Mit Wittgenstein verzahnt
Nicht wenige, die unvorbereitet auf das Einbandbild der Taschenbuchausgabe von Austerlitz gestoßen sind, haben gedacht, Wittgenstein als Kind vor sich zu sehen, eine Annahme, die, obwohl falsch, im Grunde richtig ist. Noch vor Austerlitz, dem Titelhelden, betritt Wittgenstein das Buch als der Philosoph, der vermittels reinen Denkens versucht, das Dunkel zu durchdringen, das uns umgibt. Ob er damit philosophiehistorisch richtig eingeordnet ist, mag dahinstehen, aber die Augenpaare auf der dritten Seite, gleich unter denen der nachtgewandten und mit dem Dunkel vertrauten Eule, sind wohl die seinen.
Von allen Photographien, die es im Buch zu betrachten gibt, erheben nur die auf dem Einband - im Text taucht sie noch einmal auf - sowie die Ablichtung der Rugbymannschaft mit Dafydd Elias als Flügelstürmer, den Anspruch, den fiktiven Helden Austerlitz abzubilden, mithin sehen wir ihn einmal im Vorschulalter und dann noch einmal als Jugendlichen. Wir können Austerlitz’ Aussehen, wenn wir denn darauf aus sind, nur ausgehend von diesen Belegen eines frühen und eines sehr frühen Stadium seines Lebens erschließen. Die Aufgabe wird dadurch erschwert, daß er auf den beiden Photos keine große Ähnlichkeit mit dem jeweils anderen Bild seiner selbst hat.
Im Text des Buches wird die auffallende Ähnlichkeit seiner Person mit der Ludwig Wittgensteins ausdrücklich bestätigt, der entsetzte Ausdruck, den sie beide trugen in ihrem Gesicht, ist ein verbindendes Merkmal. Wenn ich auf eine Photographie von Wittgenstein stoße, so ist es, als blicke mir Austerlitz aus ihr entgegen, oder, wenn ich Austerlitz anschaue, als sehe ich in ihm den unglücklichen, in der Klarheit seiner logischen Überlegungen ebenso wie in die Verwirrung seiner Gefühle eingesperrten Denker, dermaßen auffällig sind die Ähnlichkeiten zwischen den beiden, in der Statur, in der Art, wie sie einen über eine unsichtbare Grenze hinweg studieren, in ihrem nur provisorisch eingerichtetem Leben, in dem Wunsch, mit möglichst wenig auslangen zu können, und in den für Austerlitz nicht anders als für Wittgenstein bezeichnenden Unfähigkeit, mit irgendwelchen Präliminarien sich aufzuhalten. – Nicht erwähnt wird die Haartracht der beiden.
Austerlitz’ Frisur findet aber schon sehr früh Erwähnung, gleich bei seinem ersten Auftreten im Antwerpener Bahnhof: Ein beinahe jugendlich wirkender Mann mit blondem, seltsam gewellten Haar, wie ich es sonst nur gesehen habe an dem deutschen Helden Siegfried in Langs Nibelungenfilm. Der Leser allerdings war nicht auf Siegfried eingestellt, sondern eben auf Wittgenstein, denn die Haartolle des Knaben im Pagenkostüm, von dem her wir uns Austerlitz denken sollen, entspricht in geradezu frappierender Weise der des erwachsenen Philosophen. Es ist genau diese Tolle, neben der auf ein gut situiertes Elternhaus hinweisenden Ausstaffierung, die uns hinter der Abbildung des fiktiven Austerlitz den realen Wittgenstein annehmen läßt.
Der Text allerdings ist an dieser Stelle auf die Gleichstellung noch gar nicht vorbereitet, auch gelingt mit Siegfried als optischem Partner ein gewagter humoristischer Kontrapunkt, der mit Wittgenstein ganz und gar nicht zu erreichen gewesen wäre. Austerlitz als germanischer Heroe, um alles in der Welt! Ausgaben mit einem anderweitig dekorierten Einband, etwa mit dem für Austerlitz, Wittgenstein und Selysses gleichermaßen unverzichtbaren Rucksack oder mit dem Wandereremblem, interferieren nicht in dieser Weise mit dem Lesevorgang. Auf den Einfall, zur Einstimmung des Leserschaft auf Langs Siegfried zurückzugreifen, ist bislang noch kein Editor gekommen, oder gerade erst in diesem Augenblick.
Im Gespräch hat Sebald sein Verhältnis zu Wittgenstein erläutert: Wittgenstein gehört zu meinen ständigen Begleitern, nicht so sehr, weil ich seine Philosophie sehr gut verstünde – das versteht ja bekanntlich fast niemand -, sondern weil ich die Geschichte seiner Persönlichkeit, wie sie sich entwickelt hat, mit all den pathologischen Facetten, die dazugehörten, für endlos faszinierend halte. Ich kann mich einfach nicht satt sehen, wenn man das so sagen kann, auf diese Weise, an den Bildern, die es von ihm gibt; nicht nur die Bilder seiner Person, sondern dem ganzen sozialen Umfeld. Das verzahnt sich irgendwie auf eine auf so eine vielfältige Weise mit meinen Interessen, daß er sozusagen zu einem Kompagnon, einem insgeheimen Kompagnon geworden ist für mich. - Was bedeutet VERZAHNT für das Werk?
Das Wort Kompagnon verweist bei Sebald auf eine sehr enge und tiefgehende Verbindung, sind doch für Mme Landau die ziemliche Anzahl von Männern, die sie – des näheren, wie sie mit spöttischem Gesichtsausdruck hervorhob – kennengelernt hat, in der Rückschau durch die Bank ungehobelte Klotz gewesen, wohingegen man sich einen umsichtigeren und unterhaltsameren Kompagnon einfach nicht habe wünschen können als den von seiner inneren Einsamkeit nahezu aufgefressenen Paul. Paul Bereyter ist, für jeden Sebaldleser leicht erkenntlich, eine frühe Version des Austerlitz – wobei mit früh keinerlei Gedanke des Minderen zu verbinden ist – und damit nach den Gesetzen der Logik, wenn A gleich B &c., ein weiterer Kompagnon Wittgensteins. Dessen Verzahnung, oder, wenn man die Gewebe- der Maschinenmetapher vorzieht: Verflechtung in die Texte beginnt mehr und mehr sichtbar zu werden.
Wenn sich Sebald auch, nach eigenem Eingeständnis, mit der Philosophie Wittgensteins nicht näher beschäftigt hat, so mögen ihm doch verschiedene seiner Aphorismen und Aussprüche zugesagt haben: Die Methode zu Philosophieren ist sich wahnsinnig zu machen, und den Wahnsinn wieder zu heilen - Sebald beansprucht für das Verfassen belletristischer Prosa eine ähnliche Position am Rande des Wahnsinns. Oder: Es ist mit ziemlich gleich, was ich esse, wenn es nur immer das Gleiche ist – man kann sich gut vorstellen, es sei Wyndham Le Strange, der Florence Barnes auf diese Weise instruiert, und andererseits muß Selysses bereits büßen für seine Neigung zu durchaus maßvollem Feinschmeckertum, ersichtlich zur Schadenfreude seines Doppelgängers außerhalb des Textes: Ich weiß nicht, wie ich mir in den fremden Städten die Lokale aussuche, in die ich einkehre. Einerseits bin ich zu wählerisch und gehe stundenlang durch die Straßen und Gassen, ehe ich mich entscheiden kann; andererseits gerate ich zuletzt meistens wahllos einfach irgendwo hinein und verzehre dort in trostloser Umgebung und unter Unbehagen ein mir in keiner Weise zusagendes Gericht.
Auch Wyndham Le Strange gehört zur Compagnia. Mit Wittgenstein ist er nicht über des Aspekt des Aussehens verbunden - über seinen Gesichtsausdruck, seine Statur und Frisur sind wir nicht unterrichtet - wohl aber durch ein ebenso provisorisch wie endgültig eingerichtetes Leben und den Wunsch, mit möglichst wenig und ausschließlich mit schon Vorhandenem auslangen zu können, im Kern also über das Motiv des mißachteten Reichtums. Wittgenstein hat auf sein Vermögen verzichtet, weil er sich, nach eigenen Worten, wie ein aufgeblasener Schlauch gefühlt habe, solange er dieses Geld hatte. Daß er das Geld nicht Notleidenden oder wohltätigen Organisationen gab, sondern seinen ohnehin reichen Geschwistern, kreiden Menschen mit Gemüt ihm an, er habe keine soziale Sensibilität besessen, sagen sie. Auch Le Strange läßt alle philanthropische Anstalten vermissen, denn wenn er sein gesamtes, mehr als beträchtliches Vermögen der Haushälterin hinterläßt, so nicht weil sie arm, sondern nur weil sie seine naturgemäße und überdies einzig in Betracht kommende Erbin war, und außerdem wissen wir über das Verhältnis der beiden ohnehin nichts genaues. Cosmo Solomon, der ausschließlich mit dem dunklen Vokal O ausgestattete amerikanische Kompagnon des hellautenden Wittgenstein, betreibt offenbar auch ohne jedes soziale Gewissen gezielte Geldvernichtung, indem er sich viel an Plätzen wie Saratoga Springs und Palm Beach aufhält, einesteils, weil er ein hervorragender Polospieler war, und zum anderen, weil er in Luxushotels wie dem Breakers, dem Poinciana oder dem American Adelphi ungeheure Mengen Geld durchbringen konnte, woran ihm damals offenbar vorab gelegen war.
Thomas Bernhard gehört zum einen aus eigener Kraft, unabhängig von Wittgenstein zur Compagnia: Thomas Bernhard ist von sehr zentraler Bedeutung für mich gewesen, nicht nur weil ich seine Bücher für wunderbare komödiantische Kabinettstücke gehalten habe, sondern weil mich überhaupt diese Position, die er einnahm, die des großen Satirikers immer fasziniert hat. Bernhard war ein Fastenprediger. Ich sehe ihn wenn ich denke, irgendwie auf einer Kanzel, wie er also das Sonntagspublikum sozusagen fix und fertig macht, bis sie also nicht mehr schnaufen können. Mit Emyr Elias hat Sebald einen Prediger vom Schlage Bernhards entworfen, am Sonntag führte er der versammelten Gemeinde mit erschütternder Wortgewalt das allen bevorstehende Strafgericht, die Farben des Fegefeuers und die Qualen der Verdammnis vor Augen, so daß nicht wenige am Ende des Gottesdienstes mit einem kalkweißen Gesicht nach Hause gingen.
Aber auch Bernhard war ähnlich wie Sebald von Wittgenstein fasziniert. In der Korrektur baut Wittgenstein noch einmal das Haus für seine Schwester, in der kleinen Farce Goethe schtirbt sehnt sich der Großmeister angesichts des nahenden Todes nur noch nach einem, nach Wittgenstein, und auch dem Neffen Paul wurde ein eigenes Buch gewidmet. Mehrfach wird auch ein großes Vermögen weggeschenkt, in der Auslöschung durchaus ethisch sensibel, möchte man meinen, an die Israelitische Kultusgemeinde. Es hat nichts geholfen, im Rahmen einer speziellen Form der Literaturkritik wurde nachgewiesen, daß damit das höchstmögliche Maß an politischer Korrektheit glatt verfehlt wurde. Worin das Schenkungsideal bestanden hat und wohl noch weiter besteht, ist dem Gedächtnis leider entfallen.
Le Strange begegnet uns in Verbindung mit christlichen Heiligen. Umschwärmt von Perlhühnern, Fasanen, Tauben und Wachteln und den verschiedenen Garten- und Singvögeln ähnelt er dem Heiligen Franz, als er ein Erdloch als Wohnung bezieht, wird er offen dem Heiligen Hieronymus verglichen. Auf eine christliche Gesinnung kann nicht geschlossen werden, von Le Stranges Gedankenwelt wissen wir gar nichts, es sind mentale Bilder des Betrachters, die sich einstellen angesichts des wenigen, das über den Zaun des Grundstückes zu erblicken ist. Nach eigenem Bekunden areligiös aber der Metaphysik zugetan, konnte und wollte Sebald auf den christlichen Bildervorrat nicht verzichten. Franziskus und Hieronymus sind keine Heiligen der guten Werke, keine Meliorationsheilige, sondern Gebetsheilige, Einsiedler, Heilige der Askese mit geringer sozialer Sensibilität, wenn man auf den Wittgensteinkritiker zurückkommen will, Benns schwarze Kutten, auch wenn Le Strange einmal in einem kanariengelben Gehrock und dann wieder in einem veilchenfarbenen Trauermantel paradiert. Inmitten des die Gegenwart dominierenden, sich überschlagenden säkularen Meliorismus - überschlagend in dem Sinn, daß er fortwährend mehr Verbesserungsbedarf erzeugt als er stillen kann - ließe sich ein Meliorationsheiliger gar nicht mehr identifizieren. Sebalds, von Wittgenstein angeführte säkulare Heilige sind Einsiedler und Asketen, ihr Vermögen steht nicht zur Verfügung der Weltverbesserung, die, zahllosen Belegstellen im Prosawerk zufolge, die Weltverschlechterung als unveräußerliche Kehrseite hat.
Den Übergang vom christlichen zum säkularen Heiligen markiert bei Sebald der heilige Georg. Bei Grünewald tritt er uns entgegen, steht zuvorderst am Bildrand eine Handbreit über der Welt und wird gleich über die Schwelle des Rahmens treten, das mittelalterliche Tableau verlassen, bei Pisanello geht von seiner glorreiche ritterlichen Erscheinung etwas herzbewegend Weltliches aus. Wer behauptet, Sebald habe seine beiden Vornamen gehaßt und sich daher Max rufen lassen, hat ganz abgesehen davon, daß Sebald sich im Gespräch ausdrücklich zum G innerhalb des WG bekennt, das Werk offenbar nicht gelesen. Eher schon ist ihm der Name seines Patrons als unpassend für den Alltag erschienen. Der Heilige Georg ist ein weiterer Kompagnon, vermittels dessen Sebald sich als Selysses selbst zum Kompagnon wird, Mitglied der der von ihm entworfenen Compagnia.
Nicht wenige, die unvorbereitet auf das Einbandbild der Taschenbuchausgabe von Austerlitz gestoßen sind, haben gedacht, Wittgenstein als Kind vor sich zu sehen, eine Annahme, die, obwohl falsch, im Grunde richtig ist. Noch vor Austerlitz, dem Titelhelden, betritt Wittgenstein das Buch als der Philosoph, der vermittels reinen Denkens versucht, das Dunkel zu durchdringen, das uns umgibt. Ob er damit philosophiehistorisch richtig eingeordnet ist, mag dahinstehen, aber die Augenpaare auf der dritten Seite, gleich unter denen der nachtgewandten und mit dem Dunkel vertrauten Eule, sind wohl die seinen.
Von allen Photographien, die es im Buch zu betrachten gibt, erheben nur die auf dem Einband - im Text taucht sie noch einmal auf - sowie die Ablichtung der Rugbymannschaft mit Dafydd Elias als Flügelstürmer, den Anspruch, den fiktiven Helden Austerlitz abzubilden, mithin sehen wir ihn einmal im Vorschulalter und dann noch einmal als Jugendlichen. Wir können Austerlitz’ Aussehen, wenn wir denn darauf aus sind, nur ausgehend von diesen Belegen eines frühen und eines sehr frühen Stadium seines Lebens erschließen. Die Aufgabe wird dadurch erschwert, daß er auf den beiden Photos keine große Ähnlichkeit mit dem jeweils anderen Bild seiner selbst hat.
Im Text des Buches wird die auffallende Ähnlichkeit seiner Person mit der Ludwig Wittgensteins ausdrücklich bestätigt, der entsetzte Ausdruck, den sie beide trugen in ihrem Gesicht, ist ein verbindendes Merkmal. Wenn ich auf eine Photographie von Wittgenstein stoße, so ist es, als blicke mir Austerlitz aus ihr entgegen, oder, wenn ich Austerlitz anschaue, als sehe ich in ihm den unglücklichen, in der Klarheit seiner logischen Überlegungen ebenso wie in die Verwirrung seiner Gefühle eingesperrten Denker, dermaßen auffällig sind die Ähnlichkeiten zwischen den beiden, in der Statur, in der Art, wie sie einen über eine unsichtbare Grenze hinweg studieren, in ihrem nur provisorisch eingerichtetem Leben, in dem Wunsch, mit möglichst wenig auslangen zu können, und in den für Austerlitz nicht anders als für Wittgenstein bezeichnenden Unfähigkeit, mit irgendwelchen Präliminarien sich aufzuhalten. – Nicht erwähnt wird die Haartracht der beiden.
Austerlitz’ Frisur findet aber schon sehr früh Erwähnung, gleich bei seinem ersten Auftreten im Antwerpener Bahnhof: Ein beinahe jugendlich wirkender Mann mit blondem, seltsam gewellten Haar, wie ich es sonst nur gesehen habe an dem deutschen Helden Siegfried in Langs Nibelungenfilm. Der Leser allerdings war nicht auf Siegfried eingestellt, sondern eben auf Wittgenstein, denn die Haartolle des Knaben im Pagenkostüm, von dem her wir uns Austerlitz denken sollen, entspricht in geradezu frappierender Weise der des erwachsenen Philosophen. Es ist genau diese Tolle, neben der auf ein gut situiertes Elternhaus hinweisenden Ausstaffierung, die uns hinter der Abbildung des fiktiven Austerlitz den realen Wittgenstein annehmen läßt.
Der Text allerdings ist an dieser Stelle auf die Gleichstellung noch gar nicht vorbereitet, auch gelingt mit Siegfried als optischem Partner ein gewagter humoristischer Kontrapunkt, der mit Wittgenstein ganz und gar nicht zu erreichen gewesen wäre. Austerlitz als germanischer Heroe, um alles in der Welt! Ausgaben mit einem anderweitig dekorierten Einband, etwa mit dem für Austerlitz, Wittgenstein und Selysses gleichermaßen unverzichtbaren Rucksack oder mit dem Wandereremblem, interferieren nicht in dieser Weise mit dem Lesevorgang. Auf den Einfall, zur Einstimmung des Leserschaft auf Langs Siegfried zurückzugreifen, ist bislang noch kein Editor gekommen, oder gerade erst in diesem Augenblick.
Im Gespräch hat Sebald sein Verhältnis zu Wittgenstein erläutert: Wittgenstein gehört zu meinen ständigen Begleitern, nicht so sehr, weil ich seine Philosophie sehr gut verstünde – das versteht ja bekanntlich fast niemand -, sondern weil ich die Geschichte seiner Persönlichkeit, wie sie sich entwickelt hat, mit all den pathologischen Facetten, die dazugehörten, für endlos faszinierend halte. Ich kann mich einfach nicht satt sehen, wenn man das so sagen kann, auf diese Weise, an den Bildern, die es von ihm gibt; nicht nur die Bilder seiner Person, sondern dem ganzen sozialen Umfeld. Das verzahnt sich irgendwie auf eine auf so eine vielfältige Weise mit meinen Interessen, daß er sozusagen zu einem Kompagnon, einem insgeheimen Kompagnon geworden ist für mich. - Was bedeutet VERZAHNT für das Werk?
Das Wort Kompagnon verweist bei Sebald auf eine sehr enge und tiefgehende Verbindung, sind doch für Mme Landau die ziemliche Anzahl von Männern, die sie – des näheren, wie sie mit spöttischem Gesichtsausdruck hervorhob – kennengelernt hat, in der Rückschau durch die Bank ungehobelte Klotz gewesen, wohingegen man sich einen umsichtigeren und unterhaltsameren Kompagnon einfach nicht habe wünschen können als den von seiner inneren Einsamkeit nahezu aufgefressenen Paul. Paul Bereyter ist, für jeden Sebaldleser leicht erkenntlich, eine frühe Version des Austerlitz – wobei mit früh keinerlei Gedanke des Minderen zu verbinden ist – und damit nach den Gesetzen der Logik, wenn A gleich B &c., ein weiterer Kompagnon Wittgensteins. Dessen Verzahnung, oder, wenn man die Gewebe- der Maschinenmetapher vorzieht: Verflechtung in die Texte beginnt mehr und mehr sichtbar zu werden.
Auch Wyndham Le Strange gehört zur Compagnia. Mit Wittgenstein ist er nicht über des Aspekt des Aussehens verbunden - über seinen Gesichtsausdruck, seine Statur und Frisur sind wir nicht unterrichtet - wohl aber durch ein ebenso provisorisch wie endgültig eingerichtetes Leben und den Wunsch, mit möglichst wenig und ausschließlich mit schon Vorhandenem auslangen zu können, im Kern also über das Motiv des mißachteten Reichtums. Wittgenstein hat auf sein Vermögen verzichtet, weil er sich, nach eigenen Worten, wie ein aufgeblasener Schlauch gefühlt habe, solange er dieses Geld hatte. Daß er das Geld nicht Notleidenden oder wohltätigen Organisationen gab, sondern seinen ohnehin reichen Geschwistern, kreiden Menschen mit Gemüt ihm an, er habe keine soziale Sensibilität besessen, sagen sie. Auch Le Strange läßt alle philanthropische Anstalten vermissen, denn wenn er sein gesamtes, mehr als beträchtliches Vermögen der Haushälterin hinterläßt, so nicht weil sie arm, sondern nur weil sie seine naturgemäße und überdies einzig in Betracht kommende Erbin war, und außerdem wissen wir über das Verhältnis der beiden ohnehin nichts genaues. Cosmo Solomon, der ausschließlich mit dem dunklen Vokal O ausgestattete amerikanische Kompagnon des hellautenden Wittgenstein, betreibt offenbar auch ohne jedes soziale Gewissen gezielte Geldvernichtung, indem er sich viel an Plätzen wie Saratoga Springs und Palm Beach aufhält, einesteils, weil er ein hervorragender Polospieler war, und zum anderen, weil er in Luxushotels wie dem Breakers, dem Poinciana oder dem American Adelphi ungeheure Mengen Geld durchbringen konnte, woran ihm damals offenbar vorab gelegen war.
Thomas Bernhard gehört zum einen aus eigener Kraft, unabhängig von Wittgenstein zur Compagnia: Thomas Bernhard ist von sehr zentraler Bedeutung für mich gewesen, nicht nur weil ich seine Bücher für wunderbare komödiantische Kabinettstücke gehalten habe, sondern weil mich überhaupt diese Position, die er einnahm, die des großen Satirikers immer fasziniert hat. Bernhard war ein Fastenprediger. Ich sehe ihn wenn ich denke, irgendwie auf einer Kanzel, wie er also das Sonntagspublikum sozusagen fix und fertig macht, bis sie also nicht mehr schnaufen können. Mit Emyr Elias hat Sebald einen Prediger vom Schlage Bernhards entworfen, am Sonntag führte er der versammelten Gemeinde mit erschütternder Wortgewalt das allen bevorstehende Strafgericht, die Farben des Fegefeuers und die Qualen der Verdammnis vor Augen, so daß nicht wenige am Ende des Gottesdienstes mit einem kalkweißen Gesicht nach Hause gingen.
Aber auch Bernhard war ähnlich wie Sebald von Wittgenstein fasziniert. In der Korrektur baut Wittgenstein noch einmal das Haus für seine Schwester, in der kleinen Farce Goethe schtirbt sehnt sich der Großmeister angesichts des nahenden Todes nur noch nach einem, nach Wittgenstein, und auch dem Neffen Paul wurde ein eigenes Buch gewidmet. Mehrfach wird auch ein großes Vermögen weggeschenkt, in der Auslöschung durchaus ethisch sensibel, möchte man meinen, an die Israelitische Kultusgemeinde. Es hat nichts geholfen, im Rahmen einer speziellen Form der Literaturkritik wurde nachgewiesen, daß damit das höchstmögliche Maß an politischer Korrektheit glatt verfehlt wurde. Worin das Schenkungsideal bestanden hat und wohl noch weiter besteht, ist dem Gedächtnis leider entfallen.
Le Strange begegnet uns in Verbindung mit christlichen Heiligen. Umschwärmt von Perlhühnern, Fasanen, Tauben und Wachteln und den verschiedenen Garten- und Singvögeln ähnelt er dem Heiligen Franz, als er ein Erdloch als Wohnung bezieht, wird er offen dem Heiligen Hieronymus verglichen. Auf eine christliche Gesinnung kann nicht geschlossen werden, von Le Stranges Gedankenwelt wissen wir gar nichts, es sind mentale Bilder des Betrachters, die sich einstellen angesichts des wenigen, das über den Zaun des Grundstückes zu erblicken ist. Nach eigenem Bekunden areligiös aber der Metaphysik zugetan, konnte und wollte Sebald auf den christlichen Bildervorrat nicht verzichten. Franziskus und Hieronymus sind keine Heiligen der guten Werke, keine Meliorationsheilige, sondern Gebetsheilige, Einsiedler, Heilige der Askese mit geringer sozialer Sensibilität, wenn man auf den Wittgensteinkritiker zurückkommen will, Benns schwarze Kutten, auch wenn Le Strange einmal in einem kanariengelben Gehrock und dann wieder in einem veilchenfarbenen Trauermantel paradiert. Inmitten des die Gegenwart dominierenden, sich überschlagenden säkularen Meliorismus - überschlagend in dem Sinn, daß er fortwährend mehr Verbesserungsbedarf erzeugt als er stillen kann - ließe sich ein Meliorationsheiliger gar nicht mehr identifizieren. Sebalds, von Wittgenstein angeführte säkulare Heilige sind Einsiedler und Asketen, ihr Vermögen steht nicht zur Verfügung der Weltverbesserung, die, zahllosen Belegstellen im Prosawerk zufolge, die Weltverschlechterung als unveräußerliche Kehrseite hat.
Den Übergang vom christlichen zum säkularen Heiligen markiert bei Sebald der heilige Georg. Bei Grünewald tritt er uns entgegen, steht zuvorderst am Bildrand eine Handbreit über der Welt und wird gleich über die Schwelle des Rahmens treten, das mittelalterliche Tableau verlassen, bei Pisanello geht von seiner glorreiche ritterlichen Erscheinung etwas herzbewegend Weltliches aus. Wer behauptet, Sebald habe seine beiden Vornamen gehaßt und sich daher Max rufen lassen, hat ganz abgesehen davon, daß Sebald sich im Gespräch ausdrücklich zum G innerhalb des WG bekennt, das Werk offenbar nicht gelesen. Eher schon ist ihm der Name seines Patrons als unpassend für den Alltag erschienen. Der Heilige Georg ist ein weiterer Kompagnon, vermittels dessen Sebald sich als Selysses selbst zum Kompagnon wird, Mitglied der der von ihm entworfenen Compagnia.
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