Dienstag, 6. Januar 2015

Sprezzatura

Quelle insolence!


Calasso bringt den in Sebalds Werk gut vertretenen Tiepolo mit dem Begriff der Sprezzatura in Verbindung, abgeleitet von sprezzo, Verachtung, gegenüber dem Herkunftswort aber abgemildert in der Bedeutung und auch verschoben. Gemeint ist die vorgebliche Geringschätzung der eigenen Leistung, glaubwürdig gemacht durch die Leichtigkeit und Mühelosigkeit bei der Bewältigung des Anstehenden. Der Begriff geht zurück auf Baldassare Castiglione und sein Libro del Cortegiano: usar in ogni cosa una certa sprezzatura, che nasconde l'arte e dimostri ciò che si fa e dice venir fatto senza fattica e quasi senza pensarvi -, war also gemünzt auf die höfische Lebensart und ist verwandt mit dem englischen understatement, in neuerer, demokratischer Entwicklung: cool. In der Kunst geht es um die betonte Nichtzurschaustellung, die Verschleierung des Kunstcharakters, auch das Verstecken der Kunst im Handwerklichen.
Der Gedanke einer im Handwerk versteckten Kunst war dem Dichter sicher nicht unsympathisch, er selbst ist aber kaum in den Verdacht der Sprezzatura gekommen. Nicht wenige kommentierende Aufsätze erwecken den Eindruck, man könne sich Sebalds Werk nur im Feiertagsgewand, besser noch in eine Toga gehüllt nähern, man fragt sich warum. Es dürfte sich um eine reflexartige Ableitung aus dem für das Werk als tragend angesehenen Holocaustsujet handeln, das in der realen Welt weiterbesteht in der Form von Gedenkfeiern, auf denen offiziell gekleidete Herrschaften aus Politik und Gesellschaft mit ernstem Blick beisammensitzen. Der Dichter hat aber klar gemacht, daß es ihm mit jedem Jahr unmöglicher wurde, sich unter ein Veranstaltungspublikum zu begeben, und als Gast in einer Holocaustgedenkveranstaltung sieht man ihn nicht. So wie er uns in den Schwindel.Gefühlen begegnet, fernab vom Holocaust, mit bereits bemerkbar werdenden Anzeichen staubiger Abgerissenheit, unterwegs mit einer Plastiktasche voller allerlei unnützer Dinge, das Schuhwerk in Fetzen aufgelöst, blieben ihm ohnehin die Türen aller Festsäle verschlossen, nach dem Willen einiger seiner Kommentatoren dürfte er in diesem Zustand die eigenen Werke nicht lesen. In Hotels und Gaststätten wird er in der Regel denn auch schlecht bedient, die Engelwirtin mustert ihn mit unverhohlener Mißbilligung wegen seiner von der langen Wanderschaft in Mitleidenschaft gezogenen äußeren Erscheinung. Nun folgt aus einem Erzähler und Protagonisten mit heruntergekommenem Erscheinungsbild, der möglicherweise sprezzo auf sich zieht, noch nicht die Sprezzatura des Prosawerks. Die rückblickende Erzählung auf das vielfache Mißgeschick aber ist voller Leichtigkeit und Sprezzatura, und auch der Erzähler scheint mit sich oder doch mit der Art, wie er sich erzählt, auf eine legere Weise zufrieden.
Wer bei Sebald einen erhabenen Ton wahrnimmt, auch Manierismus, sollte auch hören, wie dieser Ton ständig unterlaufen wird, er sollte es hören und auch sehen. Die Bebilderung des Prosawerks ist provokativ kunstlos, als Sujet dient nicht selten der abends den Hosentaschen entnommene Krempel, Fahrscheine, Eintrittskarten, inzwischen überflüssige Ersatzdokumente &c. Man stelle sich vor, ein Verleger hätte den Einfall, den Krempel zu entfernen und stattdessen die betrachteten Bilder von Giotto, Pisanello und Tiepolo in Kunstbandqualität zu dokumentieren. Wer keinen Sinn für Sprezzatura hat, sähe vielleicht eine Verbesserung der Edition. In Tiepolos Bildern, besonders in den Scherzi, findet sich in großer Menge Krempel besonderer Art, magischer Krempel, Schlangen, Stäbe, Schlangen um Stäbe gewickelt, Eulen, Krempel, der sich in abgewandelter auch bei Sebald findet, Koinzidenzen, Zahlenmagie, Dinge dieser Art.
Der Begriff der Sprezzatura wird in Verbindung gebracht mit den Begriffen der Insolenz und der Indolenz. Ist es nicht von indolenter Insolenz, wenn der Erzähler behauptet, an eine Stelle in Conrads Kongotagebuch, die er im Textverlauf benötigt, würde er sich wortwörtlich erinnern, obwohl das Tagebuch diese Stelle in keiner Weise enthält. Mit Interesse und Sorgfalt studiert der Leser die Zeitungsnotiz zum Tod des Majors Le Strange, um dann zu erfahren, Le Strange habe es nie gegeben und die Notiz sei gefälscht. Quelle insolence! Symbole und Bedeutungen dürfen unter der Herrschaft der Sprezzatura nicht in Pose gesetzt werden. Wer erinnert sich auch nur, wenn er auf Seite 282 einen Strohhut auf San Giorgios Kopf sieht, daß auf Seite 127 Giorgio Santini den selben in der Hand gehalten hatte.

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