Mittwoch, 16. Juni 2021

Rückgewandert

Ritorno

Stachura ist eher als Rückgewanderter denn als Ausgewanderter einzustufen. Als Kind polnischer Gastarbeiter in Frankreich geboren und aufgewachsen hat er auch die ersten Schuljahre noch dort verbracht, um dann vor Ausbruch des Weltkriegs mit den Eltern und Geschwistern nach Polen zurückzukehren. In seinen Erzählungen wird die Kindheit in Frankreich oft mit einem gewissen Stolz erwähnt, sie wird aber nicht geschildert oder beschrieben, weder die Menschen noch das Land noch er selbst unter Franzosen. Polen ist für den Erzähler der einzige Erzähl- und Standort, wobei Standort kaum die geeignet Vokabel ist angesichts seiner fortwährenden ruhelosen Wanderungen und Fahrten durch die Rzeczpospolita. Auch die für einen Bürger der Volksrepublik ungewöhnlich vielen Auslandsreisen nach Osten, Westen, Süden und Norden haben kaum erkennbare literarische Spuren hinterlassen, erst in dem bereits von den einsetzenden und zum Tode führenden psychischen Plagen geprägten Erzählband Się kann man ein wenig von Mexiko betrachten. Einige seiner Arbeiten hat er selbst ins Spanische übersetzt. In der Erzählung Nie zlęknę się verwirft und stellt er sich gegen den verbreiteten Mythos der wunderbaren Kindheit, nicht nur seiner eigenen. In Czysty opis erlaubt er sich eine zweite Geburt, um die erste Geburt und die Jahre der Kindheit zu vergessen. Er steht damit in einem krassen Widerspruch etwa zu Cioran, der seine Kindheit über alles gepriesen hat, mehr als irgendwer sonst die seine, und dann keinen Anlaß mehr fand, noch irgendetwas obendrein zu preisen im Leben der Menschen, sofern sie über den Status eines Hirtenvolks hinausgewachsen sind. Auch der Dichter betreibt in Ritorno in Patria eine Art Rückwanderung gegenläufig zur ursprünglichen Auswanderung, allerdings nur für eine sehr begrenzte Zeit. Erzählt werden die Erinnerungen eines Erwachsenen, spärlich ist, was wir über den Dichter as a child and a young man erfahren. In seiner Einschätzung sowohl der Kindheit als auch des Erwachsenenlebens steht er Cioran wohl näher, als man auf Anhieb denken mag, auch wenn die Worte naturgemäß gedämpft und weniger kraß sind.

 

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