Notausgang
Die Bauern und
Holzknechte saßen immer gruppenweise in der Gaststätte, für sich allein saß,
von allen unbeachtet, der Jäger Hans Schlag, der ursprünglich, wie vor Zeiten
auch der Jäger Gracchus, jahrelang ein
großes Revier im Schwarzwald versehen hatte. Es schien, als habe die Dunkelheit
des Waldes auf den Jäger Schlag abgefärbt, dunkel ist das Haupt und Barthaar, die
Augen tiefliegend und überschattet. Stundenlang, bis tief in die Nacht hinein
saß er vor seinem Glas. Meist war sein Blick auf die auffallend kostbare
Taschenuhr gesenkt, die er vor sich liegen hatte, als dürfe er einen wichtigen
Termin nicht versäumen, als würde etwas unwiderruflich zu Ende gehen. Einen
ähnlichen Eindruck hatte man bei dem alten halbblinden Mann im Café des Sports
in Evisa, der nur immer unverwandt nach oben blickte und dabei gleichmäßig mit
dem Daumen und dem Zeigefinger seiner rechten Hand den sechskantigen Stiel
seines Glases Ruck für Ruck weiter drehte, so gleichmäßig, als habe er in
seiner Brust statt eines Herzens das Räderwerk einer Uhr. Auf welches Ende
wartet er? Was den Jägers Gracchus anbelangt, vermutet der Dichter, der Sinn seiner
unablässigen Fahrten bestünde in der Abbuße einer Sehnsucht nach Liebe, eine
nicht ganz leicht zu verstehende Einschätzung. Wie auch immer, der Jäger Schlag
zeigt sich auf dem Feld der Liebe um einiges robuster. Kaum hat er die
Gastwirtschaft verlassen, treffen wir ihn im nahegelegenen Holzschopf. Er stand
dort, mit einer Hand an dem inneren Lattenverschlag des Schopfs sich
einhaltend, in der Haltung eines gegen den Wind gehenden Menschen im Dunkeln,
seinen ganzen Körper aber durchlief eine seltsame, fortwährend sich
wiederholende Bewegung. Ein schweres Stöhnen und Schnaufen drang aus der Brust
des Jägers und einmal um das andere schob er, wenn die Welle ihm das Kreuz
eindrückte, in die Romana hinein. In derselben Nacht zerstörte der einbeinige
Engelwirt Sallaba die gesamte Einrichtung der Gaststube. War diese Abfolge der
Ereignisse Zufall oder bedeutsam? Hatte auch der Sallaba auf die Romana
gesetzt, oder war es ein anderer, davon unberührter Anlaß, der ihn zum
Berserker machte? Nur ein Zeuge, ein Kind zudem, hatte den Vorfall im Schopf
beobachtet und nicht davon weitererzählt, andererseits: Fahnder glauben nicht
gern an den Zufall, aber sie behalten nicht immer recht. Dann, nur wenig
später, findet der Jäger selbst den Tod. Außerhalb seines Reviers, auf der
Tiroler Seite, hatte man ihn auf dem Grund eines Tobels aufgefunden.
Wieder fragt man sich: Hatte Sallaba
seine Hand im Spiel? Die amtliche Untersuchung wird bald eingestellt, man ist
nicht besonders interessiert und geht von einem Unglücksfall aus. Das einzig
bemerkenswerte Ergebnis der Obduktion ist eine auf dem linken Oberarm des Toten
eintätowierte kleine Barke. Muß man im Jäger Schlag eine Mutation, eine zweite
Erscheinung des Jägers Gracchus sehen? Hat Gracchus einen Weg gefunden, sich zu
befreien vom Lebenszwang und den unablässigen und sinnlosen Fahrten, hat er auf
wohlbedachten Umwegen zu seinem Tod im Tobel gefunden? Niemand weint ihm eine
Träne nach, am wenigsten er selbst, er hat sein Ziel durch den Notausgang erreicht.
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