In einem Gespräch schildert Niklas Luhmann seinen normalen Tagesablauf - bei Übergehen selbstverständlicher und unvermeidbarer Dinge wie Nahrungsaufnahme und Körperpflege - als eine einzige Abfolge von Schreiben und wiederholtem Ausführen des Hundes. In seinen veröffentlichten Arbeiten ist er dagegen nicht als Hundebesitzer zu erkennen, angesichts des durchweg humansoziologischen Charakters seiner Schriften keine Überraschung, wenngleich eine Monographie Die Tiere der Gesellschaft durchaus denkbar und lohnend gewesen wäre. Durch den frühen Tod der Großen wird uns vieles vorenthalten.
Das gilt umsomehr für Sebald, der, nachdem er das literarische Schaffen erst spät aufgenommen hatte, in noch deutlich jüngeren Jahren gestorben ist. Auch bei ihm bereitet das Werk auf das öffentliche Eingeständnis, er habe immer Hunde gehabt, nicht eigentlich vor. Nicht, daß Hunde fehlen würden im Werk, nie aber hat Selysses, der sebaldnahe Icherzähler, auf seinen Reisen und Wanderungen einen Hund als Gefährten dabei, mit einer charakteristischen Ausnahme: Ein hellfarbiger Hund, der einem schwarzen Fleck wie eine Klappe über dem linken Auge hatte und der wie alle herrenlosen Hunde schräg zu der Richtung, in der er sich fortbewegte, zu laufen schien, hatte sich auf dem Domplatz mir angeschlossen und war mir nun immer ein Stück weit voraus. Blieb ich stehen, um ein wenig auf den Fluß hinabzusehen, so hielt auch er ein und schaute versonnen auf das fließende Wasser der Etsch. Ging ich weiter, so machte auch er sich wieder auf den Weg. Als ich aber am Castelvecchio den Corso Cavour überquerte, blieb er an der Bordsteinkante zurück, und ich wäre, weil ich mitten auf dem Corso mich umwandte nach ihm, um ein Haar überfahren worden.
Thomas Manns Herr und Hund steht, wesentlich knapper gefaßt, Sebalds Hund ohne Herr gegenüber. Wir müssen uns in jedem Fall vor Augen halten, daß Selysses auf seinen Reisen und Wanderungen nicht von Hunden aber auch nicht von Menschen für längere Zeit begleitet wird. Menschen trifft er an seinen Zielorten oder sie sitzen im gleichen Zug, Bus oder Flugzeug und teilen, gerade wie der Hund in Verona, für eine kurze Weile nur seine Wegstrecke. Die Hunde sind also im Werk gegenüber den Menschen nicht benachteiligt, allerdings auch nicht, wie bei Schopenhauer, bevorzugt. In den Band Unerzählt, ein Gemeinschaftswerk des Dichters Sebald und des bildenden Künstlers Jan Peter Tripp, sind neben mehr als zwanzig menschlichen Augenpaaren, darunter die solcher Größen wie Onetti, Beckett oder Borges, die Augen und obendrein, besonders ehrenvoll, die Schnauze des Hundes Morris (Maurice) zu sehen.
In Sebalds Leben haben die Hunde nach seinen eigenen Aussagen eine bedeutende Rolle gespielt, und das in dreifacher Hinsicht: Als Schutz vor den hereinbrechenden Erinnerungen, als Lehrmeister des Schreibens und als Türöffner zur Metaphysik.
Als Schutz vor hereinbrechenden Erinnerungen: We can not escape memory. The only thing you can do, is to subdue it: And if you can do that by playing baseball or watching football, that’s a good thing. – What do you do? – I walk with the dog.
Als Lehrmeister des Schreibens: My writing was always done in a random, haphazard fashion, in the same way in which a dog runs through a field. If you look at a dog following the advice of his nose, he traverses a patch of land in a completely anplottable manner. And he invariably finds what he is looking for. I think, as I have always had dogs, I’ve learned from them how to do this. (Audience laughter – das Gespräch wurde öffentlich geführt). – Das ist eine deutliche Warnung und Absage an alle, die, verleitet durch Sebalds kalkulierte und in gewisser Hinsicht zufallslose, dabei aber für den Leser in ihrem Ablauf immer überraschenden Sätze, in ihm einen peniblen Planer in jeder Hinsicht vermuten.
Als Türöffner zur Metaphysik: Metaphysics is a legitimate concern. Writers like Kafka are interested in metaphysics. If you read a story like Forschungen eines Hundes, it has a subject whose epistemological horizon is very low. The dog goes through the most extravagant speculations about reality, which we know is quite different. As he, the dog, has this limited capacity of understanding, so do we. Die Begrenztheit des Hundes wird zum Abbild unserer eigenen, vor den Augen Gottes, wenn die Metaphysik ihn denn lebendig erhält, kaum geringeren Begrenztheit.
Die Metaphysik zählt zur Domäne der Philosophie. Wollte man Sebald philosophiegeschichtlich einordnen, so stände er Schopenhauer und seinem Pudel naturgemäß um vieles näher als Descartes, dem gnadenlosen Hundezerschneider. Schopenhauers Feststellung, wer gegen Thiere grausam ist, könne kein guter Mensch sein, hätte Sebald in dem Umfang, in dem er sich überhaupt an Unterschriftsaktionen beteiligt hat, sicher abgezeichnet. Seine Spaziergänge mit Hund in Norfolk sind aber, wie schon gesehen, grundlegend anders verlaufen als diejenigen Schopenhauers mit seinem Pudel am Mainufer, er hat, soviel können wir annehmen, nicht versucht, dem Hund seine Werke zu erklären und hat ihn auch nicht im Frankfurter Hof oder einem anderen Hotel neben sich auf einem Stuhl sitzen und ihm auftragen lassen. Schopenhauers Überlegungen zum Pudels Kern hätte er sich vielleicht anschließen können und seine eigenen Ausführungen zur Makrele und zum Hering widerlegen Schopenhauers Annahmen zur Weltenseele im Tier nicht, seinen Hund Atman zu nennen, lag Sebald aber wohl fern.
Alles im allem hätten ihm aber die nüchternen tierphilosophischen Überlegungen Reinhard Brandts wohl mehr zugesagt. Brandt leitet seine Überlegungen zur Frage Können Tiere denken? mit zwei einander widersprechenden Thesen ein: 1. Natürlich können Tiere denken, Sie werden es nicht glauben, aber unser Leo versteht jedes Wort. 2. Natürlich können Tiere nicht denken. - Beide Thesen, wäre denn die eine oder aber die andere in ungemilderter Form wahr, müßten das Interesse am Hund zum Erliegen bringen. Welchen Zusatzwert sollte Leo für mich haben, wenn er mich ebenso gut verstünde wie die eigene Frau oder gar um einiges besser, und wie, andererseits, sollten wir, Leo und ich, Zugang zueinander finden, wenn Leo nichts dem Denken in irgendeiner Weise Verwandtes aufweisen würde. Brandts ausgewogenes Forschungsresultat ist denn auch: Tiere können nicht denken im Sinne einer Fähigkeit zur Urteilsbildung und insbesondere der Fähigkeit zur Bildung negativer Urteile, sie weisen aber, verstreut über die Gattungen, einen riesigen Fächer von Analoga rationis auf.
Freunde der Tiere verfügen über die Fähigkeit, diese Analoga zu entdecken und begeistert zu erleben. Mit der beobachteten Fährtensuche auf dem Feld hat Sebald ein canines Analogon rationis et scripturae aufgedeckt. Er kann sich seinerseits in seiner dichterischen Arbeit diesem Analogon anpassen und den menschlichen Urteilszwang nahezu vergessen, nur die Gestalt der Sätze bleibt ihm als genuine Aufgabe. Thomas Manns Erzählung vom Hund Bauschan ist ein Wunderwerk der Aufdeckung eines ganzen Bündels hündischer Analoga rationis. Kafka hingegen, mag man ihn sonst auch über alles lieben, ist mit seinem forschenden Hund und anderen Tierfabeln für das Verständnis zwischen den verschiedenen Ordines naturales letztlich wenig gewinnbringend. Die Geschichte des Käfers Gregor rechnen wir naturgemäß nicht zu dieser Kategorie. Wir glauben ja auch, daß Selysses dem Gregor das Fliegen beigebracht hat.
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