Montag, 28. Mai 2012

Piazza Grande


Rauschend tauchen die bis zur Bordkante beladenen Kähne aus dem Nebel auf, durchpflügen die aspikgrüne Flut und verschwinden wieder in den weißen Schwaden der Luft. Reglos stehen die Steuermänner im Heck, ein Sinnbild der Wahrhaftigkeit. Wer hineingeht in das Innere der Stadt, dachte er, weiß nie, was man als nächstes sieht oder von wem man im nächsten Augenblick gesehen wird. Geht man in eine sonst leere Gasse hinter jemandem her, so bedarf es nur einer geringfügigen Beschleunigung der Schritte, um demjenigen, den man verfolgt, die Angst in den Nacken zu setzen, und umgekehrt wird man leicht selbst zum Verfolgten. Es war mit einem gewissen Gefühl der Befreiung, daß er, nachdem er eine Stunde fast unter den hohen Häusern des Ghettos herumgegangen war, bei San Giorgio wieder den Großen Platz erreichte. Wenn man so große Plätze nur aus Übermut baut, warum baut man nicht auch ein Steingeländer, das durch den Platz führen könnte. Heute bläst ein Südwestwind. Die Luft auf dem Platz ist aufgeregt. Die Menschen bewegen sich in seltsamer Neigung über die Piazza, als stürze ein jeder seinem Ende entgegen. Die Spitze des Rathausturmes beschreibt kleine Kreise. Warum macht man nicht Ruhe in dem Gedränge? Was ist das doch für ein Lärm! Alle Fensterscheiben lärmen und die Laternenpfähle biegen sich wie Bambus. Der Mantel der heiligen Maria auf der Säule rundet sich und die stürmische Luft reißt an ihm. Sieht es denn niemand? Die Herren und Damen, die auf den Steinen gehen sollten, schweben. Laufet eilends vor dem Wind! Wenn der Wind Atem holt, bleiben sie stehn, sagen einige Worte zu einander und verneigen sich grüßend, stößt aber der Wind wieder, können sie ihm nicht widerstehn und alle heben gleichzeitig ihre Füße, hasten kreuz und quer über das Pflaster. Zwar müssen sie fest ihre Hüte halten, aber ihre Augen schauen lustig, als wäre milde Witterung. Nur ich fürchte mich.

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