Freitag, 2. April 2021

Beziehungen

Ausprägungen der Liebe

Die Schwindel.Gefühle, so der Autor, seien ein Buch der Liebe, aber ohne Beziehungsgeschichten. Der Mangel an Beziehungsgeschichten ist augenfällig, Liebe als leitendes Motiv weniger. Von Beziehungsgeschichten läßt sich mühelos erzählen, von der Liebe nicht, sie ist verborgen. Wenn der Dichter mutmaßt, der Sinn der der unablässigen Fahrten des Jägers Gracchus bestünde in der Abbuße einer Sehnsucht nach Liebe, gibt das allerdings zu denken, ebenso wenn die Frage aufgeworfen wird, welcher Liebe es bedurft hätte, um einen Kind die Schrecknisse der Liebe zu ersparen, die vor allem anderen die Schrecken der Erde ausmachten. Diese Worte treffen nicht das verbreitete Bild von Liebe, ein grader Weg zur Beziehungsgeschichte scheint sich auch nicht zu eröffnen. Man sollte andererseits aber Kafkas Briefe an Felice und Milena nicht aus dem Auge verlieren. In der alten Literatur, man denke an Lawnslot und Gwenhwyfar oder an Trystan und Esyllt, vollzogen sich die Liebesausbrüche zumeist in einem illegitimen, ehebrecherischen Rahmen, das verlieh ihnen Tiefe und zugleich den Charakter leicht erzählbarer Beziehungsgeschichten, die naturgemäß einen anderen Klang haben als die heutigen. Für einen Augenblick könnte es scheinen, als würde Chateaubriand sich noch auf ähnlichen Pfaden bewegen. Beim Abschiedsdinner erläutert die Mutter, wie Charlotte ihm in ihren Gefühlen bereits ganz und gar angehöre, der Vicomte ist in die größte innere Aufruhr gestürzt und bricht in den Verzweiflungsruf aus: Arrêtez, je suis marié! Der notgedrungene Liebesverzicht war auch schon im Minnewesen des Mittelalters ein Hauptweg gewesen und kennzeichnet umso mehr die Romantik. Der Liebesverzicht auf der einen und das Sichverlieben am richtigen Ort auf der anderen Seite. Selbst bei Tolstoi, längst kein Romantiker, hat das Thema noch eine gewisse Dominanz und zwar bezogen auf ihn selbst, in Krieg und Frieden, verkleidet als Pierre Besuchow, in Bezug auf Natascha und in Anna Karenina, verkleidet als Lewin, in Bezug auf Kitty. Pierre Besuchows Liebesglück wird dann im Epilog eilfertig in das Glück der Ehe umgeleitet, bei Lewin verläuft es ähnlich, ergänzend hat Tolstoi einen Kurzroman speziell über das Familienglück geschrieben, Семейное счастие. Im Werk des Dichters stehen Verliebtheit und Eheglück nicht im Mittelpunkt. Der Erzähler geht nach der Heirat mit seiner Frau Clara auf Wohnungssuche, viel mehr erfahren wir nicht von dem Paar. Helen Hollaender war klug und ein ziemlich tiefes Wasser, in dem Paul Bereyter gerne sich spiegelte, aber dann ist sie wieder nach Wien verschwunden. Eine in ihren Einzelheiten nicht dargelegte Gemeinschaft mit Mme Landau in fortgeschrittenem Alter bewahrt Bereyter nicht davor, sich vor den Zug zu legen. Adelwarth und Cosmo Solomon sind offenbar ein gleichgeschlechtliches Paar, von Liebe, geschweige denn von Eheglück, wurde bei dieser Konstellation zur damaligen Zeit nicht gesprochen.

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