Donnerstag, 3. August 2017

Denken und Lenken

Thekla

Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, aber der Herr allein lenkt seinen Schritt, oder, in der populären Kurzfassung, der Mensch denkt, Gott lenkt. Luhmanns Werk kann als die denkbar aufwendigste Nachzeichnung des knappen frommen Spruches gelesen werden, modifiziert für den Bedarf säkularisierter, gottloser Gesellschaften. Brecht hatte zunächst durch Austausch des Satzzeichens gedichtet: Der Mensch denkt: Gott lenkt - der Mensch täuscht sich, wenn er denkt, daß Gott lenkt, er selbst muß seine Wege nicht nur erdenken, sondern auch erbauen, frisch Genossen, seid zur Hand. Luhmann korrigiert, zwar ist kein Verlaß mehr auf den lenkenden Gott, das menschliche Denken hat davon aber keinen Gewinn, seine Zielsetzungen geraten in die systemischen Magnetfelder und können die Richtung nicht halten. Der zu Schwindelgefühlen neigende Dichter betrachtet unschlüssig Tiepolos Bild. Zur Linken, knieend, die heilige Thekla, in ihrer Fürbitte für die Bewohner der Stadt, das Gesicht aufwärts gekehrt, wo die himmlischen Heerscharen durch die Luft fahren und uns, wenn wir hinsehen wollen, einen Begriff geben von dem, was sich über unseren Köpfen vollzieht. Wir wollen hinsehen und einen Begriff haben von dem, was sich über unseren Köpfen vollzieht, was aber bekommen wir zu sehen und was sollen wir denken, wenn Tiepolos Bild schwindet vor unseren Augen.

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