Donnerstag, 23. August 2018

Schriftsätze

Spur im Wasser
 
Wenn der Richter Farrar mit einem gewissen Entsetzen zurückdenkt an die langen Jahre, die er nach seinem Jurastudium in Anwaltskanzleien und Gerichtssälen verbracht hat, so ist der Dichter oder doch sein Erzähler desinteressiert an amtlichen, auf einer Rechtsgrundlage ausgestellten Schriftstücken. Er bewundert das operettenhafte Gehabe des Brigadiere mit der riesigen Rolexuhr am linken und dem schweren Goldarmband am rechten Handgelenk, wie er das fertiggestellte Dokument mit einem demonstrativen Schwung aus der Walze riß, die Verlustbestätigung selbst aber verwandelt sich ihm in einen rechtlich nicht abgesicherten Trauschein, der ihm und Luciana erlauben soll, miteinander hinzufahren, wo sie wollen. Witek Rozański findet auf dem Sonntagsausflug im Unterholz eine Mappe gefüllt mit Schreiben amtlichen Charakters. Es handelt sich durchweg um Beschwerdeschreiben teils zwischen-, teils innerbehördlicher Art, teils wiederum um Eingaben besorgter Bürger. Das einer Organisation zustehende landwirtschaftliche Gerät sei von einer anderen Organisation widerrechtlich in Beschlag genommen worden. Ein leitender Ingenieur habe einem Freund eine Stelle verschafft, der dann wegen überbordender Trunksucht bei fortlaufenden Bezügen nie an seinem Arbeitsplatz gesehen worden sei. Die Leiterin einer betriebseigenen Kantine habe, so der Vorwurf, das Etablissement zu ihrem eigenen Vorteil und zum Schaden der Werktätigen in ein öffentlich zugängliches Bistrot mit Remmidemmi verwandelt. Rozański liest das gesamte Aktenmaterial seinem Freund Szerucki vor, bei anhaltender Aufmerksamkeit und anhaltendem Interesse auf beiden Seiten, wie eine Reihe von Rückfragen und Korrekturen von Lesefehlern belegen: es muß zdjęty heißen und nicht ścięty, seines Postens enthoben und nicht an seinem Arbeitsplatz enthauptet.

Was die beiden an den behördlichen Schriftsätzen fesselt, wird nicht offenbart. Nach Abschluß der Lektüre bringt Rozański die Mappe an den Fundort zurück, Szerucki, der Narrator, unterzieht sich, wie es scheint, einem Reinigungsritual. Poszedlem do strumienia, ich ging zum Fluß und tauchte den Kopf ins Wasser. Mit offenen Augen betrachtete ich das Unterwasserleben. Als ich den Kopf wieder aus dem Wasser zog, hinterließ er keine Spur. Es ist nicht einfach, im Wasser eine Spur zu hinterlassen. Man kann Bücher schreiben, auch unter Schmerzen, aber das ist noch nicht alles. - Hier sind wir offenbar nah an bei Stachuras Prosaideal, fern von den archivierenden Akten dem Fließwasser, dem Vorüberfließenden für einen Augenblick ein, sein Antlitz einzuprägen. Patrzysz na wodę, du schaust aufs Wasser, und ein neuer Gedanke kommt dir, und nach ihm zwanzig andere, łatwo można oszaleć, leicht ist es, den Verstand zu verlieren, in diesem abschließenden Fazit sind sich die beiden Dichter einig.

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