Dienstag, 13. April 2021

Unter Sterblichen

Bedienung


Die nicht zumutbare Zumutung des Todes ist der Basso continuo in Stachuras Erzählwelt, besonders nachdrücklich im Siekierezada. Der Roman beginnt mit dem Satz: Dostał się pod koła, pokatulkało go i kaput, er geriet unter die Räder, wurde zerquetscht und kaputt, geschildert ist der Unfalltod Zbigniew Cybulskis am frühen Morgen auf dem Gleis des Breslauer Bahnhof. Unschätzbar ist angesichts des Todes das banale Leben. Nach einer Woche beim Holzfällen gönnt Pradera, der Erzähler, sich ein luxuriöses Mahl in der Hoplanka, Rostbraten schwebt ihm vor, Eisbein, eine doppelte Portion Kartoffeln, eine doppelte Portion Sauerkraut, Senf und zusätzlich zwei saure Gurken, ein landespezifisches Menü. Bereits nach einer Viertelstunde, den Maßstäben der Volksrepublik entsprechend also ohne jeden Zeitverlust, zeigt sich die Kellnerin, klein, rundlich mit Minirock und Minischürze, resolut das Hinterteil schwingend, bereit die Bestellung aufzunehmen. Ob er das denn alles essen könne, fragt sie. Die Antwort: Er könne ohne weiteres zum Dessert auch noch sie vernaschen. Diese Art zu reden sei nicht sein Stil, nicht seine Mundart, erläutert Pradera, aber mit einer Kellnerin, auch sie eine Sterbliche, müsse man sich gut stellen, sonst könne ohne weiteres eine Stunde und mehr ergehen bis zum Servieren. Aber ist es wirklich nur Taktik? Die Worte zaubern ein zärtliches Lächeln hervor und in Sekundenschelle geradezu trägt die junge Frau mit noch mehr Schwung das Bestellte herbei. Eine Begegnung zwischen zwei Sterblichen. Der Dichter seinerseits findet bei Gelegenheiten dieser Art nicht immer den richtigen Ton. In den Tiroler Stuben des Innsbrucker Bahnhofs wirken sich der Tiroler Morgenkaffee wie auch die Tiroler Nachrichten ungünstig auf seine Verfassung aus, und womöglich führt der unzufriedene Tonfall seiner gar nicht einmal unfreundlich gemeinte Bemerkung über den Tiroler Zichorienkaffee dazu, daß die früh aus ihrem Schlaf gerissene Bedienerin auf die bösartigste Art, die man sich denken kann, ihm das Maul anhängt. Im Fall der kleinen Bedienerin im Minirock mag die menschliche Gemeinsamkeit vage und vielleicht bestreitbar sein, nicht aber bei den alten, dem Tode nahen Frauen, Babcia Olenka etwa in Siekierezada und Babcia Potęgowa in Cała jaskrawość, hier ist eine wahrhaft christliche, wenn auch gänzlich ungezwungene, menschliche und irreligiöse Liebe festzustellen. Hatte sie ihm, der sich zum Schlafen gelegt hatte, übers Haar gestrichen und die Decke geglättet wie einem Kind? Auch was die älteren Frauen anbelangt, hat der Dichter kein gleichwertiges Benehmen zu bieten. Bisweilen hielt der Bus und ließ eines der alten Weiber einsteigen, die in gewissen Abständen unter ihren schwarzen Regendächern an der Straße standen. Es kam auf diese Weise bald eine ganze Zahl solcher Tiroler Weiber zusammen. Sie unterhielten sich in ihrem hinten im Hals wie eine Vogelsprache artikulierten Dialekt vornehmlich, ja ausschließlich von dem nicht mehr enden wollenden Regen. Vielleicht ist es der Schock des in den Tiroler Stuben angehängten Mauls, der keine Sympathie mit den Tirolerinnen aufkommen läßt. Auch Pani Olenka und Pani Potęgowa sprechen keineswegs das Polnisch der Metropole, sondern eine dörfliche Variante der Landessprache, ihre Gäste sind umso mehr entzückt.

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