Mittwoch, 20. Januar 2021

Väter und Söhne

Je ne l’ai plus jamais revu


Nirgendwo ist das Verhältnis von Sohn und Vater enger als in Stifters Nachsommer, es scheint, als habe sich angesichts der bis auf weiteres anhaltenden Sterblichkeit des Menschen und wachsender Zweifel an der Auferstehung von den Toten der Vater vermittels einer Art Zellteilung rechtzeitig verdoppelt und verjüngt, um so in der Gestalt seines Sohnes den eingeschlagenen Weg im Leben nahezu unverändert weitergehen zu können. Folgt man Novalis, waren die Familienverhältnisse schon im Mittelalter vergleichbar lauschig, dergleichen begegnet aber in der Weltliteratur des neunzehnten Jahrhunderts kaum noch, man denke an Turgenjews Väter und Söhne oder an die Söhne Karamasows bei Dostojewski. Auch in Wissenschaft und Philosophie wurde das Verhältnis Vater und Sohn einer entlarvenden Betrachtung unterzogen, die sich dann in der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts dominant ausbreitet. In Ritorno in patria ist der Vater anwesend, aber nicht sichtbar, man hört, daß er seinen Sohn ins Wirtshaus schickt, Zigaretten der Marke Zuban zu holen, mehr hört man nicht von ihm, der Vater wird verschwiegen, das läßt nicht auf ein gutes Verhältnis schließen. Von der Mutter hört man im übrigen kaum mehr, sie hält, soviel  erfährt man, dem Großvater ständig einen unangenehmen Milchkaffee warm, den er nicht trinkt, sondern heimlich in den Ausguß schüttet. Der Großvater selbst rückt in den Vordergrund, er ist es, den der Junge auf langen und kurzen Wegen begleitet, der Junge darf den Großvater auch beim Kartenspiel mit der Mathild Seelos zusehen, der Großvater erzählt ihm vom Tod des Jägers Hans Schlag und er sitzt Tage und Nächte am Bett des Jungen, als der an Diphterie erkrankt. Die Distanzierung von den Eltern erfolgt in milder Form durch Beschweigen.

Der Vater anwesend, aber nicht sichtbar: bei Modiano herrschen oft umgekehrte Verhältnisse, der Vater ist abwesend, aber präsent in den Gedanken des Sohns. In Remise de peine sind Patoche und sein Bruder einem von vier Frauen bewohnten Haus überantwortet, der Vater pendelt geschäftehalber zwischen Südamerika und Afrika und schaut ab und vorbei, die Mutter ist aus künstlerischen Anlaß auf Tournee gänzlich im Ausland verschwunden. Das Verhältnis zum Vater ist immer zwiespältig, mal wird er verflucht, mal ersehnt. In den boulevards se ceinture erkennt der Vater den inzwischen erwachsenen, getrennt vom ihm lebenden Sohn nicht mehr, mal heißt es, der Vater habe versucht, den Sohn vor einen Zug zu stoßen, dann wieder, der Sohn habe einen Beleidiger des Vaters erwürgt, beides vermag auf Wahnvorstellungen beruhen. Die Mutter bleibt verschwunden, dann wieder erscheint sie verfremdet als Megäre, etwa in La Petite Bijou, oder, in verschiedenen Büchern, als kreischende Wegelagerin, die von ihrem inzwischen erwachsenen Sohn Geld einfordert. In Un pedigree wird dann auch der Vater endgültig verstoßen, je ne l’ai plus jamais revu. Wie in Ritorno in patria  wird der Vater rückblickend durch den Großvater, einen Flame namens Louis Bogaerts ersetzt.

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