Sonntag, 16. Oktober 2011

Claqueurin

Aus dem Schattenreich
Kommentar

Teure Heimat, wann seh’ ich dich wieder. Im Zuge der sogenannten Wiedergutmachung erst ist man auf den Gedanken gekommen, auch den Hebräern ihr Recht werden zu lassen und aus den anonymen Sklaven richtige Juden in Zebraanzügen zu machen. Bald nach der Eröffnung der Saison habe ich, was mich heute noch reut, teilgenommen an einer Veranstaltung des Festspielrahmenprogramms und für meine Bemühungen nebst einem Honorar auch zwei Karten für die Nabucco-Aufführung am selben Abend erhalten. Mit diesen Karten bin ich, bis die letzten Besucher in den Eingängen verschwunden waren, unschlüssig auf dem Vorplatz herumgestanden, unschlüssig, weil es mir mit jedem vergehenden Jahr unmöglicher wird, mich unter ein Publikum zu mischen; unschlüssig weil ich den Chor der verkleideten KZ-Häftlinge nicht sehen wollte. Ich bin dann doch in das Theater hineingegangen. Die Vorstellung war entsetzlich, der Applaus immens. In der eigenen Sitzreihe glaubte ich eine Claqueurin auszumachen, die nicht wenig zu der allgemeinen Begeisterung beitrug. Ihr Applaus schien dem Stockaufschlagen des über uns im letzten Rang beschäftigten Oberclaqueurs zu folgen. Sie klatschte mit so weit vorgebeugtem abwesenden Gesicht, daß sie, wenn der Applaus zu Ende war, erstaunt und besorgt die Innenfläche ihrer durchbrochenen Handschuhe anschaute. Sie fing aber gleich wieder an, wenn es nötig wurde, klatschte schließlich auch selbständig und war gar keine Claqueurin, sondern eine ehrlich Hingerissene.

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