Sonntag, 4. Oktober 2015

Olfaktorien

Von den Sinnen

Veilchen und Rosen mögen in Lyrik und Prosa duften, abgesehen davon ist in der Prosa - lassen wir die Lyrik beiseite - die Wiedergabe olfaktorischer Eindrücke eher rar. Es gibt Ausnahmen, eine ist das von Geruchswahrnehmungen durchsetzte Prosawerk John Banvilles. Einige wahllos aus wenigen Seiten herausgegriffene Beispiele:

She stood very close to him, half a head shorter, her civet scent stinging his nostrils. - It was crowded and there were the mingled smells of coffee and fried sausages and sugary pastry.  - He was coming more and more to hate this city, its crowds, its dirt, its smells - the river was particularly foul today. - She, too, had a smell, very different from his mother's smell, delicate and cool, like the scent of wet lilac. - There was a smell of old cigarette smoke, sweat and urine. - He tried to imagine himself a damp and odoriferous infant on his knee. - He hated the smell of sheep his clothes gave off in the rain. - A slightly nauseating smell of hops was coming over the brewery wall.

Das Ausbleiben von Geruchshinweisen läßt sich naturgemäß nicht in der gleichen mühelosen Weise durch Zitate belegen, was nicht da ist, läßt sich nicht anführen. Es müssen Situationen gefunden werden, in denen olfaktorische Wahrnehmung erwartbar wäre und doch fehlt. Als Austerlitz sich auf den Weg von Losovice aus auf den Weg nach Terezín macht, liegt im Vordergrund ein giftgrünes Feld, dahinter ein vom Rost zerfressenes petrochemisches Kombinat, aus dessen Kühltürmen und Schloten weiße Rauchwolken aufsteigen, wahrscheinlich ohne Unterlaß seit einer Reihe von Jahren. Der üble Geruch, der zweifellos über der Landschaft liegt, wird nicht vermerkt. Als wir in den Canale della Giudecca hineinfuhren, lag ein totenstilles Betongebäude unter einer weißen Rauchfahne. Brucia continuamente, fortwährend wird hier verbrannt, allerdings ohne daß über den Geruchssinn eine Umweltbeeinträchtigung spürbar würde. Auch der Brand von London am Ende der Schwindel.Gefühle ist ein rein visuelles Spektakel. Als Selysses mit viel Müh' und Plag' im Stehbuffet der Ferrovia seinen Cappuccino ergattert hat, dürfen wir das köstliche Aroma nicht genießen. Selbst der Besuch des Bahnhofspissoirs in Desenzano wird zu einem optischen, geruchsfreien Erlebnis: Il cacciatore stand da in einer ungelenken Schrift an der Wand.

Besonders bedrängend bei Banville sind die Geruchswahrnehmungen bei körperlicher Nähe, stellenweise scheint es, als seien wir abgestiegen in das Reich der Hunde. Szenen körperlicher Nähe sind bei Sebald an sich schon selten und kommen aus, ohne den Geruchssinn zu beanspruchen. Una fantesca, hörte ich sie leis sagen, und es ist mir gewesen, als spürte ich ihre Hand auf meiner Schulter. Selten genug ist es mir vorgekommen in meinem Leben, daß ich von einer mir fremden Frau angerührt worden bin. - Das Gehör ist angesprochen, ohne durch Lärm strapaziert zu werden, und, in aller Flüchtigkeit, der Tastsinn. Schwer vorstellbar, Selysses würde auch noch Lucianas Wohlgeruch erwähnen und ausgeschlossen, Austerlitz würde, als er in Marienbad an der Seite Marie de Verneuils erwacht, von ihrem civet scent berichten.

Die Wahrnehmungssinne lassen sich ordnen nach der Distanz, die sie überbrücken können, Tastsinn, Geruchssinn, Gehör, Gesicht. Sebalds Prosa ist eine Prosa der Distanz, eine Gesichts- und Augenprosa, seine Prosareise beginnt er in Italien, dem Land des Lichts. Dublin ist nicht Venedig oder Verona, der Horizont liegt näher, die Eindrücke sind anders. Der Geruchssinn erzeugt, da die Wohlgerüche in der Minderzahl und oft artifiziell hergestellt sind, schnell eine aggressive Enge, vielleicht einer der Gründe dafür, daß Banville unter dem Pseudonym Black eine zweite Karriere als Kriminalschriftsteller aufgenommen hat, ein Vorhaben, mit dem Selysses, der Augenmensch, in den Schwindel.Gefühlen nur kurz kokettiert.

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