Freitag, 2. Januar 2015

Kostümfragen

Zeitlos
Tiepolo, so erläutert Roberto Calasso, hat für seine Bilder und Fresken eine Theatertruppe engagiert, deren Mitglieder uns in immer neuen Rollen vor die Augen treten. Der Maler selbst schaut gern, hinter den Kulissen nur unzulänglich verborgen, auf die von ihm entworfene Szenerie. Er sieht Pharaos Tochter, die Moses in seinem Kästchen aus dem Schilf errettet, und dann, in realer Zeit weit mehr als tausend Jahre später, Kleopatra beim Bankett mit Mark Anton, es ist nicht nur dieselbe Schauspielerin, sie trägt noch immer das gleiche Kostüm. Auch als wir sie in Würzburg als Beatrix von Burgund wiedersehen, ist sie kaum verändert. Stellt man sich Sebalds Erzählungen präpariert für die Bühne vor - aber wer mag sich das vorstellen? - wäre leicht ein und derselbe Schauspieler in den verschiedenen Haupt- und Nebenrollen denkbar. Auch in der Erzählprosa bleiben viele von ihnen ihrem einmal gewählten Kostüm treu.
Nicht anders als bei den späteren Begegnungen trug Austerlitz damals in Antwerpen schwere Wanderstiefel, eine Art Arbeiterhose aus verschossenem blauen Kattun, sowie ein maßgeschneidertes, aber längst aus der Mode gekommenes Anzugsjackett. Jahraus, jahrein trug Michael Parkinson abwechslungsweise eine dunkelblaue und eine rostfarbene Jacke, und wenn die Ärmel abgestoßen oder die Ellbogen durchwetzt waren, hat er selbst zu Nadel und Faden gegriffen und einen Lederbesatz aufgenäht. Mathild Seelos sah man unfehlbar in einem schwarzen Kleid oder einem schwarzen Mantel und stets unter der Bedeckung eines Hutes und nie, auch beim schönsten Wetter nicht, ohne Regenschirm. Aurach ist ganz verschwunden im Staub seines Ateliers, man stellt sich eine Art grauer Tarnkleidung vor. Selwyn trägt zum Dinner Tweedjackett und Krawatte, Dinge, so muß man es verstehen, die er abgesehen von Festlichkeiten wohl nicht trägt. Selysses' Kleidung läßt sich schwer einschätzen, da sie in Wort und Bild kaum Erwähnung findet. Einmal sehen wir ihn, an einen Baum gelehnt, in heller Hose und einem T­-förmigen, kragenlosen weißen Hemd, offenbar ein nicht ganzjährig tauglicher Outfit, im Winter müßte etwas Wärmendes hinzukommen.
Dressmänner begegnen uns kaum, Stendhal, der aber ohnehin nicht zum engeren Kreis der Sebaldmenschen zählt, ist die Ausnahme in seinem neuen gelben Rock, dunkelblauen Beinkleidern, schwarz lackiertem Schuhwerk, einem extrahohen Velourshut und ein paar grünen Brillen. Bei Le Strange resultiert der Wechsel aus der Konstanz, nur weil er seine Garderobe völlig abgetragen hatte und neue Stücke sich nicht mehr zulegen mochte, holte es sich das Notwendige aus den Kästen auf dem Dachboden seines Hauses hervor, und so konnte man ihn gelegentlich sehen in einem kanarienfarbenen Gehrock oder in einer Art Trauermantel aus verschossenem veilchenfarbenen Taft mit vielen Knöpfen und Ösen. Adelwarth sehen wir kurz im orientalischen Gewand, Tiepolos Weltdarstellungen sind in erstaunlichem Maße von morgenländischen Männern bevölkert, aber das ist ein anderes Kapitel.

Der heilige Georg tauscht den Kriegshelm gegen einen weitkrempigen Strohhut ein, an dem hält er dann anderthalbtausend Jahre fest. Während dieser Zeit tauscht er dann auch die lichtbeschienene Rüstung gegen einen weißen Sommeranzug ein und die sporenbewehrten Stiefel gegen ein Paar überaus eleganter steifleinener Schuhe. Als einziger neuzeitlicher Mensch, der das wahre Gesicht des San Giorgio zu sehen bekommt, trifft Selysses ihn so im deutschen Konsulat zu Mailand, durchaus ein Tiepoloeffekt. Wenn Sebalds Gestalten überwiegend wenig Wert auf ihre Kleidung legen, so sieht man sie andererseits auch nie unbekleidet. Eine Ausnahme bildet in gewissem Sinne der Jäger Hans Schlag, der nach seinem rätselhaften Tod einer Autopsie unterzogen wird, bei der sich auf dem linken Oberarm eine kleine eintätowierte Barke zeigt. Hinter der Ähnlichkeit hatte sich die Identität des Jägers Schlag mit dem Jäger Gracchus verborgen, sie mußte im wahrsten Sinne bloßgelegt werden.

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