Sonntag, 22. Juli 2018

Mobil

Sajęsz fikszyn

Dort, wo keine Automobile fahren, in Venedig, denkt der Erzähler nach über das bevorzugte Fortbewegungsmittel der Neuzeit. Es ist in dieser Stadt ein anders Aufwachen, still bricht nämlich der Tag an, durchdrungen nur von einzelnen Rufen, vom Hinauflassen eines blechernen Rolladens, vom Flügelkatschen der Tauben. Wo immer wir auch in einem Hotelzimmer erwachen, in Wien, in Frankfurt oder in Brüssel, horchen wir, die Hände unterm Kopf verschränkt, nicht auf die Stille, sondern mit wachem Entsetzen auf die Brandung des Verkehrs, die zuvor schon stundenlang über uns hinweggegangen war. Das also ist, denkt man, der neue Ozean. Unaufhörlich, in großen Schüben, über die gesamte Breite der Städte kommen die Wellen daher, werden lauter und lauter, richten sich weiter und weiter auf, überschlagen sich in einer Art von Phrenesie auf der Höhe des Lärmpegels und laufen als Brecher aus über den Asphalt und die Steine. Aus diesem Getöse entsteht jetzt das Leben, das nach uns kommt und das uns langsam zugrunde richtet. Vermehrt sieht man schon Fahrzeuge ohne Insassen auf den Straßen, führerlose Traktoren auf den Feldern. In den frühen und mittleren Jahren der Rzeczpospolita Ludowa konnte im Land von einer prägenden Wirkung des Automobils nicht die Rede sein, in den ländlichen Bezirken dominierten noch die Panjewagen, zur Kirche kam man am Sonntag auch über längere Strecken zu Fuß, na piechotę. Automobile sind in Stachuras Prosa kaum vertreten, ruch umiarkowany bardzo, der Verkehr war sehr maßvoll, ein Automobil habe ich bemerkt und ein Fuhrwerk. Eine verhängnisvolle Umgestaltung der Welt durch das Automobil zeichnet sich nicht ab. Von der Bibliothekarin in der rollenden Bücherei auf Stanisław Lem angesetzt, bekennt Pradera, an Sajęsz fikszyn liege ihm insgesamt nicht viel. Das gegebene Verkehrsmittel für Reisen in Polen war die Eisenbahn. Die vielen Auslandsreisen des Dichters – Siekierezada, das Buch vom Winter der polnischen Waldmenschen wurde wundersamer Weise zur Sommerszeit in Mexiko geschrieben – sind in der Prosa nicht berücksichtigt. 

Ihren Sonntagsausflug unternehmen Mundek und Witek in einem Pekaes-Bus. Zur damaligen Zeit, den Eindruck konnte man haben, standen in Polen oft mehr Fahrzeuge am Straßenrand zum Rad- oder Filterwechsel oder wegen einer anderen Havarie, als daß sie auf der Fahrbahn unterwegs waren. Kaum haben die beiden Reisenden im hinteren Teil des Fahrzeugs Platz genommen, nehmen sie auch schon Rauch und Brandgeruch wahr. Der Fahrer beruhigt und versichert, wenn der Rauch zunehme, würde er anhalten. Diese schlichte Auskunft gibt den Fahrgästen, schon am Rande der Panik, ihren frohen Mut zurück. Wer Unzufriedenheit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in der Volksrepublik heraushört, hört falsch, dafür hatte der Dichter weder Zeit noch Sinn. Angesichts der metaphysischen Belastung des Menschen läßt man den Alltag besser freundlich vorüberziehen, zapalmy lepiej i nie przemujmy się, man zündet sich eine Zigarette an und nimmt sich das Ganze nicht zu Herzen, wir wollen nicht Geld zählen, sondern unser Los wägen. Es kann nicht verwundern, wenn Stachura auf Photographien wie ein Schatten wirkt, so als wäre er bestenfalls zur Hälfte anwesend.

Donnerstag, 19. Juli 2018

In der großen Stadt

Imaginär

Warum schreibt der Dichter von W., wo doch jeder weiß oder wissen kann, es handelt sich um Wertach. Keine Ortschaft auf der Welt sei ihm inzwischen fremder als sein Heimatort, hatte er vorausgeschickt. Kommt in der Verkürzung auf das Initial Abneigung zum Ausdruck? Die sich anschließenden Seiten belegen diese Deutungsmöglichkeit nicht. Der Grund ist darin zu suchen, daß der Dichter zwei Ortschaften besucht, das aktuelle Wertach, das er, nach dem er ein Zimmer im Engelwirt genommen hat, kaum mehr beachtet, und das W. seiner Kindheit, ein inzwischen nur noch imaginäres W., das er aus der Erinnerung hervorholt. W. ist ein Ort jenseits von Wertach.

Naturgemäß erscheinen an anderer Stelle im Prosawerk nicht etwa P. und L., sondern Paris und London. Zum einen werden diese Städte vom Erzähler mit einiger Regelmäßigkeit besucht, und zum anderen sind große Städte resistenter gegenüber der vergehenden Zeit. Oft haben sie einen nicht veränderbaren, historischen Ortskern, nach einer Zerstörung wird er sorgfältig restauriert, jedenfalls in Polen. Rano przyjechałem do tego wielkiego miasta, frühmorgens kam ich an in dieser großen Stadt. Den ganzen Tag bin ich in ihr herumgegangen, durch ihre Straßen und über ihre Brücken, von denen es viele gibt in dieser Stadt. Durch die Stadt fließt der zweitgrößte Fluß des Landes, aber nicht in einem Flußbett, sondern in einer Vielzahl von Kanälen, die sich irgendwo, hinter der Stadt, wieder verbinden müssen, die Stadt aber ist voller Kanäle und mithin voller Brücken über die ich den ganzen Tag gegangen bin. – Würde der erste Satz lauten: Frühmorgens kam ich in Breslau an, oder wenn uns im ersten Satz auch nur das W. für Wrocław begegnete, so wäre der Zauber, der jeden für Prosa Empfänglichen sofort gefangennimmt, zum guten Teil verflogen. Der Name Breslau wird bis zum Ende der Erzählung Jeden dzień, Ein Tag, nicht genannt, der Erzähler führt uns durch eine reale und zugleich imaginäre Stadt, ein geeignetes Pflaster, wenn man so sagen darf, für Stachuras Stil, der fortwährend wechselt zwischen einer insistierenden, durch scheinbare Ungeschicklichkeiten, Umständlichkeiten und kreisende Wiederholungen gekräftigten, die Realität des Realen geradezu beschwörenden Beschreibung – gleich zweimal in drei Sätzen erfahren wir, er sei über die Brücken gegangen ist, so als wolle er sich festhalten an dieser schlichten und unbezweifelbaren Wahrheit – und einem metaphysischem, wenn nicht wahnhaftem Entweichen: Prawie po kazdym mosćie przystawałem, fast auf jeder Brücke blieb ich stehen. Ich stützte mich auf das Geländer und schaute für einige Zeit auf das Wasser, ohne es aber wirklich zu sehen, das heißt, ich sah das Wasser zunächst, wenn ich mich über das Geländer gebeugt hatte, aber dann sah ich es gleichsam nicht mehr. Ich schaute für einige Zeit hartnäckig auf das Wasser, das ich auch sah für einige Zeit, aber dann löste es sich auf, und verwandelte sich in Luft und Nebel, wenn es denn einen derart durchsichtigen Nebel gibt. - Vielleicht sind es aber auch nur Schwindelgefühle, verursacht von der Kreisbewegung der Sätze.

Freitag, 13. Juli 2018

Sein Los wägen

Geld und Gut

Kto liczył pieniądze, kto ważył swój los, wer zählt das Geld, wer wägt sein Los. Auf Geldzähler stößt man im Oeuvre des Dichters kaum, sein Personal, man muß es einräumen, hat es auch nicht nötig. Die bedürftigen Schichten bleiben aber nicht unberücksichtigt, man denke an die Sandler im Innsbrucker Bahnhof. Ohne daß sie ihr Geld zählen müßten, gelingt es ihnen, einen Kasten Gösser-Bier gewissermaßen aus dem Nichts hervorzuzaubern, so daß sie sich anschließend Gesprächsthemen widmen konnten, die durch die Bank einen Zug ins Philosophische, ja sogar ins Theologische hatten, Gespräche über das Tagesgeschehen sowohl als über den Grund aller Dinge, wobei es regelmäßig gerade denjenigen, die besonders lauthals das Wort ergriffen, mitten im Satz die Rede verschlug oder aber sie winkten voller Verachtung ab, weil sie den Gedanken, den sie gerade noch im Kopf gehabt hatten, nicht mehr in Worte fassen konnten. Wägen die Sandler ihr Los? Jedenfalls haben sie korrekt die religiöse Unterfütterung des Gegensatzes von Geld und Schicksal erkannt. Die Bibel unterstützt das Geldzählen kaum und hält die Menschen an, ihres Schicksals innezuwerden. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher ins Himmelreich kommt, jeder kennt den Spruch, nicht gefallen kann er der Glaubensfraktion, die im irdischen, wirtschaftlichen Erfolg den Segen Gottes erkennen will. Die Fraktion fragt: Was hat das Kamel mit dem Nadelöhr zu tun, da ist doch mit der Metaphorik etwas schief gelaufen in der Überlieferung. Die Bibel wiederholt aber in Anliegen an anderer Stelle in einer weniger bildverliebten Version: Reichtum hilft nicht am Tage des Zorns; aber Gerechtigkeit errettet vom Tode. Eine Erläuterung wird nachgeschoben: Denn die reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Verstrickung und in viele törichte und schädliche Begierden, welche die Menschen versinken lassen in Verderben und Verdammnis. Zugleich wird für einen nüchternen Umgang mit der Währung plädiert: So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt. Ein wenig aus dem Rahmen fällt die Feststellung: Haus und Habe vererben die Eltern; aber eine verständige Frau kommt vom Herrn – ist das noch zeitgemäß? Auf jeden Fall muß beiden Seiten Gerechtigkeit widerfahren, also: ein verständiger Lebenspartner kommt vom Herrn. Darüber hinaus bleibt die Bibel zuverlässig widersprüchlich, nur so kann sie der Komplexität der Welt gerecht zu werden, sie fordert, mit dem Pfund zu wuchern, da atmet mancher auf und ein Stein fällt ihm vom Herzen

Stachuras Helden sind Gelegenheitsarbeiter, um das alltägliche Geldzählen kommen sie nicht herum, sich fragen, reichte es für Zigaretten, reicht es für Wodka. Dem polnischen Dichter ist es oft ähnlich ergangen, und doch waren er und seine Gestalten ohne Frage lupenreine Wäger ihres Geschicks. Ein Los, gewogen und für zu schwer befunden, zważone i uznane za zbyt ciężkie. Ja, wenn man Michał Kątny wäre.

Donnerstag, 12. Juli 2018

Gelächter

W serce nóż

Wenn jemand ein über den Sätzen des Dichters schwebendes Lächeln verspürt, ein eher wehmütiges Lächeln, taki raczej rzewny uśmiech - wenn er dieses Lächeln also verspürt, muß er sich nicht wundern, nie Gelächter zu hören. Fast mehr noch als das Grauen ist das Gelächter dem Lächeln unzuträglich, nirgends in der Prosa des Dichters ist von schallendem Lachen die Rede, es könnte allenfalls scheinen, als seien die Rufe des Venezianers Malachio begleitet von einem Gelächter in der Nacht, risate al buio: Brucia continuamente und Ci vediamo a Gerusaleme. An sich ist gegen das Lachen nichts einzuwenden, man geht durch die menschenleeren nachmittäglichen Straßen eines kleinen Städtchens und hört nicht weit entfernt ein ansteckendes Lachen, man geht hin und fragt: Warum lachen Sie? – Nur so, über meine Gedanken -, und man lacht mit wie dumm, ohne zu wissen, worum es geht. Dann aber hört man irgendwann das schreckliche Lachen einer betrunkenen Frau, ein Lachen, das die große schmerzliche würdevolle Betrübnis der Welt, wielki bolesny dostojny smutek świata, beleidigt. Wer es hört, dem vergeht jedes Lachen. Das Lächeln nur ist Hüter der Betrübnis der Welt, und es kann sein, daß jemand mit einem Lächeln auf den Lippen ein Lächeln auf die Lippen der anderen zaubert, sich selbst aber langsam ein Messer ins Herz bohrt, wbija sobie powoli w serce nóż.

Dienstag, 10. Juli 2018

Zeitalarm

Zerfall

In einer dieser steinernen Burgen möchte der Erzähler, Adroddwr, wohnen, mit nichts beschäftigt als dem Studium der vergangenen und der vergehenden Zeit. Der Leser schließt sich rückhaltlos an, stilles Behagen breitet sich aus, aber das Behagen steht auf tönernen Füßen. Was die vergangene Zeit anbelangt, so weist der Erzähler selbst auf negative Erfahrungen hin. Gegen Ende der Englischen Wallfahrt, am 13. April 1995, senkt er eine Sonde in die Tiefe der Zeit, die nur disparates Geröll zutage fördert. Auf den Tag genau vor dreihundertsiebenundneunzig Jahren wurde von Heinrich IV. das Edikt von Nantes erlassen; wurde in Dublin, Baile Átha Cliath, vor zweihundertdreiundfünfzig Jahren das Messias-Oratorium Händels uraufgeführt; Warren Hastings vor zweihundertdreiundzwanzig Jahren zum Gouverneur von Bengalen ernannt. Erholsamer wäre es, sich von der Menschengeschichte ab- und den Erdzeitaltern zuzuwenden. Die vergehende Zeit nimmt Cioran unter die Lupe. Wenn er sich auf den passage du temps konzentriere, richte sich seine Aufmerksamkeit auf das Erscheinen und Verschwinden des einzelnen Augenblicks, in Wahrheit aber könne der Geist nicht den einzelnen Augenblick fixieren, sondern nur das Vorübergehen selbst, die unendliche Auflösung, den Zerfall der Gegenwart. Betriebe man das über einen ganzen Tag, würde sich nicht allein die Gegenwart, sondern auch das Hirn auflösen, das kann niemand wollen. Auch Stachuras Narrator vermutet jakiś feler, einen Fehler im Denkansatz. Die Zeit verlaufe nicht gleichmäßig, ab und zu klumpe sie, verrinne nicht mehr, sondern gerinne. Ein neuer Morgen tut sich auf, das Herz sollte stärker schlagen, das Blut singen, an den Schultern sollten unsichtbare Flügel wachsen, die Augen  sollten blitzen - aber nichts von all dem, es ist immer noch der gleiche Tag, der neue Morgen nicht wahrnehmbar, von den sieben Tagen der Woche können am Ende vielleicht nur fünf gezählt werden. Das passiere, dzięki Bogu, nicht allzu oft. Er selbst, so der Narrator, könne sich an drei, vielleicht vier solcher Fälle erinnern. Einmal habe er mehrere Tage in der Gesellschaft netter und intelligenter Menschen verbracht und dabei bald schon ein ständigen Pfeifen, gwizd, der Zeit vernommen. Er sei sich sicher gewesen, daß die Zeit, seine Zeit mit diesem Dauerton ihn auffordern wollte, die Stunden und Tage nicht länger zu vergeuden mit geistvollen und witzigen Gesprächen, denn das sei nicht seine Rolle, nicht seine Aufgabe, das sei nicht das, was zu ihm gehöre. Von Adroddwr, schon älter und reifer, wird nicht berichtet, daß er jemals mehrere Tage am Stück in Gesellschaft und gerinnender Zeit verbracht hätte. Aber auch vom Traum des einsamen Zeitbeobachters in der steinernen Burg nimmt er Abstand und löst stattdessen ein Billett für das Musée Fesch.

Sonntag, 8. Juli 2018

Nach dem Tod

Dürre

Er blickte nur immer unverwandt nach oben und drehte dabei gleichmäßig mit dem Daumen und dem Zeigefinger seiner rechten Hand den sechskantigen Stiel seines Glases Ruck für Ruck weiter, so gleichmäßig, als habe er in seiner Brust statt eines Herzens das Räderwerk einer Uhr; würde die Zeit sich bei Änderung der Drehrichtung umkehren? Verflucht sei die Uhr, die nicht vermag, das Geschehene zu wenden, die nicht vermag, dem auf den Gleisen Hingerichteten wieder ins Leben zu verhelfen, die ihn seinem Schicksal überläßt, pokatulkany i kaput wie er ist. Dabei ist doch der Unterschied zwischen dem Leben hier und dem Leben nach dem Tod kaum wahrnehmbar, wieder würden wir auf der Schwelle des Gasthofs stehen, die Beine leicht gekrümmt, denn man muß sich vorsehen, den Schädel nicht an dem niedrigen Balken über der Tür einzuschlagen, das Herz schlägt in einem wunderschönen Takt, in der Kehle eine große Dürre, ein mächtiger Durst. Daj Bóg nam  spokój wieczny.

Montag, 2. Juli 2018

Ein ganzer Tag

Rüge

Minęło kilka dni, einige Tage gingen dahin, diesen Satz lieben die Romanschriftsteller. So entledigen sie sie mit wenigen Worten einer Reihe von Tagen, derer man sich, wie immer sie sein mochten, farblos, leer, lieblos - sofern das überhaupt möglich ist, ein liebloser Tag -, Tage also, derer man sich ersichtlich nicht mit einem Satz, einem Ruck, einer kleinen Handbewegung, einer leichten eleganten Geste entledigen kann, so als ginge es darum, eine Katze am Boden zu ergreifen, um sie auf die Knie zu nehmen. Macht er, Sted, es anders? Nein, aber er empfindet wenigstens die Lächerlichkeit dieses jämmerlichen Satzes: minęło kilka dni. Joyce hat die Lächerlichkeit wohl auch gespürt und daher die Handlung des Ulysses auf einen Tag, den Bloomsday, beschränkt und damit dem verhängnisvollen Satz den Zugang zum Text verwehrt. Die Englische Wallfahrt erstreckt sich nur über wenige Tage und, soweit das unübersichtliche Zeitgeflecht der Erzählung ein abschließendes Urteil zuläßt, wird kein Tag übersprungen, kein Tag geht kommentarlos dahin. Tief ist der Brunnen der Vergangenheit: besondere Schwierigkeiten wirft der historische Roman auf. Wie sollte man in den tiefen Brunnen der Vergangenheit steigen und dabei sozusagen im Rückwärtsgang jeden einzelnen Tag berücksichtigen, wo doch, wenn man Kafka folgt – und welchen Grund gäbe es, ihm nicht zu folgen – schon für den Ritt in das nächste Dorf ein Menschenleben nicht reicht. Opowiadać dzień po dniu, jak tam było - nie potrafię, ein gewaltiger Sprung über tausend und abertausend Tage zurück ist unvermeidlich. Auch Sted hatte mit dem Bloomsday geliebäugelt, Jeden dzień, Ein Tag heißt sein erster Erzählband, Jeden dzień auch die erste Erzählung in diesem Band. Frühmorgens trifft der Narrator ein in der großen Stadt, den ganzen Tag läuft er durch die Straßen und über die Brücken, von denen es viele gibt in dieser Stadt, es handelt sich erkennbar um Breslau. Frühmorgens trifft der Erzähler, Adroddwr, im Bahnhof Innsbruck ein, betrachtet die Sandler, die beizeiten einen Kasten Gösser-Bier hervorzaubern, sucht die Tiroler Stuben auf, wo die Bedienerin ihm in bösartiger Weise das Maul anhängt, fährt weiter mit dem Bus, in Begleitung der Tiroler Weiber, die sich in ihrem weit hinten im Hals wie eine Vogelsprache artikulierten Dialekt unterhalten, begibt sich in Oberjoch auf den Fußmarsch nach W., sinniert in der Krummenbacher Kapelle über Gott und die Kunst, stärkt sich beim Hirschwirt mit Brotsuppe und Tirolerwein, trifft am Ziel ein in der Dämmerung, in der Dunkelheit bereits nachtet er ein beim Engelwirt, ein Tag war dahingegangen. Dabei gehört der Abend schon nicht mehr zum Tag, und der Morgen gehört gewiß schon zum nächsten.

Sonntag, 1. Juli 2018

Vaquero

Unwillig

Die Sätze, die Stachura vor sich hertreibt, sind unwillig, stolpern, bleiben zurück, der Vaquero muß sich um sie kümmern, er treibt sie ein zweites, oft auch ein drittes und viertes Mal an uns vorbei. An anderer Stelle bricht der Übermut aus, die Sätze springen in die Höhe, schlagen aus, man könnte fast meinen, sie fliegen, einige fliegen tatsächlich, naturgemäß nicht dauerhaft, nun ziehen sie gemächlich weiter, verwundert über sich selbst, einige von den einigen aber sind nicht wiederaufzufinden, sie haben sich in die Höhe abgesetzt, odeszli nad chmurami. Wird sie der Vaquero jemals dahin bringen, daß sie sich gesittet voran bewegen, Satz für Satz auf einer schönen vor uns aufgerollten Bahn? Schöne Sätze mißfallen ihm, hat Stachura wissen lassen, abgrundtief hinunter zu beiden Seiten geht es auch so, das Tageslicht wird bald schwinden vor den weit draußen hereinziehenden Schatten und erlöschen unter dem Anhauch des Todes.