Sonntag, 3. Juni 2018

Vier Konterfeis

Maskotten

Offenbar war dem Dichter daran gelegen, in jedem der vier Prosawerke einmal sein Konterfei zu sehen.

Schwindel.Gefühle
Die Frage, worin sich der Erzähler vom Autor unterscheidet, soll, wie es scheint, klar beantwortet werden: es gibt keinen Unterschied. Schon die vom Brigadiere gefertigte Verlusturkunde für den abhanden gekommenen Paß identifiziert den Erzähler als W. Sebald, der kurze Zeit später Ersatzpaß zeigt überdies sein aus einem rumorenden Photoautomaten im Mailänder Bahnhof stammendes Konterfei. Durchgehend ist das Bemühen zu erkennen, das Erzählte als wahrheitsgemäß zu dokumentieren, den Besuch des Giardino Giusto mittels des Eintrittsbillett, den Besuch der Pizzeria Verona durch den Rechnungsbeleg. So wie der Erzähler seinen überhasteten Aufbruch aus der Pizzeria beschreibt – ich lege 10 000 Lire auf den Tisch, raffe die Zeitung zusammen, stürze auf die Straße hinaus, laufe zur Piazza hinüber, lasse ein Taxi rufen -, verwundert es allerdings, daß er Sinn dafür hatte, den Beleg mitzunehmen. Der Erzähler ist dadurch gehandicapt, daß er keinen Photoapparat dabei hat. Gern sähe man ein Photo des Graffito Il cacciatore im Bahnhofspissoir von Desenzano sowie ein weiteres Photo mit der Ergänzung nella silva negra von eigener Hand. Dennoch ist man letztlich froh, daß er nicht etwa versucht, einen der vor dem Bahnhof wartenden Taxifahrer zu überreden, das Pissoir zwecks Anfertigung einer Photographie aufzusuchen, Das Fiasko wenige Zeit später im Bus nach Riva, als er vergeblich versucht, ein Bild der kafkaesken Zwillinge zu erhandeln, reicht völlig.

Die Ausgewanderten
Dann holte der Onkel Kasimir eine Kamera aus seinem großkarierten Überzieher heraus und machte diese Aufnahme, von der er mir zwei Jahre später, wahrscheinlich, als der Film endlich voll war, einen Abzug schickte. - Man könnte den Eindruck haben, der Autor wisse nicht recht, was anfangen mit dem verspätet übersandten Bild und habe es daher zunächst in der Prosa zwischengelagert. Handelte es sich etwa auch in den Schwindel.Gefühlen weniger um Dokumentation als um Entsorgung? Eintrittskarten, Gasthausrechnungen, provisorische Pässe, man findet sie in irgendwelchen Taschen und zögert im ersten Augenblick der Erinnerung, die sie auslösen, das Gefundene gleich dem Müll anheimzugeben, was eignet sich besser als die Prosa für die vorläufige Verwahrung. Der Leser steht im Fall des Bildes aus Amerika allerdings vor der Schwierigkeit, daß er den Autor in keiner Weise erkennen kann, daß er, was die Identität anbelangt, also auf dessen Wort angewiesen ist, ein Wort, das bekannt ist für seine Unzuverlässigkeit in Sachfragen.

Die Ringe des Saturn
Diese Aufnahme wurde vor zirka zehn Jahren gemacht, erfahren wir. Die libanesische Zeder, an die der Autor, in Unkenntnis noch der unguten Dinge, die seither geschehen sind, gelehnt steht, ist einer der schon bei Anlage des Parks gepflanzten Bäume. – Das ist sicher kein aus bloßer Verlegenheit eingefügtes Bild. Ein sterblicher Mensch vor einem Baum nahezu mit Ewigkeitsanspruch. Das Bild leitet die abschließende Passage von Teil IX der Ringe des Saturn ein, eine Passage, wie sie in der Sprache der Literaturkritik obligatorisch als fulminant gefeiert wird, tatsächlich von unvergeßlicher Schönheit in der Darstellung der Vernichtung der Bäume durch Krankheit oder Sturm. Das Photo ist das einzig von den vieren, über dessen Urheber nichts mitgeteilt wird.

Austerlitz
Von Austerlitz haben wir Bilder als Kind in Prag im Kostüm des Rosenkavaliers und als Jugendlicher in Wales im Rugbydress. Ferner sehen wir ihn beim Photographieren gespiegelt in der Schaufensterscheibe des Antikos Basar. Das Konterfei ist unscharf, eine klare Ähnlichkeit mit dem Autor ist aber zu erkennen. Das ist einerseits mysteriös, andererseits aber nicht. Als fiktionale Gestalt ist Austerlitz nicht spiegelbar, der Autor mußte für ihn einspringen. Dieses zwielichtige Erscheinen ist womöglich ein wahrheitsgetreueres Bild seiner Anwesenheit in der Prosa als der in Mailand ausgestellte dokumentarische Ersatzpaß. Gehen wir noch einen Schritt weiter. Als Ehefrau der Erzählers wird mehrfach eine Clara genannt, für die sich in keinem Taufregister ein Nachweis findet. Wie aber kann dann der Autor der Erzähler sein, muß nicht angenommen werden, daß es sich bei den vier Konterfeis um rote Heringe, falsche Fährten handelt?

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