Montag, 2. Juli 2018

Ein ganzer Tag

Rüge

Minęło kilka dni, einige Tage gingen dahin, diesen Satz lieben die Romanschriftsteller. So entledigen sie sie mit wenigen Worten einer Reihe von Tagen, derer man sich, wie immer sie sein mochten, farblos, leer, lieblos - sofern das überhaupt möglich ist, ein liebloser Tag -, Tage also, derer man sich ersichtlich nicht mit einem Satz, einem Ruck, einer kleinen Handbewegung, einer leichten eleganten Geste entledigen kann, so als ginge es darum, eine Katze am Boden zu ergreifen, um sie auf die Knie zu nehmen. Macht er, Sted, es anders? Nein, aber er empfindet wenigstens die Lächerlichkeit dieses jämmerlichen Satzes: minęło kilka dni. Joyce hat die Lächerlichkeit wohl auch gespürt und daher die Handlung des Ulysses auf einen Tag, den Bloomsday, beschränkt und damit dem verhängnisvollen Satz den Zugang zum Text verwehrt. Die Englische Wallfahrt erstreckt sich nur über wenige Tage und, soweit das unübersichtliche Zeitgeflecht der Erzählung ein abschließendes Urteil zuläßt, wird kein Tag übersprungen, kein Tag geht kommentarlos dahin. Tief ist der Brunnen der Vergangenheit: besondere Schwierigkeiten wirft der historische Roman auf. Wie sollte man in den tiefen Brunnen der Vergangenheit steigen und dabei sozusagen im Rückwärtsgang jeden einzelnen Tag berücksichtigen, wo doch, wenn man Kafka folgt – und welchen Grund gäbe es, ihm nicht zu folgen – schon für den Ritt in das nächste Dorf ein Menschenleben nicht reicht. Opowiadać dzień po dniu, jak tam było - nie potrafię, ein gewaltiger Sprung über tausend und abertausend Tage zurück ist unvermeidlich. Auch Sted hatte mit dem Bloomsday geliebäugelt, Jeden dzień, Ein Tag heißt sein erster Erzählband, Jeden dzień auch die erste Erzählung in diesem Band. Frühmorgens trifft der Narrator ein in der großen Stadt, den ganzen Tag läuft er durch die Straßen und über die Brücken, von denen es viele gibt in dieser Stadt, es handelt sich erkennbar um Breslau. Frühmorgens trifft der Erzähler, Adroddwr, im Bahnhof Innsbruck ein, betrachtet die Sandler, die beizeiten einen Kasten Gösser-Bier hervorzaubern, sucht die Tiroler Stuben auf, wo die Bedienerin ihm in bösartiger Weise das Maul anhängt, fährt weiter mit dem Bus, in Begleitung der Tiroler Weiber, die sich in ihrem weit hinten im Hals wie eine Vogelsprache artikulierten Dialekt unterhalten, begibt sich in Oberjoch auf den Fußmarsch nach W., sinniert in der Krummenbacher Kapelle über Gott und die Kunst, stärkt sich beim Hirschwirt mit Brotsuppe und Tirolerwein, trifft am Ziel ein in der Dämmerung, in der Dunkelheit bereits nachtet er ein beim Engelwirt, ein Tag war dahingegangen. Dabei gehört der Abend schon nicht mehr zum Tag, und der Morgen gehört gewiß schon zum nächsten.

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