Was zunächst nur wie ein petit pan de mur jaune ausgesehen hatte, erwies sich bei genauerer Betrachtung als eine mit erstaunlicher Kunstfertigkeit gemalte trompe-l’oeil-Türe, durch die ich trotz ihrer winzigen Ausmaßes ohne weiteres in ein tief verstaubtes, seit Jahren offenbar nicht mehr betretenes Kabinett gelangte. Ein wenig seitwärts auf dem Kanapee saß ein mir fremder Herr. Er hielt eine verschlossene Schachtel auf dem Schoß, nicht winzig klein aber auch nicht riesig. Frohmann, aus Drohobycz gebürtig, sagte er, sich leicht verneigend. Meine Neugier, was die Schachtel anbelangte, zugleich bemerkend, fragte er, ohne darauf eine Antwort zu erwarten: Wissen Sie, was an manchen Leuten Besonderes ist? Sie sind nichts, fuhr er dann ohne Umschweife fort, aber sie können es nicht zeigen, nicht einmal ihren Augen können Sie es zeigen, das ist das Besondere an ihnen. Alle diese Menschen sind Brüder jenes Mannes, der in der Stadt herumging, sich auf nichts verstand, kein vernünftiges Wort herausbrachte, nicht tanzen konnte, nicht lachen konnte, aber immer krampfhaft mit beiden Händen eine verschlossene Schachtel trug. Fragte ihn nun ein Teilnehmender: Was tragen Sie so vorsichtig in der Schachtel, - da senkte dann der Mann den Kopf und sagte unsicher: Ich verstehe mich zwar auf nichts, aber was in dieser, wohlgemerkt verschlossenen Schachtel ist, das kann ich nicht sagen, nein, nein, das sage ich nicht. Dabei lächelt er ein wenig, wenn auch verzerrt. Immer wieder im Laufe der Jahre fragten die Teilnehmenden nach dem Inhalt der Schachtel, vielleicht ein Schatz, vielleicht eine Verkündigung. Übrigens lassen sie das Schächtelchen nur zu, riefen sie, wir glauben es Ihnen auch ohnedem. Nach seinem Tode fand man in der Schachtel zwei Milchzähne. Nun, so ist es bei mir aber ganz und gar nicht, lachte Frohmann, nachdem eine stille Minute verstrichen war, öffnete die Schachtel und ans Tageslicht trat ein aus Fichtenholz, Papiermaché und Goldfarbe gemachtes Modell des Tempels Salomonis. Sehen sie, sagte er, man erkennt eine jede Turmzacke, jeden Vorhang, jede Schwelle jedes eilige Gerät. Und ich, schloß Selysses seinen Bericht, beugte mich über das Tempelchen und wußte zum erstenmal in meinem Leben, wie ein wahres Kunstwerk aussieht.
Freitag, 9. Dezember 2011
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