Montag, 7. Juni 2021

Coś dziewiczego

Etwas Mädchenhaftes 

Wenn man eine Zeitlang vor einem dieser anscheinend unbewohnten Häusern stehenbleibt, so tut sich seltsamerweise fast jedesmal, sei es im Parterre, sei es in der Beletage oder im oberen Stock, einer der geschlossenen Fensterläden etwas auf, und es erscheint eine Frauenhand, die mit auffällig langsamer Bewegung ein Tuch ausschüttelt, so daß man unweigerlich bald denkt, die ganze Stadt bestehe aus dusteren Interieurs, in denen zu ewig unsichtbarem Dasein verurteilte Frauenpersonen lautlos herumgehen und darauf lauern, daß sie einem zufällig vor ihrem Gefängnis stehenbleibenden und an der Fassade  heraufblickenden Passanten mit ihren Fetzen ein Zeichen geben können. 

*  *  *

Am sechsten Juni im Städtchen P. in Niederschlesien, in der Ulica Kosciuszki, wehte aus einem weit, de par en par, geöffneten Fenster im ersten Stock eines ganz mit Flechten überzogenen, gelblichen Wohnhauses eine Gardine mit Maschenmuster hervor, nach draußen, nach draußen, sage ich, sie wehte im heftigen Wind dieses nicht beschriebenen Tages, dieses Tages, der auf keine andere Weise beschreibbar war, als in der, die die Gardine ausübte, indem sie kraftvoll und großzügig luftige weiße Zeichen einer unbekannten Piktographie zeichnete, in Wahrheit nicht unbekannt, sondern nur vergessen, von irgendwo her bekannt, aber woher? Woher?

Das Los, erneut unbeugsam, wollte, daß ich an diesem unbeschriebenen Tag ganz in der Nähe war, auf der anderen, schattigen Seite dieser Straße. Aufs Neue, so wie einst, vor dem Tod, bin ich häufig wieder an meinem Platz, dort, wo man mich braucht, dort, wo die Dinge geschehen. Ich saß auf den Stufen, die zur Apotheke in der Hochparterre führen, rauchte eine Zigarette und schaute. Die Zeit des veränderlichen Frühlingswetters war längst verstrichen: Sonne, Regen, Sonne, Schnee, kalte Wirbelwinde, trocken und gleichzeitig feucht, Erkältungen überall, Grippe, und so weiter, die Leute standen in Schlangen vor der Apotheke für Pülverchen, Pillen, Hustensaft und ähnliches. Diese Zeit ist längst vorbei. Es war ein sonniger Juni, windig und stark wie ein junger Stier, niemand kam zur Apotheke, niemand störte mich auf den Stufen.

Ich saß also ruhig, ungerührt und nicht belästigt von den Beinen und weiten Hosen der Apothekenkunden. Ich zündete eine Zigarette an, die ich erneut nicht verschwendete wie in früherer Zeit. Wieder rauchte ich eine Zigarette und verschwendete sie nicht, indem ich rauchte und unentwegt nachdachte, bis zu einer schrecklichen Verblendung, über diese im Grunde einfache Sache, das sehe ich jetzt, eine Sache, die es vielleicht wert war, eine Nacht über sie nachzudenken, ich aber dachte fünfundzwanzig Monate darüber nach, 750 Tage und 750 Nächte, und die gerauchten Zigaretten waren allesamt verschwendet. Alles habe ich ausgedacht, und nichts habe ich ausgedacht.

Gut. Das heißt schlecht, das war sehr schlecht, aber jetzt ist es schon nicht mehr schlecht. Und es kann nur noch besser werden. 

Ich saß auf den Stufen zur Apotheke, rauchte die nächste Zigarette  und schaute mit leicht erhobenem Kopf auf die im Winde wehende weiße Gardine, die von innen im Zimmer nach draußen gelangt war, in den freien Raum. Ich schaute dahin, absolut magnetisiert konnte ich nicht woanders hinschauen. Schon für sich genommen war in dem Anblick etwas Verzauberndes, Anrührendes, Reines, jungfräulich Mädchenhaftes, aber ich spürte, das war nicht alles, damit war die Geschichte noch nicht am Ende, vielleicht aus dem Grund, daß ich hier saß und zuschaute.

*  *  *

Die französische Stadt scheint menschenleer, aber lautlose Hilferufe eingekerkerter und vergessener Frauen dringen als aus den Fenstern geschwenkte Tücher nach draußen. Auch die polnische, genauer schlesische Stadt zeigt sich nach dem Wetterwechsel plötzlich entvölkert, selbst hinter der offenbar autonom wehenden Gardine ist niemand zu entdecken, niemand kann die geheimnisvollen Zeichen erläutern, die der Behang in die Lüfte zeichnet. Der Erzähler bemüht sich, gestützt auf einen geregelten und nicht etwa verschwenderischen Zigarettenverbrauch, die verlorene Sprache zu entziffern. Können die Eingekerkerten befreit werden, und was mag der entzifferte Text künden? Verstörende Dinge im Westen wie im Osten Europas. Einst vor dem Tod, befinden wir uns auf der anderen Seite?

1987 posthum im Tygodniowy Ilustrowany Magazyn veröffentlicht

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