Sonntag, 25. Oktober 2009

Austerlitz

Wer den Einstieg in Sebalds Werk über Austerlitz nimmt, glaubt sicher nichts anderes, als daß es einen Roman liest. Schon vorsichtiger wird sein, wer zuvor schon die Schwindel.Gefühle oder die Ringe des Saturn gelesen hat, Werke, bei denen es schon einiger Kühnheit bedarf, sie als Romane zu titulieren und deren Verwandtschaft mit Austerlitz gleichwohl augenfällig ist. Die Stellung des sebaldnahen Erzählers, Selysses, ist im Austerlitzbuch die gleiche wie in den Ausgewanderten, von ihm aus fällt Licht auf den Protagonisten, in diesem Fall auf den titelgebenden Jacques Austerlitz. Anders als die vier Ausgewanderten ist Austerlitz eines Zufallsbekanntschaft des Selysses, und die Wiederbegegnungen der beiden haben nicht selten einen Grad der Unwahrscheinlichkeit, der in seinem geradezu extravaganten Ausmaß offenbar signalisieren will, auf keinen Fall handele es sich um einen in irgendeiner Weise realistischen Roman. Wie Vergil den Dante, so nimmt Austerlitz den Selysses an die Hand und führt ihn durch die Hölle Europas mit ihrem satanischen Zentrum in Theresienstadt, aber auch, freilich nur kurz, ins Paradies, das in Wales zu finden ist und Andromeda Lodge heißt. Die romanhafte Gestalt des Werkes und damit die fehlende Untergliederung in mehrere recht selbständge Teile machen verbindende Motive schöner Rätselhaftigkeit wie den Jäger Gracchus in den Schwindel.Gefühlen, den Schmetterlingsmann in den Ausgewanderten oder den Seidenwurm in den Ringen des Saturn leider entbehrlich.

Austerlitz hat Sebalds breiteren Ruhm begründet, und ihm den Ruf eines Holocaustdichters eingebracht, der, wie im Essay Luftkrieg und Literatur nachzulesen, auch die Opfer der Bombenflüge gegen Deutschland nicht übersieht.


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