Freitag, 16. April 2021

Stärker als ich

Kindisch



Ihren Freundinnen, die am selben Tisch saßen, erzählt sie, es bereite ihr Freude, in der Kirche mit den Absätzen zu klappern, obgleich sie sehr wohl wisse, daß man leise durch die Kirche gehen soll, sie aber gehe durch die Kirche und klappere und scheppere mit den Absätzen, das sei stärker als sie, to jest silnejsze od niej. Ist es wirklich stärker als sie, ein pathologischer Zwang gar, oder nur eine Marotte, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, gleich doppelt, einmal mit dem Klappern, und zum anderen mit der vorgeblichen Hilflosigkeit und Rätselhaftigkeit ihres Wesens. Man erfährt weiter nichts und kann sich in dieser Frage nicht festlegen. Was Bereyter anbelangt, so unterrichtet er alle Volksschulfächer mit Ausnahme des Faches Religion, das Angelegenheit der Katholischen Kirche ist und von einem Katecheten oder Benefiziaten wahrgenommen wird. Wann immer der Katechet an der Reihe ist, hat Bereyter das Weihwasserbehältnis randvoll mit schnödem Wasser aus der Gießkanne gefüllt, so daß der Katechet das eigens mitgebrachte geweihte Wasser nicht zum Einsatz bringen kann, ein Glaubensfrevel der weit über den der klappernden Schuhe hinausgeht. Von einem Zwang, der stärker ist als er, kann im Fall Bereyter nicht die Rede sein, er kann einfach die katholische Salbaderei, wie er sich ausdrückt, nicht ertragen. Bereyter geht kühl kalkulierend vor und ist Herr der Lage. Von außen gesehen ist sowohl der polnischen Kirchgängerin, von der man weiter nichts weiß, als auch Bereyter ein kindisches Verhalten zu vorzuhalten. Wenn aber auf einer ganz anderen Ebene hinter Bereyters Freitod ein selbstzerstörerischen Zwang vermutet wird, ein Zwang also, der stärker war als er, ist alles Kindische verschwunden. Wäre nicht bereits im ersten Satz vom Suizid die Rede gewesen, hätte mancher wohl gedacht, unter der Obhut der Mme Landau würden sich Anwandlungen in dieser Richtung bald gelegt haben. Das, was Bereyter als seine Zustände bezeichnete, schien kuriert, der nun beginnende Verlust des Augenlichts läßt ihn nicht verzweifeln, er freut sich schon auf die behaglichen Stunden, in denen Mme Landau ihm aus Pestalozzis Schriften vorlesen wird. Eine erkennbare, zum Suizid leitende Kausalität, fehlt, was als zerstörende Kraft in seine Seele eingedrungen ist, läßt sich nicht sagen.

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