Als ich anlangte an der Gare du Nord, herrschte, nach einer bereits mehr als zwei Monate dauernden, weite Landesteile völlig ausdörrenden Trockenheit, immer noch hochsommerliche Temperaturen, die bis in den Oktober hinein nicht nachließen. Schon am Morgen stieg das Thermometer über fünfundzwanzig Grad, und gegen Mittag ächzte die Stadt förmlich unter der Last der riesigen Glocke aus Benzin und Bleidünsten, die über der gesamten Ile de France hing. Die blaugraue, einem den Atem nehmende Luft war unbeweglich. Der Straßenverkehr schob sich zollweise über die Boulevards, die hohen Steinfassaden zitterten wie Spiegelbilder in dem gleißenden Licht, die Blätter der Bäume in den Tuilerien und im Luxemburggarten waren verbrannt, die Menschen in den Métrozügen und in den endlosen Gängen, durch die ein warmer Wüstenwind strich, zu Tode erschöpft. Wie immer waren wir in dem lächerlichen Restaurant in der Rue Richelieu verabredet, das ich nie anders als gedrängt voll gesehen habe, häßlicher Rauch hängt vor den Spiegelscheiben. Die regelmäßig verteilten Kleiderrechen sind mit Hüten vollgehängt wie Bäume. Man folgt der verbreiteten Sitte, Geländer zu haben zwischen den Tischen. Gleich nachdem die Täuschung des ungeschickten Ausländers, wo ein geländerartiger Rahmen sei, müsse auch eine Glasscheibe stecken, dadurch aufgeklärt wird, daß man frech in die Scheibe schaut, in der man das Spiegelbild entfernter Gäste zu sehen meint und durch den Gegenblick einsieht, daß man es mit wirklichen Gesichtern zu tun hat – fühlt man wie solche Geländer zwischen aneinander gestellten Tischen gerade viel für die Annäherung tun. Nun, mancher würde gern darauf verzichten. Als ich das auch mitten an diesem hellen Sommertag ziemlich dustere Lokal betreten hatte, brauchte es einige Zeit, um mich zu überzeugen, daß er noch nicht eingetroffen war. Über einen hoch an der Wand angebrachten, wenigstens zwei Quadratmeter großen Fernsehschirm liefen gerade Bilder der Rauchwolken, die seit vielen Wochen in Indonesien die Dörfer und Städte erstickten und eine grauweiße Asche auf die Häupter derer streuten, die sich, aus was für Gründen immer, außer Hauses wagten mit einer Schutzmaske vor dem Gesicht.
Donnerstag, 13. Oktober 2011
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