Montag, 17. September 2018

Tiefbau

Kotlowan

Josef K. wird eines Morgens verhaftet, obwohl er nichts Böses getan hatte, Woschtschew, der auch nichts Böses getan hatte, wird entlassen wegen Träumerei bei der Arbeit in einer Maschinenfabrik. Dem ersten Anschein nach ergeht es Woschtschew besser als Josef K., er wird nicht verhaftet und findet bereits in der nächsten Ortschaft eine neue Arbeitsstelle beim Aushub der Grube für den Bau eines Allproletarischen Gemeinschaftshauses. Einen Einblick in die Baupläne erhalten wir nicht und wir sind auch nicht sicher, daß es Baupläne gibt. Noch während des Aushubs wird beschlossen, den Umfang der Grube um ein Mehrfaches zu erweitern, ohne daß von einer Anpassung des Bauplans für das Gebäude die Rede wäre. Auf keinen Fall wäre der fertiggestellte Bau nach Austerlitz‘ Einteilung auf der richtigen Seite, nicht bei den Bauten unter dem Normalmaß der domestischen Architektur, nicht bei der Feldhütte, der Eremitage, dem Häuschen des Schrankenwärters, dem Aussichtspavillon, der Kindervilla im Garten, Bauten die wenigstens einen Abglanz des Friedens uns versprechen. Im Gegenteil, das Allproletarische Gemeinschaftshaus soll die einfachen, friedlichen bäuerlichen Katen ersetzen. Das Allproletarische Gemeinschaftshaus würde, wie der Brüsseler Justizpalast zweifellos zu den Riesengebäuden zählen, von denen niemand, der bei rechten Sinnen ist, behaupten kann, daß sie ihm gefallen.

Das einzige Bauwerk, das in Platonows Kotlowan fertiggestellt wird, ist ein Floß, auf dem man die Großbauern und andere sogenannte Kapitalisten ins Verderben schickt. Was das Allproletarische Gemeinschaftshaus anbelangt, so bleibt es beim Grubenbau zu Babel, ein getreues Abbild des auf ungezählten Toten vom Baumeister Stalin errichteten, von Menschen nicht bewohnbaren Gebäudes der kommunistischen Gesellschaft in den frühen dreißiger Jahren. Aber ist nicht alles Bauen auf Toten gegründet? Gerade wie die Lebendigen ziehen die Toten, wenn es ihnen zu eng wird, nach draußen in eine weniger dicht besiedelte Gegend. Aber es kommen ja immer neue hinzu, in unendlicher Folge. In jedem Kubikmeter Abraum, den man aus einer Grube entfernt, mögen die Gerippe von durchschnittlich acht Menschen gefunden werden. Über die solchermaßen mit dem Staub und den Knochen zusammengesunkenen Leiber versetzte Erdschicht hinweg wuchs dann eine neue Stadt, oft in einem immer verwinkelter werdenden Gewirr fauliger Gassen und Häuser, zusammengebacken aus Balken und Lehmklumpen und jedem sonstigen verfügbaren Material. Dem sollte mit den Allproletarischen Gemeinschaftshäusern ein Ende gesetzt werden. Der Erfolg ist ausgeblieben.

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