Donnerstag, 25. Juli 2024

Kafka

K. und K., Samsa und Gracchus

Der Schriftsteller hat Kafka im Auge, er nimmt an, daß Kafka gleich etwas scheiben wird, er schreibt aber nicht. Sonst ständig an seinen Erzählungen schreibend, schreibt er hier gar nicht. Er hat zu dieser Zeit den Rang eines Vicesekretärs. Er ist unterwegs, um an einem Kongreß teilzunehmen, Freude hat er nicht daran, er fühlt sich nicht wohl in dem Hotel, in dem man ihn untergebracht hat. Der Kongreß ist beendet, er fährt weiter nach Venedig und dann nach Desenzano, eine Wasserheilanstalt soll seine Gesundheit verbessern. Nebenbei hat er viel Zeit, er hätte zum Beispiel den Prozeß oder Das Schloß oder auch die Wandlung, Schriften mit romanartigem Umfang, vollenden können, jeder weiß, daß die drei Erzählungen nicht vollends abgeschlossen wurden. Der Prozeß, das Schloß und  die Wandlung zählen gleichwohl  zu Kafkas herausragenden Erzählungen. Die drei Bücher werden immer schmaler, das Schloß gut dreieinhalbhundert Seiten, der Prozeß zweihundert und die Wandlung  achtzig Seiten. Josef K. wird verhaftet, ohne daß er etwas Böses getan hätte, letztlich wird er nach einem Prozeß zum Tode verurteilt und muß sterben wie ein Hund. Gregor Samsa verwandelt sich eines Tages in seinem Bett ein ungeheures, panzerartiges Ungeziefer, dessen Überlebenszeit beschränkt ist. K. überlebt, erreicht sein Ziel, nicht aber die Aufnahme, in das Schloß, die Erwartung als Landvermesser zu arbeiten erfüllt sich nicht. Der Schriftsteller wendet sich schließlich dem Jäger Gracchus zu, er wurde bislang nur selten gesehen. Auch noch nach mehr als tausend Jahren nach einem Unfalltod vermag er nicht zu sterben. Durch eine falsche Drehung bei der Einfahrt zum Totenreich hat er sein friedliches Ende verpaßt, rastlos ist er als lebender Toter unterwegs. Jetzt, in Riva, scheint endlich die Totenfahrt möglich, der Jäger Gracchus ist mehr als erleichtert.

 

Dienstag, 23. Juli 2024

Talking God

In Schönheit

 

Um seinen Verwandten zu begegnen war er in die USA gefahren, eine besondere Zuneigung zu dem Land hatte er nicht, die Uhreinwohner, so scheint es, hat er gar nicht wahrgenommen. Die frühen Filme hatten von den Indianern gar nichts Positives wahrgenommen, nur grausame Untaten, das verbesserte sich in der Folge, ohne aber zu überzeugen. Die Belletristik war überzeugender mit ihren Vorgaben, allen voran die Navajos unter der Obacht von Toni Hillerman, der uns Genaueres wissen läßt. Eine Navajofrau will ihr totkrankes Kind dadurch retten, daß sie jemand anderes tötet, eine unter den Navajos ursprünglich verbreitete, aber zum Scheitern verworfene Maßnahme. Das ursprüngliche,  umfassende Denken und Verhalten der Navajo, Eigenbezeichung Diné, bleibt uns verschlossen. Der Polizist Chee ist über das urtümliche Denken der Frau hinaus, ansonsten aber dem Weltverständnis der Navajos treu verbunden. Leutnant Leaphorn hat, wenn man so sagen will, das amerikanische Leben so gut wie vollständig übernommen, ohne aber das Wesen der Navajos zu vergessen. Es ergibt sich eine allgemeine Annäherung der Navajo an die amerikanischen Verhältnisse, ohne daß das ursprüngliche Leben, abgesehen von einzelnen Personen, ganz untergehen würde. Die weißen Anwohner sind in vielen Einzelheiten schwer verständlich, auffällig ist unter anderem das fehlende oder doch geringe Interesse der Navajo an Rache. Nach wie vor strebt man ein mehr oder weniger vertrautes und doch ganz anderes Leben in  Schönheit, Hózhó, und Harmonie an, in beauty we walk. Ein angenehmer, vorbildlicher Zug der Navajo ist die Geduld beim Sprechen der anderen, man wartet geduldig ab, bis der andere zuverlässig ausgesprochen hat und noch ein wenig länger. Die Kaczina ist ursprüngliche ein religiöses Unterfangen, inzwischen hat sie den Charakter einer  unterhaltsamen Folklore, und doch ist sie weiterhin wichtig für die Teilnehmer des Festes. Auffällig ist das Verhältnis der Navajo zu den Sterbenden und den Toten, der Hogan muß geräumt werden, bevor der Kranke stirbt, der Umgang mit den Toten ist weitaus komplizierter als zum Beispiel bei den Hopi.  Chindis sind der Geist eines Toten, er soll unbemerkt im Dunkel verschwinden. Changing Woman und Talking God sind die entscheidenden Figuren, selbst muß man in Schönheit leben mit der Welt um sich herum. Auch Navajos der Neuzeit, verehren insgeheim das herkömmliche Verhalten. Man vermeidet, den Namen der Toten zu sprechen. Die Welt ist unverständlich, ein jedes Volk ist auf seine Weise bemüht sie nach bestem Wissen zu verstehen, das eine oder andere Unverständliche verständlich zu machen.

 

Montag, 15. Juli 2024

Auf dem Weg zum Tod

 

Auf dem Weg zum Tod

Nur in den Schwindelgefühlen und konkret in All`estero und zwar bei der Reise 1980, beschäftigt er sich mit sich selbst. Später verfolgt er das Leben anderer und ist selbst sozusagen ein Zuschauer. Das eigene Familienleben bleibt weitgehend unbeachtet. Der Tod erreicht ihn völlig unerwartet von seinem Tag auf den anderen. Anders Stachura, auch wenn er andere Namen benutzt, Szerucki etwa oder Janek Pradera, zeichnet er doch immer sich selbst. Abseits der literarischen Prosa stellt er sich vor allem in den Tagebücher (Dzienniki) selbst dar. Pogodzic sie ze swiatem (Sich mit der Welt versöhnen) zeichnet dann später detailliert seinen gewollten Weg zum Tod. 

Die Dzienniki erzählen von einem längeren Aufenthalt in Mexiko, dominant ist der geradezu pausenloser Briefverkehr mit seiner Frau Zyta (Orszyn), die zuvor in den beiden Romanen, Cała Jasrawość und Siekierezada, als Gałązka Jabłoni auftrat. Das Ende der Zeitarbeit Szeruckis sowie Praderas und die Rückkehr zur Lebensgefährtin wird in beiden Romanen voller Ungeduld erwartet. Zwischen der erdachten Gałązka Jabłoni und der realen Zyta besteht kein nennenswerter Unterschied, sieht man davon ab, daß pausenlos Briefe von der realen Zyta eintreffen, die Stachura pausenlos beantwortet. So ist es im Jahr 1973, und im Jahr 1979 wird es nicht anders sein, so glaubt man. Es ist erschreckend anders. 

Nach den beiden Romanen wird die Literatur nicht weiter verfolg, eine Art Philosophie, vorgetragen von einem ein Guru mischt sich ein, Fabula rasa und ähnliche Zeilen sind ein literarisches Produkt von vergleichsweise geringem Charme. Zyta und Sted haben sich inzwischen getrennt, man weiß nicht, von wem es ausging, wen es am meisten trifft. War Steds Kollision mit dem Zug, der ihm die Hand verstümmelt hatte, gewollt, hatte er sterben wollen? Er wohnt jetzt bei seiner Mutter, die aufgrund ihrer unerschütterlichen Gottgläubigkeit den Tod weder fürchtet noch herausfordert oder vorzeitig erwartet. Das Verhalten der Mutter scheint auf ihn überzugehen, die Genesung scheint nah. Er verläßt die Mutter für einige Tage, um bestimmte Dinge in Warschau zu regeln, so heißt es. Es ist endgültig, geboren am 18. August 1937 erhängt sich Edward Stachura am 24. Juli 1979 in seiner Warschauer Wohnung.