Samstag, 16. Oktober 2010

Trunksucht im Grenzland

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Seinerzeit war es ein übel beleumundetes Gasthaus gewesen, in dem die Bauern bis tief in die Nacht hinein hockten und, vor allem im Winter, oft bis zur Bewußtlosigkeit tranken. Die Bauern und Holzknechte saßen fast immer gruppenweise beieinander am oberen beziehungsweise unteren Ende der Gaststube. In der Mitte stand der große eiserne Ofen, der im Winter nicht selten derart geschürt wurde, daß er zu glühen begann. Zunächst, wenn der Alkohol seine verstummende oder aber die Rede auf ein zusammenhangloses Satzstottern oder Grölen hin reduzierende Wirkung noch nicht entfaltet hatte, konnte man Gespräche hören, die einen Zug ins Philosophische, ja sogar ins Theologische hatten, über das Tagesgeschehen sowohl als über den Grund aller Dinge, wobei es aber schon bald gerade denjenigen, die besonders lauthals das Wort ergriffen, mitten im Satz die Rede verschlug. Einer sitzt oft in ihrer Runde und ist doch keiner von ihnen, sie scheinen ihn auch gar nicht zu kennen. Er ist sehr kräftig und wird immer kräftiger. Er scheint auf fremde Kosten zu leben. Man könnte sich ihn als ein Tier in der Wildnis denken, das am Abend allein, langsam, bedächtig, schaukelnd zur Tränke geht. Seine Augen sind trübe, man hat oft nicht den Eindruck, daß er den, auf den er die Augen richtet, auch wirklich sieht. Es ist dann aber nicht Zerstreutheit, Beschäftigtsein, das ihn hindert, sondern eine gewisse Stumpfheit. Es sind trübe Trinkeraugen eines Menschen, der offenbar nicht Trinker ist. Vielleicht geschieht ihm Unrecht, vielleicht hat ihn das so verschlossen gemacht, vielleicht ist ihm immer Unrecht geschehn. Es scheint jene Art von unbestimmtem Unrecht zu sein, das junge Leute so oft auf sich lasten fühlen, das sie aber schließlich abwerfen, solange sie noch die Kraft dazu haben, er freilich ist schon alt, wenn auch vielleicht nicht so alt wie er aussieht mit seiner schwerfälligen Gestalt, den fast aufdringlichen, abwärts ziehenden Furchen in seinem Gesicht und dem Bauch, über dem sich die Weste wölbt.


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