Montag, 21. September 2009

Max Aurach

Το βλέμμα του Σελυσσέα

Aż do dwudziestego roku życia nie oddalałęm się bardziej od domu niż o jakieś pięć, sześć godzin jazdy pociągiem

Zu Beginn der Erzählung Max Aurach ist Selysses mit sich beschäftigt, hat sich selbst im Blick. Erzählt wird von seiner ersten, seiner Urreise. Welche Schwindelgefühle ihn auf seinen späteren Reisen, auch im weiteren Verlauf dieser Erzählung, auch ankommen mochten, er hatte einen festen Ort im Rücken, zu dem er heimkehren würde. Hier ist er auf seiner Auswanderungsreise, ein Zurück wird es nicht geben. Nachdem das falsche Gefühl der Zuversicht sich gelegt hat, empfindet er ein unbegreifliches Gefühl der Unverbundenheit und sehr leicht hätte er sich aus dem Leben entfernen können. Die erste seiner zahlreichen Wirtinnen, Gracie Irlam, nimmt ihn auf, aber mehr als sie selbst ist es der ihm aufs Zimmer gebrachte Teeapparat gewesen, der ihn durch das nächtliche Leuchten seines Zifferblattes, sein leises Sprudeln am Morgen und sein bloßes Dastehen untertags am Leben festhalten ließ. Die Stimmung der Pension Arosa mit den travelling gentlemen that come and go und den bunten Damen, the travelling gentlemen’s companions ist, verdeckt durch die so ganz anders verlaufende Prosa Sebalds und doch kaum übersehbar, die eines Kafkaschen Gasthofs. Im weiteren Verlauf scheint Gracie Irlam eine Verwandlungskarriere ähnlich der der Rachel bei Proust zu durchlaufen, wenn auch bei weitem weniger hochfahrend, wir treffen sie wieder als das Malermodell G.I. on her Blue Candlewick Cover und als die Flügelhornistin Gracie Irlam.

Wenn der Betrieb unter der Woche das Leben noch auf irgendeine Weise mit sich trägt, so wurde Selysses in dem an den Sonntagen vollkommen verlassenen Hotel von einem solch überwältigenden Gefühl der Ziel- und Zwecklosigkeit erfaßt, daß er, um wenigstens die Illusion einer gewissen Ausrichtung zu haben sich auf den Weg in die Stadt Manchester machte. Schon bei ersten Einfahrt nach Manchester vom Flughafen her war die Stadt so gut wie menschenleer gewesen, auf den sonntäglichen Spaziergängen wirkt sie wie von sich selbst geräumt. Unter dem Blick des Selysses gewinnt Manchester durchaus die Atmosphäre von dunkel futuristischen Endzeitfilmen. Inmitten der Ödnis von Angel Fields bin ich auf einen kleinen Knaben gestoßen, der in einem Wägelchen eine aus ausgestopften alten Sachen gemachte Gestalt bei sich hatte und der mich, also wohl den einzigen Menschen, der damals in dieser Umgebung unterwegs gewesen ist, um einen Penny bat für seinen stummen Gesellen. Im verlassenste Eck der Geisterstadt – so unbegreiflich still war es, daß ich die Seufzer hörte in den leeren Lagertennen und Speicher – findet er den offenbar einzigen Bewohner, den Maler Aurach, der dort seit Ende der vierziger Jahre arbeitete, Tag für Tag zehn Stunden, den siebten Tag nicht ausgenommen; der Maler, dem der Staub viel näher ist als das Licht, die Luft und das Wasser.

Die Frage nach der Besonderheit des Menschen vor aller Kreatur beantworten viele mit dem göttlichen Schöpfungsverlauf, andere mit der Vernunft, wieder andere mit der Sprache. Eine andere ins Feld zu führende, die anderen angeführten Ansätze möglicherweise übergreifende Fähigkeit wäre die, von sich absehen zu können, zurückzutreten auch von der Welt für einen besseren Blick auf sie, auf sich selbst und vor allem auf die anderen. In der Liebe, in der Kunst und in der Erkenntnis wird dieses Vermögen zum Glück und Stolz des Menschen. Da aber nichts ohne Kehrseite ist, wird das Vermögen dem Menschen auch zur Last, denn er kann nicht länger in Ruhe bei sich und einer ebenfalls auf sich beruhenden Welt bleiben.

Verschiedene Erzählungen Sebalds beginnen damit, daß ein mit sich allein gelassener Selysses sich in Schwindel- und noch ärgere Gefühle verliert. Die Welt geht ihm verloren, und sie und sich findet er erst wieder, wenn er seinen Blick auf einen anderen Menschen eingestellt hat, dessen Leben verfolgt und uns von ihm erzählt. Hier ist es der Maler Aurach, dessen Name wie ein leicht verunglücktes Anagramm auf das alte Manchester der rauchenden Schlote wirkt, das er Selysses vor Augen hält, und dessen Rauch fortlebt im Staub seines Ateliers. Selysses folgt Aurach zum Isenheimer Altar und zu Grünewald, diesem seltsamen Mann, dessen Weltsicht sich in den verrenkten Gliedern und den Farben ausbreitet wie eine Krankheit; Selysses sieht ab von sich, indem er auf Aurach schaut, der schaut auf Grünewald und trifft sich dort mit Selysses. Selysses trifft mit Aurach ferner den Butterflyman und lernt Aurachs gesichtsloses Porträt Man mit a Butterfly Net kennen. Er träumt Aurachs Traum und weiß angesichts des gnomenhaften Jerusalemer Tempelchens zum ersten Mal in seinem Leben, wie ein wahres Kunstwerk aussieht. – Wie immer die Hochschätzung des Tempelmodells im einzelnen zu deuten sein mag, in jedem Fall ist es eine Rückwendung von Manchester, dem Neuen Jerusalem der gigantomanen Industrialisierung, über den Jerusalemer Tempel hinaus zu dessen Miniaturabbild.

Die Lange Erzählung Ambros Adelwarth schließt mit dem Blick auf Jerusalem, hier ist eine in sich geschlossene kurze Erzählung zum Ende gekommen, aber noch keine lange. Die vier Langen Erzählungen in den Ausgewanderten definieren sich offenbar weniger durch ihre absolute Länge als durch den Umstand, daß der Erzählfaden abermals und wiederholt aufgenommen wird, so daß wir zwei kurze Lange, Selwyn und Bereyter, und zwei lange Lange Erzählungen, Adelwarth und Aurach, zählen. In Max Aurach wird der Erzählfaden noch dreimal neu aufgenommen, für Aurachs Lebensgeschichte als in Deutschland aufgewachsener und dann nach England ausgewanderter Jude, für das Tagebuch seiner Mutter und für die Spurensuche des Selysses.

Nach Ende dieser kurzen Erzählung verliert Selysses Aurach aus den Augen, Jahre werden übersprungen, in denen auch kein Blick zurück auf Selysses geworfen wird. Selysses trifft Aurach - inzwischen ein arrivierter Maler, ohne daß das an seinen Tagesabläufen irgend etwas geändert hätte - wieder in einem ihm gewidmeten Artikel einer Zeitschrift und studiert auf einer dem Text beigegeben das dunkle, ins Abseits blickende Auge des Malers. Der Zeitschrift entnimmt er auch erste Daten zu Aurachs Leben, denn seinerzeit hatten sie aufgrund unbegreiflicher Hemmungen und Scheu vermieden, das Gespräch auf die Herkunft Aurachs zu bringen. Drei Tage haben die beiden dann geredet und sich berichtet über ihr Leben, wobei die Erzählung ausschließlich den Aurach betreffenden Auskünften folgt.

Alle vier langen Erzählungen münden in eine Finale, das die Vernunft aus ihrer Bahn wirft, und schließen auf der Note eines schönen irrlichtenden Bedeutungsübermuts; in die zu den einzelnen Erzählungen hinleitende kurze Präsentation der Ausgewanderten wurden die vier abschließenden wilden Sätze oder Satzfragmente aufgenommen.

Das Tagebuch des Ambros Adelwarth in der gleichnamigen langen Erzählung, erfüllt von den Farben, Klängen und Parfums des Orients hat das entsprechende surreale Potential, so daß es am Ende der langen Erzählung stehen kann. Das Tagebuch der Luisa Lanzberg, bei dem es sich um den vom Dichter nur wenig retouchierte realen Bericht der Thea G. handelt, besticht dagegen durch seine schlichte Unmittelbarkeit und kann nicht zum Finale der Erzählung führen. Die Erzählung schließt daher mit der Spurensuche und ersten Blicken des Selysses.

Wie in der Erzählung Ambros Adelwarth beginnt die Erkundigung mit einer Reihe unmittelbar von Selysses wahrgenommener Reisebilder. Während die Amerikareisen in der Adelwartherzählung eher angenehme Eindrücke hervorrief, etwa die der Negerfamilie im Nachbarauto auf der Autobahn, wird die Reise nach Kissingen in Deutschland zu einer Schreckensreise ans Ende der Welt. Da ist zunächst der schwer vor sich hin schnaufende Mitreisende, der in einem fort seine unförmige Zunge herumwälzte, auf der sich noch Essensreste befanden, in seinem halboffenen Mund. Die Beine gespreizt saß er da, Bauch und Unterleib auf eine grauenerregende Weise eingezwängt in eine kurze Sommerhose. Dann die alte Frau, die mit ihrem Federmesser, das sie stets aufgeklappt in der Hand behielt, Schnitz um Schnitz ihren Apfel zerteilte, die abgeschnittenen Stücke zerkiefelte und die Schale in ein Papiertuch spuckte, das sie auf dem Schoß liegen hatte. In Kissingen dann die Empfangsdame, die etwas von einer Oberin an sich hatte, und Selysses maß mit ihren Blicken, als befürchte sie von ihm einen Hausfriedensbruch, schließlich das gespenstische alte Ehepaar, das ihn mit einem Ausdruck unverhohlener Feindseligkeit, wo nicht gar des Entsetzens anstarrte.

Gemessen an den Ergebnissen der Adelwarth betreffenden Amerikareisen bleibt die Fahrt nach Kissingen seltsam unergiebig. Meine Erkundungen hatten zwar vieles zur allgemeinen Geschichte der Kissinger Judenschaft eingebracht, zur besonderen Geschichte der Familie Lanzberg hingegen sehr wenig. Zum Ausgleich hat Selysses dann noch die angenehme Begegnung mit der philosophisch bewanderten Saaleschifferin türkischer Herkunft, eine orientalische Wasserfahrt en miniature also. Sie steuert ihn zur Saline, und er verbringt den ganzen Nachmittag mit dem nach außen gerichteten Blick auf das Wasserschauspiel und dem nach innen gerichteten Blick und dem Nachdenken über die langwierigen und unergründlichen Vorgänge, die beim Höhergradieren der Salzlösung die seltsamen Versteinerungs- und Kristallisierungsformen hervorbringen, Nachahmungen und gewissermaßen Aufhebungen der Natur. – In den Schwindel.Gefühlen hatte Stendhal im langwierigen Prozeß der Kristallisation eine Allegorie für das Wachstum der Liebe in den Salzbergwerken unserer Seelen gesehen.

Die surreale Ebene wird gewonnen, als Selysses das heruntergekommene Midland Hotel in Manchester bezieht - ein Pendant zum Besuch in Deauville in der Adelwartherzählung -, wo er den aus dem Leben strebenden Aurach ein letztes Mal besucht. Manchester verwandelt sich in einem Tagtraum in das seinerzeit polski Manczester genannte Lodsch. Die im Köfferchen eines Wiener Antiquars zum Vorschein gekommenen Bilder – Photographien, wie sie in fast allen Erzählungen den Blick des Selysses unwiderstehlich anziehen - des Buchhalters und Finanzfachmanns Genewein aus dem Ghetto Litzmannstadt zeigen unter grauem, wassergrünem oder weißblauen Himmel eine eigenartige Leere, kaum einmal ist jemand zu sehen, obwohl in Litzmannstadt zeitweise bis zu hundertsiebzigtausend Menschen auf einer Fläche von nicht mehr als fünf Quadratkilometern lebten. In den manufakturmäßig aufgebauten Produktionsstätten dagegen überall Gesichter, ungezählte Gesichter, die eigens und einzig für den Sekundenbruchteil des Photographierens aufgeschaut haben und aufgeschaut haben dürfen von ihrer Arbeit.

Die christlichen Heiligen erleben wir bei Grünewald als die Ungeheuerlichkeit des Leidens, das, ausgehend von den vorgeführten Gestalten, die ganze Natur überzog, um aus den erloschenen Landschaften wieder zurückzufluten in die menschlichen Todesfiguren, das jüdische Heiligtum, der Tempel, erscheint in gnomenhafter Verminderung, der islamische Orient hat sein schwaches Leuchten in der türkischen Flußschifferin, am Ende siegen die heidnischen Heiligen, es wird kein Jüngstes Gericht des Höchsten geben, die Geschundenen des Ghettos werden den Faden zertrennen: Die mittlere der drei jungen Frauen hat hellblondes Haar und gleicht irgendwie einer Braut. Die Weberin zu ihrer Linken hält den Kopf ein wenig seitwärts geneigt, während die auf der rechten Seite so unverwandt und unerbittlich mich ansieht, daß ich es nicht lange auszuhalten vermag. Ich überlege, wie die drei wohl geheißen haben – Roza, Lusia und Lea oder Nona, Decuma und Morta, die Töchter der Nacht, mit Spindel und Faden und Schere.

Die Erzählung schließt mit dem Wort Schere, offenbar das Schneidegerät, das im letzten Wort der Schwindel.Gefühle: 2013 - bereits den Faden der Welt abgeschnitten hatte.

Roza, Lusia i Lea czy Nona, Decuma i Morta, córki Nocy, z kądzielą, nicią i nożycami.

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