Dämonen
Die italienische Reise des Erzählers im Jahre 1980 wird zu einer Reihung unheilvoller Eindrücke. Es beginnt in Wien und setzt sich in Venedig fort. Während der nächtlichen Anreise erscheint ihm im Traum Tiepolos Bild der von der Pest heimgesuchten Stadt Este und dem, was sich über unseren Köpfen am Himmel vollzieht. Die scharfe Rasur noch beim Bahnhofsbarbier der Ferrovia Santa Lucia verläuft unauffällig, später aber, als er sich aus der Kindheit an den Barbier Köpf erinnert, den er im Wortsinn für einen Halsabschneider gehalten hat, fragt er sich, wie dieses Unterfangen ihm nur in den Sinn kommen konnte, eine Antwort findet er nicht. Von Beginn an aber schaut er mit lächelnder Selbstironie auf seine Mißgeschicke, und diese Haltung behält er aufs Ganze gesehen bei. Aufrecht und reglos standen die Steuermänner im Heck der schwer beladenen Kähne, die Hand am Ruder schauten sie unverwandt voraus, jeder einzelne von ihnen ein Sinnbild der Wahrheitsbereitschaft. Wie er zu diesem Eindruck kommt, kann der Erzähler selbst nicht sagen und auch nicht, ob es sich um eine Verheißung oder um einen Fluch handelt. Sicher aber ist, wen jemand hineingeht in das Innere dieser Stadt und in einer sonst leeren Gasse jemandem hinterdrein, so bedarf es nur einer geringfügigen Beschleunigung der Schritte, um demjenigen, den er verfolgt, die Angst in den Nacken zu setzen, und umgekehrt wird er leicht selbst zum Verfolgten. Der Erzähler besteigt eilig ein Vaporetto, in dem mehr zu unserer als zu seiner Überraschung bereits Ludwig II von Bayern, il re Lodovico, Platz genommen hat, wohl eher ein schlechtes als ein gutes Omen. Die gedankliche Beschäftigung mit dem griesgrämigen Grillparzer ist ebensowenig geeignet den Himmel aufzuhellen wie der Besuch bei Casanova in den Piombi des Dogenpalastes. Besonders beunruhigt ist der Erzähler durch den Umstand, daß der Tag, an dem er in der Bar an der Riva gesessen ist, der letzte Tag des Monats Oktober gewesen ist, ein Jahrestag somit jenes Tages, an dem Casanova den bleierenen Panzer durchbrochen hatte: eine erschreckende Koinzidenz fürwahr. In der fraglichen Bar an der Riva kommt der Erzähler mit dem Venezianer Malachio, einem studierten Astrophysiker, ins Gespräch. Ein gemeinsamer Bootsausflug durch die Kanäle der Stadt führt zum Inceneritore Comunale, brucia continuamente, und verpaßt so den möglichen Charakter einer Lustfahrt. Für zwei Tage gerät der Erzähler gänzlich aus der Spur, er ist unfähig, sein Hotelzimmer zu verlassen, in einer Traumvision sieht er die Krankenhausinsel La Grazia vorbeifahren wie ein riesiges Schiff, aus dem Tausende von Irren herausschauten. Ein heißes Bad setzte ihn schließlich so weit wieder instand, daß er seine Tasche packen und sich auf den Weg machen konnte. Im Stehbuffet der Ferrovia allerdings gerät er beim Versuch, einen Cappuccino zu ergattern, in den Höllenkreis der abgeschnittenen Köpfe. Diese dantesken Beobachtungen mag er als abstruse Halluzination abtun, nicht aber den sich verstärkenden Eindruck, daß an den verschiedensten Stellen immer wieder dieselben Augenpaare zweier junger Männer auf ihn gerichtet sind. So ist er froh, als er den Zug besteigen kann, um nach Verona hinüberzufahren. Ein weißes türkisches Taubenpaar erhebt sich mit einigen wenigen klatschenden Flügelschlägen steil über die Wipfel empor, steht eine kleine Ewigkeit still in der blauen Himmelshöhe und segelt dann vornüberkippend mit einem kaum aus der Kehle dringenden gurgelnden Laut wieder herab: der Giardino Giusti ist wahrhaftig ein Ort der Stille und Sammlung. Anders sieht es schon wieder aus, als der Erzähler die von einer späten Ausflüglergruppe besuchte Arena betritt. Im Gegesatz zu Tauben und anderen Vögeln sind ihm Touristen, Feriengäste und Ausflügler jeglicher Art ein Graus. Und dann schauen von der jenseitigen Hälfte der Arena wieder die Augenpaare der beiden jungen Männer zu ihm herüber. Nur mit Mühe kann er sich aufraffen und zum Ausgang gehen. Die Mesnerin in der Chiesa Sant’Anastasia, eine kummervolle und von langen Jahren des Schweigens und der Einsamkeit fast schon vergangene Frau, schwankte einem Schatten gleich durch das Kirchenschiff vor dem einzigen Besucher her, nicht geeignet, die Stimmung zu beleben, wohl aber gelingt es Pisanellos Bildwerk über dem Torbogen der vormaligen Kapelle. San Giorgio stellt es da, sein Blick ist schon auf die schwere blutige, im Endeffekt aber befreiende Arbeit gerichtet. Die Pizzeria Verona in der Via Roma, wo er in trostloser Emgebung nur ein ihm in keiner Weise zusagendes Gericht erwarten kann, hätte er gar nicht erst betreten oder wenigstens gleich wieder verlassen sollen. Stattdessen schlägt er den Gazzettino auf und liest von den jüngsten Schreckenstaten der Organizzazione Ludwig. Der Betreiber der Pizzeria hört, wie die Rechnung ausweist auf den Namen Cadavero. Das ist zuviel, er legt einen Geldschein auf den Teller und flüchtet mit dem Nachtzug nach Innsbruck. Im Abteil sitzt eine alte Frau mit ihrem vierzigjährigen Sohn, den hin und wieder ein Krampf ergreift in seiner Brust. Die Mutter streicht beruhigend seine Hand. Der Zug hält am Brenner, man hört das Brüllen namenloser Tiere auf einem Abstellgleis.
Das Unheil wohnt ganz überwiegend in Kopf des Erzähleres, betrachtet er Dinge der Außenwelt wie die Tauben im Giardino Giusti, Pisanellos Gemälde oder die Steuermänner auf den Kähnen, schweigen die Dämonen still für einen Augenblick. Überall aber, auch in einem einfachen Cappuccino, lauert Gefahr. Ist er wirklich den Blicken gefährlicher Augenpaare ausgesetzt? Man muß zugeben, auch Verfolgungswahn schützt nicht zuverlässig vor Verfolgung.
Die italienische Reise des Erzählers im Jahre 1980 wird zu einer Reihung unheilvoller Eindrücke. Es beginnt in Wien und setzt sich in Venedig fort. Während der nächtlichen Anreise erscheint ihm im Traum Tiepolos Bild der von der Pest heimgesuchten Stadt Este und dem, was sich über unseren Köpfen am Himmel vollzieht. Die scharfe Rasur noch beim Bahnhofsbarbier der Ferrovia Santa Lucia verläuft unauffällig, später aber, als er sich aus der Kindheit an den Barbier Köpf erinnert, den er im Wortsinn für einen Halsabschneider gehalten hat, fragt er sich, wie dieses Unterfangen ihm nur in den Sinn kommen konnte, eine Antwort findet er nicht. Von Beginn an aber schaut er mit lächelnder Selbstironie auf seine Mißgeschicke, und diese Haltung behält er aufs Ganze gesehen bei. Aufrecht und reglos standen die Steuermänner im Heck der schwer beladenen Kähne, die Hand am Ruder schauten sie unverwandt voraus, jeder einzelne von ihnen ein Sinnbild der Wahrheitsbereitschaft. Wie er zu diesem Eindruck kommt, kann der Erzähler selbst nicht sagen und auch nicht, ob es sich um eine Verheißung oder um einen Fluch handelt. Sicher aber ist, wen jemand hineingeht in das Innere dieser Stadt und in einer sonst leeren Gasse jemandem hinterdrein, so bedarf es nur einer geringfügigen Beschleunigung der Schritte, um demjenigen, den er verfolgt, die Angst in den Nacken zu setzen, und umgekehrt wird er leicht selbst zum Verfolgten. Der Erzähler besteigt eilig ein Vaporetto, in dem mehr zu unserer als zu seiner Überraschung bereits Ludwig II von Bayern, il re Lodovico, Platz genommen hat, wohl eher ein schlechtes als ein gutes Omen. Die gedankliche Beschäftigung mit dem griesgrämigen Grillparzer ist ebensowenig geeignet den Himmel aufzuhellen wie der Besuch bei Casanova in den Piombi des Dogenpalastes. Besonders beunruhigt ist der Erzähler durch den Umstand, daß der Tag, an dem er in der Bar an der Riva gesessen ist, der letzte Tag des Monats Oktober gewesen ist, ein Jahrestag somit jenes Tages, an dem Casanova den bleierenen Panzer durchbrochen hatte: eine erschreckende Koinzidenz fürwahr. In der fraglichen Bar an der Riva kommt der Erzähler mit dem Venezianer Malachio, einem studierten Astrophysiker, ins Gespräch. Ein gemeinsamer Bootsausflug durch die Kanäle der Stadt führt zum Inceneritore Comunale, brucia continuamente, und verpaßt so den möglichen Charakter einer Lustfahrt. Für zwei Tage gerät der Erzähler gänzlich aus der Spur, er ist unfähig, sein Hotelzimmer zu verlassen, in einer Traumvision sieht er die Krankenhausinsel La Grazia vorbeifahren wie ein riesiges Schiff, aus dem Tausende von Irren herausschauten. Ein heißes Bad setzte ihn schließlich so weit wieder instand, daß er seine Tasche packen und sich auf den Weg machen konnte. Im Stehbuffet der Ferrovia allerdings gerät er beim Versuch, einen Cappuccino zu ergattern, in den Höllenkreis der abgeschnittenen Köpfe. Diese dantesken Beobachtungen mag er als abstruse Halluzination abtun, nicht aber den sich verstärkenden Eindruck, daß an den verschiedensten Stellen immer wieder dieselben Augenpaare zweier junger Männer auf ihn gerichtet sind. So ist er froh, als er den Zug besteigen kann, um nach Verona hinüberzufahren. Ein weißes türkisches Taubenpaar erhebt sich mit einigen wenigen klatschenden Flügelschlägen steil über die Wipfel empor, steht eine kleine Ewigkeit still in der blauen Himmelshöhe und segelt dann vornüberkippend mit einem kaum aus der Kehle dringenden gurgelnden Laut wieder herab: der Giardino Giusti ist wahrhaftig ein Ort der Stille und Sammlung. Anders sieht es schon wieder aus, als der Erzähler die von einer späten Ausflüglergruppe besuchte Arena betritt. Im Gegesatz zu Tauben und anderen Vögeln sind ihm Touristen, Feriengäste und Ausflügler jeglicher Art ein Graus. Und dann schauen von der jenseitigen Hälfte der Arena wieder die Augenpaare der beiden jungen Männer zu ihm herüber. Nur mit Mühe kann er sich aufraffen und zum Ausgang gehen. Die Mesnerin in der Chiesa Sant’Anastasia, eine kummervolle und von langen Jahren des Schweigens und der Einsamkeit fast schon vergangene Frau, schwankte einem Schatten gleich durch das Kirchenschiff vor dem einzigen Besucher her, nicht geeignet, die Stimmung zu beleben, wohl aber gelingt es Pisanellos Bildwerk über dem Torbogen der vormaligen Kapelle. San Giorgio stellt es da, sein Blick ist schon auf die schwere blutige, im Endeffekt aber befreiende Arbeit gerichtet. Die Pizzeria Verona in der Via Roma, wo er in trostloser Emgebung nur ein ihm in keiner Weise zusagendes Gericht erwarten kann, hätte er gar nicht erst betreten oder wenigstens gleich wieder verlassen sollen. Stattdessen schlägt er den Gazzettino auf und liest von den jüngsten Schreckenstaten der Organizzazione Ludwig. Der Betreiber der Pizzeria hört, wie die Rechnung ausweist auf den Namen Cadavero. Das ist zuviel, er legt einen Geldschein auf den Teller und flüchtet mit dem Nachtzug nach Innsbruck. Im Abteil sitzt eine alte Frau mit ihrem vierzigjährigen Sohn, den hin und wieder ein Krampf ergreift in seiner Brust. Die Mutter streicht beruhigend seine Hand. Der Zug hält am Brenner, man hört das Brüllen namenloser Tiere auf einem Abstellgleis.
Das Unheil wohnt ganz überwiegend in Kopf des Erzähleres, betrachtet er Dinge der Außenwelt wie die Tauben im Giardino Giusti, Pisanellos Gemälde oder die Steuermänner auf den Kähnen, schweigen die Dämonen still für einen Augenblick. Überall aber, auch in einem einfachen Cappuccino, lauert Gefahr. Ist er wirklich den Blicken gefährlicher Augenpaare ausgesetzt? Man muß zugeben, auch Verfolgungswahn schützt nicht zuverlässig vor Verfolgung.
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