Sonntag, 2. September 2018

Webwaren im Wind

Kapitulation

Bleibt man vor einem vor einem dieser anscheinend unbewohnten Häuser stehen, so tut sich seltsamerweise fast jedesmal einer der geschlossenen Fensterläden auf, und es erscheint eine Hand, die mit auffallend langsamer Bewegung ein Staubtuch ausschüttelt, so daß man unweigerlich bald denkt, ganz Deauville bestehe aus dusteren Interieurs, in denen zu ewigem Abstauben verurteilte Frauenpersonen lautlos herumgehen und darauf lauern, daß sie einem zufällig vor ihrem Gefängnis stehenbleibenden und an der Fassade hinaufblickenden Passanten mit ihren Staubfetzen ein Zeichen geben. – Gern hält der Dichter der in der modernen Welt verbreitet auftretenden Stauballergie seine Staubwischphobie entgegen, aber damit ist die Szenerie nicht erschöpfend geklärt. Auch ein feministischer Ansatz zur Befreiung der Frau von der Hausarbeit läßt sich nicht erkennen oder ist zumindest nicht dominant. Eher gilt es, verlorene Seelen zu retten, Untote womöglich, vielleicht auch signalisieren letzte Menschen die Kapitulation. Zur gleichen Zeit, am sechsten Juni also, in einer kleinen Stadt in Niederschlesien, in Pieńsk vielleicht oder in Piława Górna, in der Kościuszko-Straße jedenfalls, gelangte durch das weit geöffnet Fenster eines Gebäudes mit einer vom Schwarzwasser ganz und gar übergossenen gelblichen Außenwand die Gardine, ein großes weißes Netzgewebe, nach draußen und wehte im starken Wind dieses unbeschreiblichen Tages, eines Tages, der sich nicht anders beschreiben läßt, als wie die Gardine ihn beschrieb, indem sie mit Schwung großzügige und gleichzeitig verwehte weiße Zeichen eines unbekannten piktographischen Briefes in die Luft zeichnete, oder vielleicht eines bekannten aber vergessenen Briefes, ja von irgendwoher bekannt, aber woher. Szerucki, der Mann aus Chéruy, saß auf den Eingangsstufen der für die Mittagszeit geschlossenen Apotheke, rauchte eine Zigarette und schaute mit leicht erhobenen Blick auf die im Winde flatternde weiße Gardine, die aus dem Inneren des Zimmers nach draußen drängte, in die Weite des Raum. Er schaute in Richtung der Gardine, absolut magnetisiert konnte er nirgends sonst hinschauen. Schon an sich war in dem Bild etwas Magisches, etwas Bewegendes, Reines, Jungfräuliches (Coś dziewicznego), aber er spürte, das war nicht alles, damit war die Geschichte noch nicht vorbei, vielleicht deswegen nicht, weil er hier ist und schaut.

Frauen schütteln am Fenster ihre Staubtücher aus, und ein Wind verweht eine Gardine, damit könnte man sich zufriedengeben und es gut sein lassen, warum geben sich die Dichter nicht zufrieden? There is more than meets the eye. Die von rätselhaften Händen bewegten kleinflächigen Tücher, die einzigen Lebenszeichen im sonst verlassenen Deauville scheinen auf das Ende hinzudeuten. Auch in Schlesien scheint der Erzähler, Szerucki, unterwegs in einer menschenleeren Stadt, selbst das schmutzig gelb gefärbte Haus mag unbewohnt sein, die weiße Gardine handelt eigenständig. Szerucki sitzt vielleicht noch immer vor der Apotheke in Pieńsk oder in Piława Górna, denn er allein ist der Adressat der Botschaft, die sich nicht entziffern läßt, die er, als der Adressat des verlorenen Briefes, gleichwohl entziffern muß.

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