not even the postman. The Belfont Building was eight stories of nothing in particular that had got itself pinched off between a large green and chromium cut-rate suit emporium and a three-storey and basement garage that made a noise like lion cages at feeding time. The small dark narrow lobby was as dirty as a chicken yard. The building directory had a lot of vacant space on it. Opposite the directory a large sign tilted against a fake marble wall said: Space for Rentimg Suitable for Cigar Stand. Apply Room 316. Bunker Hill is old town, lost town, shabby town, crook town. Once, very long ago, it was a choice resedential district of the city, and there were still standing a few of the jigsaw Gothic mansions with wide porches and walls covered with round-end shingles and full corner bay windows with spindle turrets. They are all rooming houses now, their parquetry floors are scratched and worn through the once glossy finish and the wide sweeping staircases are dark with time and with cheap varnish laid on over generations of dirt. On the wide cool front porches, reaching their cracked shoes into the sun and staring at nothing, sit the old men with faces like lost battles.
Irgendwann wird die Wahrnehmung des Gebäudes noch sorgfältiger, das Betreten noch überlegter, ein langer Gang, kein Mensch, die Wohnungstür gibt nach, the door to the left led into a small kichenette with a brown woodstone sink and and a three burner stove, weiter, ein anderes Zimmer, on the dresser was a comb and a black brush with a few blond hairs in ist black bristles. Also a can of talcum, a small flashlight with a cracked lens, cigarettes and matches and a small ashtray that contained half a dozen stubs. The bathroom door opened about a foot and then stuck. Marlowe weiß es und der Leser weiß es ebenso gut, der Weg führt zur Leiche, und sogleich entsteht der Wunsch, alles möge sich wiederholen, nicht die selben Gebäude, aber ähnliche, vielleicht eine Fahrt in die San Gabriel Berge, vielleicht eine Fahrt nach Tijuana, eine Tür gibt nach, eine andere läßt sich nur einen Spalt weit öffnen. The Lady in the Lake beginnt: The Treloar Building was, and is, on Olive Street, near Sixth, on the west side. The Gillerain Company was on the seventh floor, in front, behind swinging double plate-glass doors bound in platinum. The reception room had had Chinese rugs, dull silver walls … Und weiter: It was a white shallow House with rose stucco walls faded out to a pleasant pastel shade and trimmed with dull green tiles, round rough ones. There was a deeply inset front door framed in a mosaic of multi-coloured pieces of tiling and a small flower garden in front behind a low stucco wall topped by an iron railing which the beach moisture had begun to corrode. – Die Tote wird dann allerdings, wie der Titel verlangt, nicht im Badezimmer, sondern in einem See aufgefunden.
In Austerlitz findet sich Balzacs wie immer wuchtiger Roman vom Colonel Chabert gemäß Sebalds Prosavorstellungen gekürzt auf den Unfang einer zweiseitigen eleganten Erzählung wieder, bei der Nacherzählung eines Chandlerromans könnten die Streichungen weitaus sparsamer ausfallen. Nicht nur die Häuser können so bleiben, wie sie sind, auch das zugehörige Empfangs- und Dienstpersonal müßte nicht ausgewechselt werden, die Hauswarte, Conciergen, Fahrstuhlführer, Türwächter, Barmänner, Kellner und Zimmermädchen, auch wenn sich Marlowe berufsbedingt mit ihnen ausführlicher befassen muß, als Selysses es tut. Die Mitreisenden sind bei Chandler, dessen Marlowe immer allein im Oldsmobile unterwegs ist, naturgemäß unterrepräsentiert. Selysses allerdings, der in Europa nur mit dem Zug und allenfalls mit dem Flugzeug unterwegs ist, paßt sich in Amerika den dortigen Reisesitten an, und doch gelingt es ihm, auf dem Highway eine in der Nebenspur in ihrem Fahrzeug dahinrollende Negerfamilie als Reisegefährten zu gewinnen. Chandlers Chessmen können verharren auf ihrem Brett, lined up ready to go with that sharp, competent and complicated look they always have at the beginning of the game. Wer auf das risikoreiches Spiel sich einläßt, muß wissen, daß mit einem falschen Zug alles vertan ist. Beautiful, cold, remorseless chess, almost creepy in its silent implacability. Fifty-nine moves, die Beschreibung des perfekten Kriminalromans mit dem Mord als dem neunundfünfzigsten und letztem Zug.
Bei der Verfilmung von The Big Sleep hatte Howard Hawks bei der Rasanz der Inszenierung aus dem Auge verloren, wer eigentlich der Übeltäter ist. Ein Anruf bei Chandler führte zu nichts, der wußte es auch nicht mehr. Die Täterentlarvung, Höhepunkt und Sinn des klassischen Whodunit, wird zur Crux des literarischen Krimis. Bei der endgültigen und oft umständlichen Verbrechensauf- und -erklärung ist auch Chandlers Chessman längst nicht mehr so beautiful, cold and remorseless wie beim ersten Eintritt in die Villa des Auftragsgebers. Die Darlegung der verzwickten Verhältnisse veranlaßt Marlowe zu einer unerwünschten Umständlichkeit, die der Autor bei allem Bemühen um Lakonie und Rhythmus nicht unterbinden kann. Nimmt man nach längerer Zeit einen Chandlerroman wieder zur Hand, erinnert man sich an vieles aber nicht mehr an den Mörder, man ist auch nicht darauf bedacht, diese Erinnerung aufzufrischen.
In den Schwindel.Gefühlen erläutert Selysses der Wirtin Luciana Michelotti, er schreibe an einem in Oberitalien spielenden Kriminalroman und gibt sich damit als Private Eye zu erkennen, der in einem zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Buch agiert. Es gehe um eine Reihe unaufgeklärter Verbrechen und um das Wiederauftauchen einer seit langem verschollenen Person. Bei seiner ersten Italienreise hatte Selysses befürchtet, selbst Opfer zweier ihn quer durch Oberitalien verfolgender Augenpaare zu werden. Kaum aus Limone abgereist, wird er am Mailänder Bahnhof tatsächlich Opfer eines räuberischen Angriffs, schreibt also realiter fort an seinem Kriminalroman. In Verona beschäftigen ihn die Untaten der Gruppe Ludwig. Bei der seit langem verschollenen Person handelt es sich wohl um den Jäger Gracchus, und hier hat Selysses einen gewissen Fahndungserfolg, der allerdings nicht aktuell ist, sondern in seine Kindheit in W. zurückführt. Als der ebenfalls bei Kafka entliehene Jäger Schlag in der Umgebung von W. ums Leben kommt, kann er ihn im besten Detektivstil anhand der eintätowierten Barke als den mutmaßlichen Gracchus identifizieren. Zielsichere Ermittlungen sind das nicht, aber auch schon Marlowe mußte eingestehen: I stood there wondering and not having the faintest glimmer of an idea. Dem klassischen Detektiv sind solche Augenblicke der Verlorenheit fremd. Holmes entdeckt sofort irgendein Indiz und schließt eine lange Kette unfehlbarer Schlußfolgerungen an, Poirot setzt ohne Verzug die immer tatbereiten grauen Zellen in Gang.
Es ist keine leere Koinzidenz der Art, wie Sebald sie liebt, wenn der Detektiv in dem Augenblick die geschichtliche Bühne betritt, als Europa beginnt, seine sakrale Abteilung zu verlieren. Die große, alles umfassende Erklärung aus dem Jenseits ist dahin, zahllose Detailaufklärungen müssen sie ersetzen. Therapeuten treten auf in Scharen und erläutern jedem einzelnen von uns sein Leben. Detektive begeben sich auf Spurensuche und die Autoren lassen uns daran teilhaben. Kirchen gehören nicht zu den Gebäuden, die Marlowe üblicherweise betritt, und Selysses sucht sie nur auf, um Zwiesprache mit den großen Bildwerken der Vergangenheit zu halten. It was a very nice jail, my part of it was as peaceful as a church - das ist in etwa schon der Umfang und die Grenze für Marlowes religiöse Erlebnisfähigkeit. Für Selysses sind die Bahnhöfe die neuen Kathedralen, Manchester das neue Jerusalem, aber das galt für das neunzehnte Jahrhundert und ist schon wieder Vergangenheit. Wenn in Schiphol offenbar körperlose Wesen, Engel mithin, die Ansagen intonieren, so ist der Nachfolger des Bahnhofs gefunden, der Nachfolger für Manchester bleibt unbenannt.
Gern arbeiten Kriminalromane mit einer Zeitstufenstruktur der Art, daß ein gegenwärtiges Verbrechen nur die Folge eines längst vergangenen und vermeintlich vergessenen anderen Verbrechens ist. Wenn Austerlitz in der jüngeren Vergangenheit spielt, die noch unsere Gegenwart ist, so findet die Spurensuche doch fast ausschließlich in Gebäuden des neunzehnten Jahrhunderts statt. Verirrt der Detektiv sich in einen Neubau wie die Pariser Nationalbibliothek, so ist der Eindruck noch um einiges niederschmetternder. Selysses reist und wandert durch die Gegenwart, die gefundenen Spuren helfen aber bestenfalls bei der Entschlüsselung des Vergangenen und auch das mit der nötigen Unschärfe. Die Verbrechen sind nicht klar, geschweige denn, daß sie aufgeklärt würden. Wie soll sich das mythische Vergehen des Jägers Gracchus im Allgäu klären oder im Tirol.
Priester und Pfarrer mußten die Erhellung der Welt, ihre Erlösung, nicht fürchten, sie selbst waren sozusagen inbegriffen. Anders sieht es bei ihren Nachfolgern im Rahmen der säkularen Aufklärung aus. Die Therapeuten wären bei einer umfassenden Heilung brotlos, und bei den Detektiven geht die Sorge über das Materielle hinaus und gewinnt diabolischen Charakter. Sherlock Holmes verfällt bei ausbleibendem Kriminalfall sogleich in Depressionen, und Hercule Poirot ergeht es kaum besser. Sie haben Glück, trotz rastloser und, unter der Ägide der klassischen Detektive wie Holmes und Poirot unfehlbarer Aufklärung will es nicht aufklaren. Die Erhellung ist der fortschreitenden Verdunklung nicht gewachsen. Das Licht in Sebalds Werk ist weder das der Gnade Gottes noch das der gesellschaftlichen Aufklärung, es ist allein die Innenbeleuchtung der Prosakunst.
Manche nehmen dieses Licht nicht wahr, für andere ist es eine Einladung, angesichts einer bis in ihre Fasern verbrecherischen Welt, bei deren Einrichtung unserem Herrn ganz offensichtlich schwere Kunstfehler unterlaufen sind, sich mit diesem Licht zu begnügen und im Inneren dieser Prosa zu verweilen oder sich doch, wie Salvatore Altamura, an jedem Abend in sie zu flüchten, wie auf eine Insel. Die kleinen Sebaldstücke sind das Ergebnis einer Annahme dieser Einladung. Die herkömmlichen Kriminalromane sprechen eine ähnliche Einladung durch ihre Serialität aus, durch den immer neuen Fall. Chandlers Serie ist nicht sehr lang geworden, und seine Prosa wirbt mit dem hellen Schein einer eigenen leistungsstarken Lichtmaschine, der es fast gelingt, die konkreten Untaten zu verwischen in ein tiefes dauerhaft zu beleuchtendes Unheil.
Hätte Chandler nicht nur The High Window, sondern alle seine Bücher mit einem Architekturdetail betitelt, würde man darin keine Verkennung des eigenen Werkes sehen. In Austerlitz kann den Leser auf den ersten Seiten der Wunsch erfassen, die Geschichte möchte sich von Bahnhof zu Bahnhof bewegen, und alles andere unterbliebe. Auf das Verständnis des Autors, der gern Perspektiven wählt, in denen die Menschen in ihren immobilen und mobilen Artefakten verschwinden, kann er sich dabei verlassen. Ähnlich möchte der Leser mit Marlowe Häuser und Gebäude verschiedener Kategorie betreten, die Unterkünfte der reichen Auftraggeber, Bürogebäude florierender Companies und solche, in denen Winkeladvokaten, eingestaubte Numismatiker, windige Dentallabore und Ärzte ohne Zulassung Unterkunft gefunden haben, Altenheime, Entziehungsspitale, Hotels und Absteigen verschiedener Stufen des Glanzes und der Depravation und Schäbigkeit, er möchte mit Marlowe hinausfahren in die Vorstädte, in die San Gabriel Mountains, die Küste hinab Richtung Mexiko, und weiter müßte nichts geschehen. Auf den ersten Blick mögen die Gebäudeannäherungen wie Bestandsaufnahmen erscheinen, es sind aber, wie auch bei Sebald, Weltdeutungen. Eine gebäudeorientierte Kurzfassung der ersten Kapitel von The High Window liest sich wie folgt.
The House was an Dresden Avenue in the Oak Knoll section of Pasadena, a big solid cool-looking house with burgundy brick walls, a terra-cotta tile roof, an a white stone trim. The front windows were leaded downstairs. Upstair windows were of the cottage type and had a lot of rococo imitation stonework trimming around them. From the front wall and its attendant flowering bushes a half-acre or so of fine green lawn drifted in a gentle slope down to the street. There was a heavy scent of summer on the morning and everything that grew was perfectly still in the breathless air on what they call a nice cool day. Marlowe had an office in the Chahuenga Building, sixth floor, two small rooms at the back. Three hard chairs and a swivel chair, flat desk with a glass top, five green filling-cases, three of them full of nothing, a calendar and a framed licence bond on the wall, a phone, a washbowl in a stained wood cupboard, a hat-rack, a carpet that was just something on the floor, and two open windows with net curtains that puckered in and out like the lips of a toothless old man sleeping. Stillwood Crescent Drive curved leisurely north from Sunset Boulevard, well beyond the Bel-Air Country Club golf courses. The road was lined with with walled and fenced estates. Some had high walls, some had low walls, some had ornamental iron fences, some were a bit old-fashioned and got along with tall hedges. The street had no sidewalk. Nobody walked in that neighbourhood, not even the postman. The Belfont Building was eight stories of nothing in particular that had got itself pinched off between a large green and chromium cut-rate suit emporium and a three-storey and basement garage that made a noise like lion cages at feeding time. The small dark narrow lobby was as dirty as a chicken yard. The building directory had a lot of vacant space on it. Opposite the directory a large sign tilted against a fake marble wall said: Space for Rentimg Suitable for Cigar Stand. Apply Room 316. Bunker Hill is old town, lost town, shabby town, crook town. Once, very long ago, it was a choice resedential district of the city, and there were still standing a few of the jigsaw Gothic mansions with wide porches and walls covered with round-end shingles and full corner bay windows with spindle turrets. They are all rooming houses now, their parquetry floors are scratched and worn through the once glossy finish and the wide sweeping staircases are dark with time and with cheap varnish laid on over generations of dirt. On the wide cool front porches, reaching their cracked shoes into the sun and staring at nothing, sit the old men with faces like lost battles.
Irgendwann wird die Wahrnehmung des Gebäudes noch sorgfältiger, das Betreten noch überlegter, ein langer Gang, kein Mensch, die Wohnungstür gibt nach, the door to the left led into a small kichenette with a brown woodstone sink and and a three burner stove, weiter, ein anderes Zimmer, on the dresser was a comb and a black brush with a few blond hairs in ist black bristles. Also a can of talcum, a small flashlight with a cracked lens, cigarettes and matches and a small ashtray that contained half a dozen stubs. The bathroom door opened about a foot and then stuck. Marlowe weiß es und der Leser weiß es ebenso gut, der Weg führt zur Leiche, und sogleich entsteht der Wunsch, alles möge sich wiederholen, nicht die selben Gebäude, aber ähnliche, vielleicht eine Fahrt in die San Gabriel Berge, vielleicht eine Fahrt nach Tijuana, eine Tür gibt nach, eine andere läßt sich nur einen Spalt weit öffnen. The Lady in the Lake beginnt: The Treloar Building was, and is, on Olive Street, near Sixth, on the west side. The Gillerain Company was on the seventh floor, in front, behind swinging double plate-glass doors bound in platinum. The reception room had had Chinese rugs, dull silver walls … Und weiter: It was a white shallow House with rose stucco walls faded out to a pleasant pastel shade and trimmed with dull green tiles, round rough ones. There was a deeply inset front door framed in a mosaic of multi-coloured pieces of tiling and a small flower garden in front behind a low stucco wall topped by an iron railing which the beach moisture had begun to corrode. – Die Tote wird dann allerdings, wie der Titel verlangt, nicht im Badezimmer, sondern in einem See aufgefunden.
In Austerlitz findet sich Balzacs wie immer wuchtiger Roman vom Colonel Chabert gemäß Sebalds Prosavorstellungen gekürzt auf den Unfang einer zweiseitigen eleganten Erzählung wieder, bei der Nacherzählung eines Chandlerromans könnten die Streichungen weitaus sparsamer ausfallen. Nicht nur die Häuser können so bleiben, wie sie sind, auch das zugehörige Empfangs- und Dienstpersonal müßte nicht ausgewechselt werden, die Hauswarte, Conciergen, Fahrstuhlführer, Türwächter, Barmänner, Kellner und Zimmermädchen, auch wenn sich Marlowe berufsbedingt mit ihnen ausführlicher befassen muß, als Selysses es tut. Die Mitreisenden sind bei Chandler, dessen Marlowe immer allein im Oldsmobile unterwegs ist, naturgemäß unterrepräsentiert. Selysses allerdings, der in Europa nur mit dem Zug und allenfalls mit dem Flugzeug unterwegs ist, paßt sich in Amerika den dortigen Reisesitten an, und doch gelingt es ihm, auf dem Highway eine in der Nebenspur in ihrem Fahrzeug dahinrollende Negerfamilie als Reisegefährten zu gewinnen. Chandlers Chessmen können verharren auf ihrem Brett, lined up ready to go with that sharp, competent and complicated look they always have at the beginning of the game. Wer auf das risikoreiches Spiel sich einläßt, muß wissen, daß mit einem falschen Zug alles vertan ist. Beautiful, cold, remorseless chess, almost creepy in its silent implacability. Fifty-nine moves, die Beschreibung des perfekten Kriminalromans mit dem Mord als dem neunundfünfzigsten und letztem Zug.
Bei der Verfilmung von The Big Sleep hatte Howard Hawks bei der Rasanz der Inszenierung aus dem Auge verloren, wer eigentlich der Übeltäter ist. Ein Anruf bei Chandler führte zu nichts, der wußte es auch nicht mehr. Die Täterentlarvung, Höhepunkt und Sinn des klassischen Whodunit, wird zur Crux des literarischen Krimis. Bei der endgültigen und oft umständlichen Verbrechensauf- und -erklärung ist auch Chandlers Chessman längst nicht mehr so beautiful, cold and remorseless wie beim ersten Eintritt in die Villa des Auftragsgebers. Die Darlegung der verzwickten Verhältnisse veranlaßt Marlowe zu einer unerwünschten Umständlichkeit, die der Autor bei allem Bemühen um Lakonie und Rhythmus nicht unterbinden kann. Nimmt man nach längerer Zeit einen Chandlerroman wieder zur Hand, erinnert man sich an vieles aber nicht mehr an den Mörder, man ist auch nicht darauf bedacht, diese Erinnerung aufzufrischen.
In den Schwindel.Gefühlen erläutert Selysses der Wirtin Luciana Michelotti, er schreibe an einem in Oberitalien spielenden Kriminalroman und gibt sich damit als Private Eye zu erkennen, der in einem zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Buch agiert. Es gehe um eine Reihe unaufgeklärter Verbrechen und um das Wiederauftauchen einer seit langem verschollenen Person. Bei seiner ersten Italienreise hatte Selysses befürchtet, selbst Opfer zweier ihn quer durch Oberitalien verfolgender Augenpaare zu werden. Kaum aus Limone abgereist, wird er am Mailänder Bahnhof tatsächlich Opfer eines räuberischen Angriffs, schreibt also realiter fort an seinem Kriminalroman. In Verona beschäftigen ihn die Untaten der Gruppe Ludwig. Bei der seit langem verschollenen Person handelt es sich wohl um den Jäger Gracchus, und hier hat Selysses einen gewissen Fahndungserfolg, der allerdings nicht aktuell ist, sondern in seine Kindheit in W. zurückführt. Als der ebenfalls bei Kafka entliehene Jäger Schlag in der Umgebung von W. ums Leben kommt, kann er ihn im besten Detektivstil anhand der eintätowierten Barke als den mutmaßlichen Gracchus identifizieren. Zielsichere Ermittlungen sind das nicht, aber auch schon Marlowe mußte eingestehen: I stood there wondering and not having the faintest glimmer of an idea. Dem klassischen Detektiv sind solche Augenblicke der Verlorenheit fremd. Holmes entdeckt sofort irgendein Indiz und schließt eine lange Kette unfehlbarer Schlußfolgerungen an, Poirot setzt ohne Verzug die immer tatbereiten grauen Zellen in Gang.
Es ist keine leere Koinzidenz der Art, wie Sebald sie liebt, wenn der Detektiv in dem Augenblick die geschichtliche Bühne betritt, als Europa beginnt, seine sakrale Abteilung zu verlieren. Die große, alles umfassende Erklärung aus dem Jenseits ist dahin, zahllose Detailaufklärungen müssen sie ersetzen. Therapeuten treten auf in Scharen und erläutern jedem einzelnen von uns sein Leben. Detektive begeben sich auf Spurensuche und die Autoren lassen uns daran teilhaben. Kirchen gehören nicht zu den Gebäuden, die Marlowe üblicherweise betritt, und Selysses sucht sie nur auf, um Zwiesprache mit den großen Bildwerken der Vergangenheit zu halten. It was a very nice jail, my part of it was as peaceful as a church - das ist in etwa schon der Umfang und die Grenze für Marlowes religiöse Erlebnisfähigkeit. Für Selysses sind die Bahnhöfe die neuen Kathedralen, Manchester das neue Jerusalem, aber das galt für das neunzehnte Jahrhundert und ist schon wieder Vergangenheit. Wenn in Schiphol offenbar körperlose Wesen, Engel mithin, die Ansagen intonieren, so ist der Nachfolger des Bahnhofs gefunden, der Nachfolger für Manchester bleibt unbenannt.
Gern arbeiten Kriminalromane mit einer Zeitstufenstruktur der Art, daß ein gegenwärtiges Verbrechen nur die Folge eines längst vergangenen und vermeintlich vergessenen anderen Verbrechens ist. Wenn Austerlitz in der jüngeren Vergangenheit spielt, die noch unsere Gegenwart ist, so findet die Spurensuche doch fast ausschließlich in Gebäuden des neunzehnten Jahrhunderts statt. Verirrt der Detektiv sich in einen Neubau wie die Pariser Nationalbibliothek, so ist der Eindruck noch um einiges niederschmetternder. Selysses reist und wandert durch die Gegenwart, die gefundenen Spuren helfen aber bestenfalls bei der Entschlüsselung des Vergangenen und auch das mit der nötigen Unschärfe. Die Verbrechen sind nicht klar, geschweige denn, daß sie aufgeklärt würden. Wie soll sich das mythische Vergehen des Jägers Gracchus im Allgäu klären oder im Tirol.
Priester und Pfarrer mußten die Erhellung der Welt, ihre Erlösung, nicht fürchten, sie selbst waren sozusagen inbegriffen. Anders sieht es bei ihren Nachfolgern im Rahmen der säkularen Aufklärung aus. Die Therapeuten wären bei einer umfassenden Heilung brotlos, und bei den Detektiven geht die Sorge über das Materielle hinaus und gewinnt diabolischen Charakter. Sherlock Holmes verfällt bei ausbleibendem Kriminalfall sogleich in Depressionen, und Hercule Poirot ergeht es kaum besser. Sie haben Glück, trotz rastloser und, unter der Ägide der klassischen Detektive wie Holmes und Poirot unfehlbarer Aufklärung will es nicht aufklaren. Die Erhellung ist der fortschreitenden Verdunklung nicht gewachsen. Das Licht in Sebalds Werk ist weder das der Gnade Gottes noch das der gesellschaftlichen Aufklärung, es ist allein die Innenbeleuchtung der Prosakunst.
Manche nehmen dieses Licht nicht wahr, für andere ist es eine Einladung, angesichts einer bis in ihre Fasern verbrecherischen Welt, bei deren Einrichtung unserem Herrn ganz offensichtlich schwere Kunstfehler unterlaufen sind, sich mit diesem Licht zu begnügen und im Inneren dieser Prosa zu verweilen oder sich doch, wie Salvatore Altamura, an jedem Abend in sie zu flüchten, wie auf eine Insel. Die kleinen Sebaldstücke sind das Ergebnis einer Annahme dieser Einladung. Die herkömmlichen Kriminalromane sprechen eine ähnliche Einladung durch ihre Serialität aus, durch den immer neuen Fall. Chandlers Serie ist nicht sehr lang geworden, und seine Prosa wirbt mit dem hellen Schein einer eigenen leistungsstarken Lichtmaschine, der es fast gelingt, die konkreten Untaten zu verwischen in ein tiefes dauerhaft zu beleuchtendes Unheil.
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