Zerfall
In einer dieser steinernen Burgen möchte der Erzähler, Adroddwr, wohnen, mit nichts beschäftigt als dem Studium der vergangenen und der vergehenden Zeit. Der Leser schließt sich rückhaltlos an, stilles Behagen breitet sich aus, aber das Behagen steht auf tönernen Füßen. Was die vergangene Zeit anbelangt, so weist der Erzähler selbst auf negative Erfahrungen hin. Gegen Ende der Englischen Wallfahrt, am 13. April 1995, senkt er eine Sonde in die Tiefe der Zeit, die nur disparates Geröll zutage fördert. Auf den Tag genau vor dreihundertsiebenundneunzig Jahren wurde von Heinrich IV. das Edikt von Nantes erlassen; wurde in Dublin, Baile Átha Cliath, vor zweihundertdreiundfünfzig Jahren das Messias-Oratorium Händels uraufgeführt; Warren Hastings vor zweihundertdreiundzwanzig Jahren zum Gouverneur von Bengalen ernannt. Erholsamer wäre es, sich von der Menschengeschichte ab- und den Erdzeitaltern zuzuwenden. Die vergehende Zeit nimmt Cioran unter die Lupe. Wenn er sich auf den passage du temps konzentriere, richte sich seine Aufmerksamkeit auf das Erscheinen und Verschwinden des einzelnen Augenblicks, in Wahrheit aber könne der Geist nicht den einzelnen Augenblick fixieren, sondern nur das Vorübergehen selbst, die unendliche Auflösung, den Zerfall der Gegenwart. Betriebe man das über einen ganzen Tag, würde sich nicht allein die Gegenwart, sondern auch das Hirn auflösen, das kann niemand wollen. Auch Stachuras Narrator vermutet jakiś feler, einen Fehler im Denkansatz. Die Zeit verlaufe nicht gleichmäßig, ab und zu klumpe sie, verrinne nicht mehr, sondern gerinne. Ein neuer Morgen tut sich auf, das Herz sollte stärker schlagen, das Blut singen, an den Schultern sollten unsichtbare Flügel wachsen, die Augen sollten blitzen - aber nichts von all dem, es ist immer noch der gleiche Tag, der neue Morgen nicht wahrnehmbar, von den sieben Tagen der Woche können am Ende vielleicht nur fünf gezählt werden. Das passiere, dzięki Bogu, nicht allzu oft. Er selbst, so der Narrator, könne sich an drei, vielleicht vier solcher Fälle erinnern. Einmal habe er mehrere Tage in der Gesellschaft netter und intelligenter Menschen verbracht und dabei bald schon ein ständigen Pfeifen, gwizd, der Zeit vernommen. Er sei sich sicher gewesen, daß die Zeit, seine Zeit mit diesem Dauerton ihn auffordern wollte, die Stunden und Tage nicht länger zu vergeuden mit geistvollen und witzigen Gesprächen, denn das sei nicht seine Rolle, nicht seine Aufgabe, das sei nicht das, was zu ihm gehöre. Von Adroddwr, schon älter und reifer, wird nicht berichtet, daß er jemals mehrere Tage am Stück in Gesellschaft und gerinnender Zeit verbracht hätte. Aber auch vom Traum des einsamen Zeitbeobachters in der steinernen Burg nimmt er Abstand und löst stattdessen ein Billett für das Musée Fesch.
In einer dieser steinernen Burgen möchte der Erzähler, Adroddwr, wohnen, mit nichts beschäftigt als dem Studium der vergangenen und der vergehenden Zeit. Der Leser schließt sich rückhaltlos an, stilles Behagen breitet sich aus, aber das Behagen steht auf tönernen Füßen. Was die vergangene Zeit anbelangt, so weist der Erzähler selbst auf negative Erfahrungen hin. Gegen Ende der Englischen Wallfahrt, am 13. April 1995, senkt er eine Sonde in die Tiefe der Zeit, die nur disparates Geröll zutage fördert. Auf den Tag genau vor dreihundertsiebenundneunzig Jahren wurde von Heinrich IV. das Edikt von Nantes erlassen; wurde in Dublin, Baile Átha Cliath, vor zweihundertdreiundfünfzig Jahren das Messias-Oratorium Händels uraufgeführt; Warren Hastings vor zweihundertdreiundzwanzig Jahren zum Gouverneur von Bengalen ernannt. Erholsamer wäre es, sich von der Menschengeschichte ab- und den Erdzeitaltern zuzuwenden. Die vergehende Zeit nimmt Cioran unter die Lupe. Wenn er sich auf den passage du temps konzentriere, richte sich seine Aufmerksamkeit auf das Erscheinen und Verschwinden des einzelnen Augenblicks, in Wahrheit aber könne der Geist nicht den einzelnen Augenblick fixieren, sondern nur das Vorübergehen selbst, die unendliche Auflösung, den Zerfall der Gegenwart. Betriebe man das über einen ganzen Tag, würde sich nicht allein die Gegenwart, sondern auch das Hirn auflösen, das kann niemand wollen. Auch Stachuras Narrator vermutet jakiś feler, einen Fehler im Denkansatz. Die Zeit verlaufe nicht gleichmäßig, ab und zu klumpe sie, verrinne nicht mehr, sondern gerinne. Ein neuer Morgen tut sich auf, das Herz sollte stärker schlagen, das Blut singen, an den Schultern sollten unsichtbare Flügel wachsen, die Augen sollten blitzen - aber nichts von all dem, es ist immer noch der gleiche Tag, der neue Morgen nicht wahrnehmbar, von den sieben Tagen der Woche können am Ende vielleicht nur fünf gezählt werden. Das passiere, dzięki Bogu, nicht allzu oft. Er selbst, so der Narrator, könne sich an drei, vielleicht vier solcher Fälle erinnern. Einmal habe er mehrere Tage in der Gesellschaft netter und intelligenter Menschen verbracht und dabei bald schon ein ständigen Pfeifen, gwizd, der Zeit vernommen. Er sei sich sicher gewesen, daß die Zeit, seine Zeit mit diesem Dauerton ihn auffordern wollte, die Stunden und Tage nicht länger zu vergeuden mit geistvollen und witzigen Gesprächen, denn das sei nicht seine Rolle, nicht seine Aufgabe, das sei nicht das, was zu ihm gehöre. Von Adroddwr, schon älter und reifer, wird nicht berichtet, daß er jemals mehrere Tage am Stück in Gesellschaft und gerinnender Zeit verbracht hätte. Aber auch vom Traum des einsamen Zeitbeobachters in der steinernen Burg nimmt er Abstand und löst stattdessen ein Billett für das Musée Fesch.
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